Freie Sachsen vor der Kommunalwahl: Träume von der blau-grünen Welle
Ihr Wahlkampf ist derb: Bei der Kommunalwahl in Sachsen treten auch die rechtsextremen Freien Sachsen an – und könnten der AfD Mehrheiten verschaffen.
Es ist die Suche nach größtmöglicher Aufmerksamkeit, wenige Tage vor der sächsischen Kommunalwahl am Sonntag. Man wolle „die da oben aus den Parlamenten jagen“, rief Fischer zuletzt auf einer Kundgebung. Seine Partei werde „Politik endlich wieder für Deutsche machen“. In Leisnig, einem 6.500-Einwohnenden-Stadt bei Döbeln, treten Fischers „Freien Sachsen“ mit fünf Kandidaten an, in Fraktionsstärke will der 41-jährige Schlosser in den Stadtrat einziehen -und dort keine Statistenrolle. „Wir wollen mitbestimmen.“
Es sind vollmundige Töne, welche die Freien Sachsen derzeit nicht nur in Leisnig spucken, sondern sachsenweit. Von einer „weiß-grünen Welle“ tönt die rechtsextreme Kleinstpartei, von einem „Sturm auf die Rathäuser“. Das wird so nicht kommen, die Konkurrenz der AfD ist groß. Aber tatsächlich treten die Freien Sachsen erstmals in allen Landkreisen zur Kreistagswahl an, mit immerhin 493 Kandidierenden, dazu kommen weitere Kandidaten in 36 Stadtratswahlen. Und die Partei könnte danach eine entscheidende Rolle spielen: als Mehrheitsbeschafferin der AfD.
Sammelbecken für Rechtsextreme aller Couleur
Erst drei Jahre sind die Freien Sachsen alt, 2021 gegründet von dem Rechtsextremisten und Anwalt Martin Kohlmann, der schon die rassistischen Aufmärsche in Chemnitz 2018 befeuerte. Seitdem mobilisiert die Partei sachsenweit zu rechten Protesten, wo immer sich Gelegenheiten bieten: erst gegen die Corona-Maßnahmen, dann bei den Bauern, nun wieder gegen Geflüchtete. Frühere NPD-Aktivisten tummeln sich bei den Freien Sachsen, Kameradschaftler, Coronaleugner, Reichsbürger, auch ein verurteilter Rechtsterrorist der „Gruppe Freital“. Oder Leute wie Christian Fischer aus Leisnig, der aus der völkischen Siedlerbewegung kommt. Es ist Konzept: Die „Freien Sachsen“ erlauben explizit doppelte Parteimitgliedschaften, sehen sich selbst als „Sammlungsbewegung“. Man distanziere sich „von niemandem“, betont Fischer.
Auch der fünffache Vater war einst bei der NPD-Jugend aktiv und bei der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“. Vor sechs Jahren zog er aus Niedersachsen nach Leisnig, weitere Rechtsextreme folgten. Auch das war Konzept: Die Neonazis gründeten die Initiative „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“, warben in der Szene für weitere Zuzüge, um dort die „Volkssubstanz“ zu erhalten. Als der Verfassungsschutz die Initiative erst beobachtete und dann Durchsuchungen folgten, löste Fischer diese auf – und schlüpfte unter das Dach der Freien Sachsen. Sein Parteikollege Lutz Giesen wiederum war, wie andere Rechtsextreme aus Leisnig, bei der verbotenen „Artgemeinschaft“ aktiv. Giesen organisierte zuletzt zudem den alljährlichen Neonazi-Gedenkmarsch in Dresden mit.
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.
Die Töne bei den Freien Sachsen sind nicht minder brachial. „Handschellen müssen klicken“, heißt es auf Wahlplakaten. Regierende Politiker werden als „Politverbrecher“ bezeichnet, Geflüchtete durchweg als Kriminelle. Die Partei zog vor Häuser von Bürgermeister*innen oder blockierte einen Grenzübergang. Geflüchteten müssten alle Sozialleistungen entzogen werden, fordert die Partei. Oder einen „Säxit“, einen Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik. Ziel ist eine neue, „gründliche Wende“. Auf Telegram brachten es die Freien Sachsen damit auf knapp 140.000 Follower. Die Partei selbst hat nach eigenen Angaben 1.200 Mitglieder. Auch einen Versand betreibt sie, verkauft dort Tassen oder „Sachsen-Taler“.
Verfassungsschutz spricht von „Mobilisierungsmaschine“
Schon nach wenigen Monaten stufte der sächsische Verfassungsschutz die Partei als rechtsextrem ein. Sein Präsident Dirk-Martin Christian sieht die Freien Sachsen als „Mobilisierungsmaschine“, attestiert ihr eine verfassungsfeindliche Ideologie. Und auch das Kulturbüro, das Gemeinden zum Rechtsextremismus berät, warnt, dass aus den Parolen der Partei auch Gewalttaten entstehen können.
Tatsächlich hat deren Hetze schon heute Folgen. Als zuletzt der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz in Zwönitz bei einem Stadtgespräch auftreten wollte, musste dies nach Protestaufrufen der Freien Sachsen abgesagt werden. Der Verfassungsschutz wirft der Partei „gezielte Bedrohungsszenarien“ gegen Politiker vor. Vor allem der Heidenauer Parteifunktionär Max Schreiber tue sich hier hervor. Gewalttaten, die aus solch einem Klima entstehen, wie zuletzt gegen den SPD-Politiker Matthias Ecke, tut die Partei ab: Dies hätten sich die „Blockparteien selber eingebrockt“, man müsse sich hier „von nichts und niemanden distanzieren“. Bezeichnend: Parteichef Kohlmann wie auch die Leisniger Fischer und Giesen sind allesamt wegen Volksverhetzung verurteilt.
Ihren Aktivitäten tut das keinen Abbruch. In Leisnig sind die „Freien Sachsen“ bisher nicht im Stadtrat vertreten. Aber keine Partei sei im Wahlkampf so aktiv, sagt dort die Grüne Maria-Christin Anderfuhren, die auch im örtlichen Demokratiebündnis aktiv ist. Die Resonanz auf die Stände auf dem Marktplatz sei zwar überschaubar. Aber Fischer und seine Mitstreiter nutzten jede Gelegenheit, um „Ängste und Hetze zu schüren“, verbreiteten in ihrem „Infoblatt“ Unwahrheiten. Auch seien sie in der Szene bestens vernetzt, ihre Aktionen gut organisiert, sie müssten irgendwelche Geldgeber haben. Und sie engagierten sich als Nachbarn, gingen bewusst in Vereine oder die Feuerwehr und stießen dort auf wenig Gegenwehr. „Die haben einen Plan, und der geht bisher auf“, warnt Anderfuhren. „Ich habe den Eindruck, dass den wenigsten bewusst ist, dass hier eine rechtsextreme Agenda verfolgt wird.“ Tatsächlich prahlt auch Fischer, dass er im Ort „sehr gut integriert“ sei.
„Zunehmend Kooperationen“
Auch die AfD ist in Leisnig bisher nicht im Stadtrat, nun tritt sie vor Ort ebenfalls zur Wahl an. Und auch ihre Chancen sind gut: Landesweit liegt die Partei, die in Sachsen ebenso als rechtsextrem eingestuft ist, in Umfragen bei 34 Prozent, vor allen anderen Parteien. Nach der Wahl am Sonntag könnte sie in mehreren Kreistagen und Stadträten mit den Freien Sachsen gemeinsame Sache machen. Zwar führt die AfD die Freien Sachsen auf einer Unvereinbarkeitsliste – auf der Straße standen beide Parteien aber zuletzt schon gemeinsam. Und auch in Leisnig rechnet die Grüne Maria-Christin Anderfuhren damit, dass sich AfD und Freie Sachsen dann zusammentun. „Inhaltlich liegen die ja nicht weit auseinander.“
Auch der sächsische Verfassungsschutz sieht im Lokalen „zunehmend Kooperationen“ zwischen AfD und Freien Sachsen, auch wenn das Verhältnis „ambivalent“ und ein Konkurrenzkampf um Wähler*innen bleibe. Vor allem die Freien Sachsen aber suchten die Zusammenarbeit.
Der Leipziger Soziologe Johannes Kiess, der sich viel mit den „Freien Sachsen“ beschäftigte, ist ebenso überzeugt: „Es liegt absolut nahe, dass beide Parteien auch zusammenarbeiten, wenn sie zusammen in Parlamenten sitzen.“ Und es sei nicht ersichtlich, dass die AfD-Spitze solche Kooperationen an der Basis unterbinden würde.
Die Freien Sachsen nennt Kiess einen „Scheinriesen“: Sie machten sich größer, als sie seien. Aber da, wo sie aktiv sei, agierten sie sehr professionell, könnten in Hochburgen bis zu 15 Prozent der Stimmen erhalten. Und sie vergifteten den Diskurs, dürften Parlamentssitzungen bewusst chaotisieren, warnt Kiess. Daher sei es unverständlich, dass der Partei nicht schon heute deutlicher die Grenzen aufgezeigt würden. „Die Sicherheitsbehörden könnten gegen die Provokationen und Drohungen der Freien Sachsen viel repressiver vorgehen.“
Freie Sachsen-Chef Kohlmann machte schon klar, dass seine Partei an einer konstruktiven Mitarbeit in den Parlamenten kein Interesse hat: Man wolle dort vom „Gegner“ lernen, „um ihm das Leben schwerer zu machen“. Und auch der Leisniger Christian Fischer erklärte, ihm gehe es vor allem darum, im Stadtrat künftig Informationen einzufordern, etwa zu den Zuzügen von „Südländern“. Ziel sei es dann, „Mehrheiten zu erzeugen“ – und die Politik „von unten nach oben neu zu gestalten“.
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