Frankreich nach Regierungsumbildung: Macron sieht eine Vertrauenskrise
Zum Nationalfeiertag zeigt der Präsident ein klein wenig Selbstkritik. Doch bei Knackpunkten wie der umstrittenen Rentenreform will er bleiben.
Die Vorsicht gebot es, in diesem Jahr wegen Covid die übliche imposante Truppenparade und Rüstungsmaterial-Show auf der Avenue des Champs-Elysées in Paris abzusagen. Ganz wollte Präsident Emmanuel Macron aber nicht auf die traditionelle Zeremonie verzichten. Auf der Place de la Concorde fand darum eine reduzierte Feier mit im Kreis marschierenden Militärs statt.
An ihrer Seite entrollten Angehörige des Pflegepersonals aus dem öffentlichen Gesundheitswesen eine riesige Trikolore. Sie repräsentieren die Helden und Heldinnen, die in den vergangenen Monaten die Epidemie bekämpft und dabei persönlich schwere Opfer gebracht haben. Bei der förmlichen Ehrung soll es nicht bleiben: Das bisher notorisch unterbezahlte Krankenhauspersonal bekommt eine Gehaltserhöhung von monatlich 183 Euro, hat der neue Premierminister Jean Castex Ende der Woche bestätigt.
Neben Macron und seiner Regierung standen auf der Ehrentribüne auch die Gesundheitsminister aus den vier Ländern Deutschland, Luxemburg, Österreich und die Schweiz, die Covid-Patienten aus Frankreich aufgenommen hatten. Unter den maskierten Ehrengästen war darum Gesundheitsminister Jens Spahn, der sich am Nachmittag mit seinen Amtskollegen zu einem Austausch traf.
Macron: Frankreich ist für zweite Welle bereit
In Frankreich, wo die oft widersprüchliche oder zögerliche Präventivpolitik auch in Fachkreisen auf starke Kritik stößt, war in den Medien immer wieder der Vergleich mit dem besser gerüsteten Deutschland gezogen worden. Jetzt aber sei Frankreich „für den Fall einer zweiten Welle bereit“, versicherte Macron im Fernsehinterview.
Er antwortete zwei Journalisten auf Fragen zur Covid-Krise, aber auch zur Enttäuschung vieler Bürger, die sich in den Popularitätsumfragen widerspiegelt, in denen Macron erneut um 2 Punkte auf 38 Prozent gesunken ist. „Wir haben nicht genug Ergebnisse erzielt“, meinte er selbstkritisch. Hinsichtlich der Widerstände gegen seine Reformpolitik und der Protestbewegungen wie jene der „Gilets jaunes“ fügte er hinzu: „Wir haben vielleicht den Eindruck erweckt, das Land an ein Modell anpassen zu wollen, das den Leuten nicht gefiel.“
An der heftig bekämpften und zuletzt verschobenen Reform des Rentensystems und dessen Finanzierung hält Macron fest: „Ich glaube an diese Reform, sie muss in den kommenden Jahren erfolgen. Wer das Gegenteil sagt, belügt die Franzosen.“ Bedeutet dies, dass er für eine zweite Amtszeit antreten will? Auf die ihm dazu gestellte Frage, ließ sich Macron lächelnd alle Möglichkeiten offen. „Man kann weit voraus blicken, auch wenn man 600 Tage vor sich hat.“
Konkreteres zu den wirtschaftspolitischen Maßnahmen in den nächsten Monaten wird am Mittwoch von der Regierungserklärung des Premierministers Castex vor dem Parlament erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste