Frankreichs Präsident und die EU: Macrons großer Wurf
In einem Zeitungsartikel löst Emmanuel Macron sämtliche Probleme Europas. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Nationalisten die Wut der Völker ausnutzen.“
„Eine nationalistische Abschottung hat nichts anzubieten, sie bedeutet Ablehnung ohne jegliche Perspektive“, schreibt Macron in seinem Beitrag. „Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr.“
Der französische Präsident macht sich in seinem Gastbeitrag für einen strengeren Schutz der Grenzen stark. Er fordert, den Schengen-Raum neu zu überdenken. „Alle, die ihm angehören wollen, müssen Bedingungen für Verantwortung (strenge Grenzkontrollen) und Solidarität (gemeinsame Asylpolitik mit einheitlichen Regeln für Anerkennung und Ablehnung) erfüllen“, schreibt er. Eine Grenze bedeute „Freiheit in Sicherheit“. Macron schlägt eine gemeinsame Grenzpolizei und eine europäische Asylbehörde vor. „Ich glaube angesichts der Migration an ein Europa, das sowohl seine Werte als auch seine Grenzen beschützt.“
Gleichzeitig fordert er in der Verteidigungspolitik im Einklang mit der Nato und den europäischen Verbündeten eine Erhöhung der Militärausgaben und einen Europäischen Sicherheitsrat unter Einbeziehung Großbritanniens. Überhaupt reicht Macron rund drei Wochen vor einem möglichen Austritt der Briten aus der EU die Hand. Der Brexit sei zwar eine „Sackgasse“ und ein Symbol für „die Krise in Europa“. Allerdings spricht sich Macron für ein Europa aus, in dem Großbritannien „einen vollwertigen Platz finden wird“.
Zur Verteidigung der Freiheit in Europa bringt Macron eine europäische Agentur für den Schutz der Demokratie ins Spiel. Mit ihrer Hilfe sollen Wahlen vor Hackerangriffen und Manipulationen geschützt werden. Frankreich selbst hat im vergangenen Jahr ein Gesetzespaket gegen gezielt gestreute Falschinformationen in Wahlkampfzeiten beschlossen, das von der Opposition heftig kritisiert wurde. Außerdem schrieb der 41-jährige Politiker: „Im Sinne dieser Unabhängigkeit sollten wir auch die Finanzierung europäischer politischer Parteien durch fremde Mächte verbieten.“
Der ehemalige Investmentbanker spricht sich außerdem für eine Reform der Wettbewerbspolitik in Europa und eine Neuausrichtung der Handelspolitik aus. „Europa ist keine Macht zweiten Ranges“, schreibt er und will Unternehmen, die Werte und Interessen wie Umweltstandards, Datenschutz oder das Zahlen von Steuern untergraben, bestrafen oder verbieten. Bei öffentlichen Aufträgen gelte es nach chinesischem oder US-amerikanischen Vorbild europäische Unternehmen zu bevorzugen.
„In Europa, wo die Sozialversicherung erfunden wurde, muss für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (…) eine soziale Grundsicherung eingeführt werden, die ihnen gleiche Bezahlung am gleichen Arbeitsplatz und einen an jedes Land angepassten und jedes Jahr gemeinsam neu verhandelten europaweiten Mindestlohn gewährleistet“, schreibt Macron weiter.
Vorschlag einer europäischen Klimabank
Gleichzeitig müsse die EU sich der Klimakrise stellen. „Werden wir unseren Kindern in die Augen blicken können, wenn wir nicht auch unsere Klimaschuld begleichen?“, fragt er. Macron schlägt eine europäische Klimabank vor, die den ökologischen Wandel finanziert. „Alle unsere Institutionen müssen den Schutz des Klimas zum Ziel haben“, so der französische Präsident.
All diese Forderungen könnten einen „Neubeginn für Europa“ bedeuten, der auf den Säulen von „Freiheit, Schutz, Fortschritt“ basiert. „Deshalb sollten wir noch vor Ende dieses Jahres mit den Vertretern der EU-Institutionen und der Staaten eine Europakonferenz ins Leben rufen, um alle für unser politisches Projekt erforderlichen Änderungen vorzuschlagen, ohne Tabus, einschließlich einer Überarbeitung der Verträge“, so Macron.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?