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Frauen und KrankheitenUngesunde Klischees

Wer weiß schon, dass die Harnröhre der Frau etwa 18 cm kürzer ist als die des Mannes? Acht wenig bekannte Wahrheiten über den weiblichen Organismus.

Die Medizin ist nicht frei von Vorurteilen. Über Endometriose beispielsweise ist wenig bekannt Illustration: Xueh Magrini Troll

Immunsystem

Nicht erst seit der Coronapandemie ist klar: Frauen haben ein stärkeres Immunsystem als Männer. Auch bei anderen Infektionskrankheiten wie Hepatitis B oder Tuberkulose erkranken Männer schwerer. Evolutionsbedingt ist dieser Unterschied schlüssig, da Frauen das ungeborene Leben während der Schwangerschaft schützen sollen. Dabei ist eine gute Immunabwehr hilfreich.

Zusätzlich wirken sich die Sexualhormone unterschiedlich auf das Immunsystem aus: Abhängig vom Zyklus der Frau stimuliert Östrogen das Immunsystem und regt die Produktion von Abwehrzellen an. Wohingegen das bei Männern überwiegende Testosteron das Immunsystem unterdrückt.

Das aktivere Immunsystem birgt aber auch Nachteile: Es reagiert häufiger über und richtet sich gegen den eigenen Körper. Daher sind Frauen häufiger von autoimmunen und chronischen Erkrankungen wie Rheuma oder Multipler Sklerose betroffen.

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Schmerzen

Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen generell schmerzempfindlicher sind als Männer. Auf identische Hitze- oder Druckreize reagieren Frauen schneller und ziehen zum Beispiel die Hand früher von einer heißen Herdplatte weg. Bisherige Experimente sprechen daher dafür, dass das Nervensystem von Frauen und Männern unterschiedlich eingestellt ist. Anscheinend reagiert die Schmerzverarbeitung im Rückenmark und im Gehirn bei Frauen sensibler, und die Schwelle, was als Schmerz empfunden wird, ist niedriger.

Allerdings kann der weibliche Körper das Schmerzempfinden während einer Schwangerschaft mit unterschiedlichen Hormonen wie Östrogen und Progesteron senken. Ansonsten wären die Geburtsschmerzen wahrscheinlich gar nicht ertragbar.

Endometriose

Ein Beispiel dafür, dass Frauengesundheit in den vergangenen Jahren keine Priorität hatte, ist Endometriose. Die Krankheit betrifft eine von zehn Frauen in Deutschland, ist aber so unbekannt, dass sie durchschnittlich erst zehn Jahre nach Auftreten der ersten Symptome diagnostiziert wird. Bei Endometriose wächst gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der ­Gebärmutter, was extreme Unterleibsschmerzen verursacht. Die Schmerzen Betrof­fener werden auch von Ärzt:in­nen oft nicht ernst genommen und als normale Perioden­schmerzen abgetan.

Illustration: Xueh Magrini Troll

Endometriose führt außerdem oft zu Infertilität – also dazu, dass eine Schwangerschaft nicht ausgetragen werden kann. Bei 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, ist Endome­triose der Grund.

Medikamenten­abhängigkeit

In Deutschland sind zwischen 1,5 und 1,9 Millionen Menschen medikamentenabhängig. Dabei zeigt sich seit Jahren, dass vor allem Frauen von dieser Sucht betroffen sind. Gerade im höheren Alter bekommen Frauen häufig Psychopharmaka auf längere Zeit verordnet. Beispielsweise nehmen in der Gruppe der über 65-Jährigen doppelt so viele Frauen wie Männer Beruhigungsmittel ein.

Gründe für diesen Geschlechterunterschied: Männer meiden Arzttermine, und Ärz­t:in­nen hören bei ihren weiblichen Patientinnen deutlich mehr emotionale und psychosoziale Probleme heraus und stellen ihnen dementsprechend auch vermehrt Rezepte aus. Beim Alkoholkonsum dreht sich das Verhältnis um. Männer betäuben ihren Schmerz deutlich häufiger mit Hochprozentigem.

Hormonelle Verhütung

2011 stoppte die Weltgesundheitsorganisation eine Studie zur hormonellen Verhütung bei Männern. Eine Hormon­spritze sollte die Spermienproduktion vorübergehend einstellen. Das funktionierte auch, aber die Nebenwirkungen der Probanden waren zu stark. Jeder zehnte Mann klagte über verminderte sexuelle Lust, Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen oder Depressionen.

Das dürfte einigen Frauen in den Ohren klingen, denn diese Nebenwirkungen ­treten auch bei der Antibabypille auf. Migräne, Schmierblutungen und Akne zählen zu den typischen Nebenwirkungen der Pille, von denen über 80 Prozent der Frauen berichten. Trotzdem zählt die Pille seit knapp 62 Jahren zu den populärsten Verhütungsmitteln. Wahrscheinlich auch wegen mangelnder Alternativen für Männer.

Gegen die kostspielige Forschung an hormonellen Verhütungsmethoden für den Mann spricht aber vor allem eins: Die Pharmaindustrie würde durch das schwächere Interesse an der Antibabypille weniger verdienen.

Crashtests

Frauen sterben und verletzen sich bei Autounfällen häufiger als Männer. Grund dafür ist aber nicht – wie das Klischee es will – ihr Fahrstil, sondern die Konstruktion der Autos. Für den zur Zulassung von neuen Automodellen vorgeschriebenen Crashtest werden in den meisten Fällen Puppen verwendet, die sich am Durchschnittsmann orientieren: 1,75 Meter groß, 78 Kilo schwer.

Die meisten Frauen sind aber kleiner und müssen mit dem Sitz nach vorne rutschen, um an die Pedale zu kommen. Dadurch verschiebt sich die Anordnung von Airbag, Gurt und Lenkrad, wodurch ein deutlich höheres Verletzungsrisiko entsteht.

Mittlerweile gibt es auch weibliche oder Kinder-Crashtest-Dummys. Die gängige Frauen­puppe ist mit 1,51 Metern und 48 Kilogramm allerdings sehr klein und leicht und bei Crashtests nicht immer vorgeschrieben.

Corona und Periode

Bei den Corona-Impfstoffstudien wurden Menstrua­tionsschwankungen der Teil­neh­me­r:in­nen nicht erhoben, was sich als Fehler entpuppte. Als erste Frauen berichteten, dass sich ihre Periode nach der Impfung verzögerte, war das ein ­gefundenes Fressen für Querdenkende. Schnell verbreitete sich der Mythos, die Impfung könne unfruchtbar machen. Auch Frauen mit Kinderwunsch außerhalb der Schwurblerszene verunsicherten diese Gerüchte.

Gut ein Jahr nach dem Start der Impfkampagne wurde im Januar eine Studie veröffentlicht, die Gewissheit bringt. Durch die Impfung verschiebt sich die Periode durchschnittlich um weniger als einen Tag, und auch die Dauer der Menstruation wird von der Impfung nicht beeinflusst.

Die Ergebnisse der ersten Impfstoffstudie von Biontech und Pfizer zeigen ebenfalls, dass die Corona-Impfung nicht unfruchtbar macht: Zwölf Probandinnen der Experimentalgruppe, die also den Impfstoff verabreicht bekommen haben, wurden noch während der Studie schwanger und haben alle gesunde Babys geboren. Vielleicht lernt die Forschung aus diesem Mythos und denkt bei der nächsten Impfstoffstudie an die Periode der Frau.

Anatomie

Die Organe von Männern und Frauen unterscheiden sich anatomisch. Da beispielsweise im Bauchraum von Frauen auch die Gebärmutter Platz einnimmt, ist die weibliche Blase kleiner und der Harndrang setzt entsprechend früher ein. Auch die Harnröhre ist bei Frauen etwa 18 Zentimeter kürzer als beim Mann, weshalb Bakterien leichter in die Blase aufsteigen können. Daher sind Frauen im Vergleich anfälliger für Blasen­entzündungen.

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17 Kommentare

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  • der Artikel hat mir sehr gefallen! Selten werden Frauen - nicht ihre Leiden! - so genau betrachtet.



    Biologische Unterschiede innerhalb von Ehen und sogar Familien führen oft zu unnötigen Konflikten. Jedenfalls kann ich (eine Frau) bestätigen, was beschrieben wurde, wenn ich es privat machen würde, wäre es sofort vergessen, wenn nicht belächelt oder in anderen Reichweiten umgelenkt



    Ich bedanke mich bei der Taz dass hier solche Artikel erscheinen, die ich sonst noch nirgends hab lesen können.

  • Das Problem gibt es, nur hat es nichts mit Klischees zu tun. Es wird auch nur ein einziges Klischee genannt, und das existiert gar nicht, denn der Fahrstil von Frauen dürfte ganz klar sicherer sein. Dass Frauen eher zu Medikamenten- und Männer eher zu Alkoholmissbrauch neigen, ist zwar ein Vorurteil, allerdings ein zutreffendes, wenn auch im Wandel. Ansonsten werden hier munter natürliche Unterschiede der Geschlechter mit politischen Fragen vermengt. Dass Männer eine deutlich längere Harnröhre haben, ist nun mal so, ist auch weitgehend Allgemeinwissen und übrigens ist das auch vielen Männern schon einmal schmerzlich bewusst geworden. Unkenntnis und Ignoranz gibt es ganz sicher auf beiden Seiten. Generell ist schon klar, dass Frauen zum Beispiel bei der Medikamentenforschung viel zu wenig betrachtet werden, vielleicht auch in der medizinischen Forschung allgemein. Crash Tests allerdings dürften ein ziemlich schlechtes Beispiel sein. Für dergleichen gibt es mit Sicherheit Vorgaben auf EU- Ebene und die müssen sowohl für männliche Niederländer (Durchschnittsgröße



    184 cm) als auch weibliche Spanier (Durchschnittsgröße 162) taugen. Da sind wir Deutschen mit 180 und 166 mittendrin. Aber besser geht natürlich immer.

  • "Die Pharmaindustrie würde durch das schwächere Interesse an der Antibabypille weniger verdienen."



    Dafür würden sie ja an der Pille für den Mann verdienen.



    Die Frage die dem wirklich im Wege steht, ist folgende:



    Ist Frau, die am Ende das Kind im Bauch haben würde, bereit darauf zu vertrauen, dass der Mann die Pille korrekt genommen hat?

    • @Herr Lich:

      Das ist die richtige Frage. Und die Antwort ist "nein", lieber selbst die Kontrolle haben. Allerdings muss das nicht unbedingt mit der Pille und all ihren Nebenwirkungen sein. Für lange und monogame Beziehungen spricht allerdings nichts dagegen, wenn Mann eine Vasektomie machen würde.

      • @resto:

        Ich denke die langen, monogamen Beziehungen sind nicht wirklich die Zielgruppe. Diese sollten in der Lage sein Kinderwunsch / kein Kinderwunsch effektiv umzusetzen, mit dem Mittel ihrer Wahl - bis hin zur Vasektomie, wobei ich persönliche mehrere Beispiele kenne.

    • @Herr Lich:

      Viele Frauen würden weiter die apille nehmen, weil sie sich nicht auf den Mann verlassen können. Am Ende trägt das Frau das Problem... Jeden Monat Almosen zahlen ist nichts gegenüber dem Verdienstausfall, den Vorurteilen und der kleineren Rente am Ende des Lebens... Frau wird durch ein Kind in eine Schublade gezwungen und wer dies vermeiden will, muss zwangsläufig den trieben des Mannes etwas entgegensetzen.

      • @panda:

        Diese Sichtweise tut mir leid für sie.

      • @panda:

        Unterhaltszahlungen sind doch keine Almosen.

  • Na ja, immerhin. Weiß nicht, ob es genügend bekannt ist, dass Frauen wesentlich weniger Leistenbrüche bekommen als Männer. Ich kann - als Mann - nur das Buch: "Frau - eine intime Geographie des weiblichen Körpers" der amerikanischen Pulitzerpreisträgerin Natalie Angier empfehlen. Gut 500 Seiten geballtes Wissen, sehr kompetent, humorvoll und authentisch geschrieben. Noch gegen Ende des letzten Jahrtausends und wohltuend anders als das heutige irrsinnig viele Geschwätz selbsternannter Fachleute, die glauben Ahnung zu haben, dabei aber regelmäßig das ausblenden, was sie nicht wissen, ohne sich dieses Umstandes bewusst zu sein.

  • Dass die durchschnittliche Frau nur 1,51 cm groß sein soll, ist aber auch eine ziemlich irre Annahme. Das war vielleicht vor 1000 Jahren so. Inzwischen ist wohl eher die durchschnittliche (junge) Frau ungefähr so groß wie die Crashtestpuppe und junge Männer im Schnitt 10 cm größer...

    • @Axolotl:

      Laut Google sind Frauen auf der gesamten Welt im Durchschnitt 1,6m hoch, der Mann wie du sagst 10cm höher und bei 1,7.

  • Danke für die gute Übersicht. Eine Anmerkung ist mir wichtig, bezogen auf den ersten Absatz. Hier wird vom "ungeborenen Leben" gesprochen, das durch das gute Immunsystem der Mutter geschützt wird. Es ist der Fötus bzw. Embryo, der geschützt wird. Der Begriff "ungeborenes Leben" wurde von christlichen Fundis geprägt und hat sich wohl in den Sprachgebrauch geschummelt. Mehr dazu, warum das problematisch ist hier: taz.de/Debatte-Spr...aph-219a/!5568971/



    Mit Sprache werden einfach auch immer Konzepte und Weltsichten verbreitet, auch wenn das oft unbewusst ist. Danke in jedem Fall für den Artikel.

    • @Maxi Mum:

      Ist doch egal.



      Kannst halt net schreiben, selbstständig lebensunfähiger Haufen schleimiger Zellen...

    • @Maxi Mum:

      Für mich ist ein Fötus bzw. Embryo 'werdendes Leben'. Doch deshalb wird mich wohl niemand als christlichen Fundi bezeichnen wollen.

    • @Maxi Mum:

      Sagen sie doch einfach pränatal. Wenn man überhaupt den Begriff, der sicherlich nicht von christlichen Fundamentalisten erfunden wurde, kritisieren möchte, dann vielleicht eher deswegen, weil die Vorsilbe "un" einen funktionalen Sinn von Fötus und Frau impliziert. Wenn man unbedingt soweit gehen will, fallen mir aber noch weitere Beispiele gefährlicher Schummeleien unseres Sprachgebrauchs ein.

  • 》Wer weiß schon, dass die Harnröhre der Frau 20 cm kürzer ist als die des Mannes?《

    Ich, seit spätestens 1986. Als mir eine Freundin erzählte, dass sie ihre ständigen Blasenentzündungen losgeworden sei, nachdem ihr Freund in einer Medizinvorlesung genau das gehört hatte und auch, dass ziemlich sofortiges Urinieren nach dem Geschlechtsverkehr die durch diesen verursachte Bakterienlast signifikant verringern kann, ein Großteil der Erreger ausgespült wird.

    Was auch heute noch ein guter Tip ist.

    • @ke1ner:

      Aber - Bitte! - vorher nicht vergessen!



      „Yippie“ zu rufen!



      Schmollie wird’s danken - 🙀🥳 - 🤫 -