Fragen und Antworten zum Unions-Krach: Kommt jetzt die Lega Süd?
Die Lage im Schwesterstreit zwischen CDU und CSU ist verworren. Können sie weiter zusammenarbeiten? 15 Fragen und Antworten.
Werden sich die Schwesterparteien CDU/CSU trennen? Wenn nicht: Wie könnten die Kontrahenten überhaupt weiter sinnvoll zusammenarbeiten? Und wäre eine CDU-SPD-Grünen-Koalition tatsächlich eine Alternative, wenn die CSU die Regierung verlässt? 15 Fragen und Antworten.
Worum geht es im Konflikt zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer?
Seehofer will keine Asylbewerber aus sogenannten sicheren Drittstaaten mehr nach Deutschland einreisen lassen. Merkel widerspricht ihm da. Das gefährde die Freizügigkeit im Schengen-Raum. Beim EU-Gipfel am 28./29 Juni will Merkel eine europäische Lösung erreichen. Wenn Deutschland vorab die Grenzen dicht macht, engt das den Verhandlungsspielraum ein. Merkel befürchtet zudem eine Kettenreaktion. Wenn Deutschland – mächtigster, größter EU-Staat – auf eigene Rechnung arbeitet, werden das andere Länder auch tun. Und die EU ist sowieso in einem fragilen Zustand. Merkel, sagt man in der CDU, verhandelt gern – und entscheidet ungern. Die CSU will das Gegenteil: Keine Verhandlung, dafür eine Entscheidung jetzt.
Ist ein Kompromiss möglich?
Im Prinzip ja. Im rhetorischen Geschützdonner geht manchmal unter, dass beide eigentlich das Gleiche wollen: weniger Flüchtlinge. Doch sich zu einigen, wird schwierig. Merkel ist der CSU schon entgegengekommen – mit dem Vorschlag, dass abgelehnte Asylbewerber nicht einreisen dürfen. Ohne Erfolg. Merkel fordert nun erst mal nur Zeit bis zum EU-Gipfel.
Könnte Seehofer da nicht lässig nachgeben: Reden wir in zwei Wochen noch mal drüber?
Das ist ein Machtkampf mit eigener Dynamik. Und die CSU pokert extrem hoch. Sie tut so, als wäre sie die Stimme des „Volkes“ und will jetzt ohne Rücksicht auf die üblichen Geschäftsregeln von Geben und Nehmen in den Saloon reiten. Kompromisse sind irgendwie merkelmäßig. Die CSU will keine Kompromisse, sondern Merkels Kapitulation. Mit dieser atemlosen Rhetorik der Steigerung kann sie Opfer der eigenen Agitation werden. Wer so droht, kann nicht nachgeben. Kein bisschen. CDU und CDU rasen wie Züge aufeinander. Wenn niemand eine Weiche umlegt, krachen sie nächste Woche aufeinander. „Es droht Eskalation“, sagte ein CDU-Politiker am Freitag.
Wann kommt die nächste Stufe der Eskalation?
Am Montag stellt sich die CDU-Spitze wahrscheinlich hinter Merkel, die CSU hinter Seehofer. Danach kann Seehofer per Ministerentscheid die Bundespolizei anweisen, die Grenzen für Asylbewerber aus sicheren Drittstaaten zu schließen. Er kann das mit der Einschränkung versehen, dass diese Regelung aufgehoben wird, wenn Merkel in Brüssel eine Lösung durchsetzt. Aber auch mit dieser diplomatischen Fußnote wäre das die maximale Provokation in Richtung Kanzleramt. Merkel müsste Seehofer eigentlich feuern, wenn sie sich nicht lächerlich machen will.
Ist die CSU verrückt geworden?
War sie – in Berlin – immer schon, nur nicht in diesem Grad. Es gehört zur Folklore der CSU, dass sie im preußischen Ausland wie ein Quartalsirrer auftritt. Erst ausrasten, dann sich wieder einkriegen. Aber so wie jetzt war es noch nie. Die CSU wirkt wie ein wütendes Kind, das jetzt sein Spielzeug will. Wenn es das nicht sofort bekommt, macht es alles kaputt.
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Ist das noch Politik – oder nur Rache und Affekt?
Beides. Söder und Dobrindt, die beiden treibenden Kräfte, sind offenbar überzeugt, dass es nur besser werden kann. Sie haben panische Angst, bei den Landtagswahlen im Herbst in Bayern an AfD und Freie Wähler zu verlieren. Söder wettert gegen „multilaterale Lösungen“ und klingt dabei wie Trump. Zornig, engstirnig, Bayern first. Daher die Tabula-rasa-Stimmung.
Seehofers Projekt waren eigentlich die Ankerzentren für Flüchtlinge. Doch das durchzusetzen gestaltet sich schwierig. Auch CDU-Länder zweifeln, ob eine de facto Kasernierung eine gute Idee ist. Anstatt das Konzept zu verbessern oder beharrlich dafür zu werben, treibt die CSU jetzt eine andere, noch fettere Sau durchs Dorf. Endlich keine Flüchtlinge mehr! Das ist die Logik des Populismus, nicht der Realpolitik. Wenn was nicht klappt, einfach eine andere Forderung erheben.
Wie geht es jetzt mit dem Merkel-Seehofer-Fight aber genau weiter?
Es gibt drei Szenarien. Nummer eins: Merkel gibt in der Schlüsselfrage, die CDU und CSU seit dem Herbst 2015 trennt, nach. Dann ist sie fortan Königin ohne Land. Denn alle haben gesehen, dass sie sich erpressen lässt. Und das kann sich dann jederzeit wiederholen. Richtlinienkompetenz, ade.
Szenario Nummer zwei: Irgendein Kompromiss über Eurodac-Stufen, den so ganz genau nur eine Handvoll Asylrechts- und Europarechtsexperten verstehen, mit dem sowohl Merkel als auch Seehofer verschrammt, aber ohne innere Blutungen leben können. Allerdings wissen derzeit auch Gutmeinende nicht so recht zu sagen, wo ein Mittelweg verlaufen könnte.
Szenario Nummer drei: Seehofer wird gefeuert, die CSU verlässt die Regierung.
Und was dann?
Das wäre das Ende der Großen Koalition. CDU und SPD haben ohne CSU keine Mehrheit im Bundestag. Eine Minderheitsregierung ist nichts für Merkel. Das ist ihr zu riskant. Die Kanzlerin kann ohne Mehrheit im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Wenn sie dann keine Mehrheit bekommt, gibt es auf sauberem Weg Neuwahlen. Oder aber: Die Grünen unterstützen Merkel und ersetzen die CSU-Minister. Dann regiert Kenia.
Ist das denn realistisch?
Klingt momentan unwahrscheinlich, aber es hätte eine Logik. Kenia wäre das Bündnis der vernünftigen, nicht populistischen Mitte, die bestimmt reibungsärmer regieren würde als die Große Koalition derzeit. Die Grünen schweigen darüber, ob sie im Fall der Fälle bereitstehen. Aber dafür spricht viel. Wenn eine Staatskrise heraufzieht, fühlen sich Grüne auf einmal sehr verantwortungsethisch. Da ticken sie wie die SPD. Fraglich wäre eher, ob die CDU nach der Implosion der Union noch sprech- und regierungsfähig wäre.
Ist die CSU-Strategie, alles auf Schwarz zu setzen, gefährlich?
Ja, weil die CSU dauernd von ihrer eigenen Agitation rechts überholt wird. Sie muss am Ende triumphieren. Denn wenn sie irgendwie doch nachgibt, nutzt das der AfD, die sich als das Original, die CSU als Weicheipartei darstellen wird. Der Kampf mit Merkel und der CDU kann zudem aus dem Ruder laufen. Feuerte Merkel Seehofer, fiele „die Fraktionsgemeinschaft mindestens ins Koma“, sagt der CDU-Politiker. Möglich ist in einer solchen Vertrauenskrise auch die Auflösung der Fraktionsgemeinschaft im Bundestag. Falls die CSU die eigene Kanzlerin stürzen würde, wäre die Teilung naheliegend.
1976 wollte die CSU schon mal als rechte Alternative zur CDU bundesweit antreten. Kann, was damals nicht gelang, 2018 gelingen?
Kann. Eine scheint’s faszinierende Möglichkeit. Weil die Union die AfD nicht in den Griff bekommt, spaltet sie sich in eine liberale Merkel-Partei und eine dampfende populistische Lega Süd. Und beide könnten miteinander koalitionsfähig bleiben. Damit würde die Union ihr liberal verengtes politisches Spektrum wieder erweitern. Aber das klingt einfacher, als es ist.
Warum?
Weil die Idee der Union nach 1945 die Vorstellung einer Einheit war: überkonfessionell und gleichzeitig liberal, konservativ und, na ja, christlich. Wenn CSU und CDU sich wirklich trennen, jagen sie den Gründungskonsens der Union in die Luft. Die neigt zwar, anders als die SPD, nicht zum sentimentalen Rückblick, aber der Boden würde gehörig wackeln.
Aber wenn eine Aufspaltung in Mitte-CDU und rüpelig-rechte CSU den Aufstieg der Rechtspopulisten hemmen würde, würde sich das doch lohnen …
Vielleicht. Aber das sind Planspiele vom Reißbrett, die die Eigenheiten des deutschen Föderalismus ausblenden. Würde diese Wut-Lega-Süd jemand in Osnabrück, Prenzlau oder Kiel wählen? Eher nicht. Die CSU ist intern nach Herkunft – aus der Pfalz, aus Nieder- und Oberbayern – sowie konfessionell nach katholisch und evangelisch quotiert. Sie bräuchte dann auch eine Quote für Schleswig Holstein.
Bei der letzten Bundestagswahl bekam die CSU 6,2 Prozent. Das ist nicht so fern von 5 Prozent. Und: In Bayern basiert ihre Macht nicht auf Sprücheklopferei. Dort wird sie aus Regionalpatriotismus und als pragmatische Kraft der Mitte gewählt. Beides würde mit der Rolle als bundesweit auftretendes Rumpelstilzchen kollidieren. Die CSU kann mit Kreuth 2 drohen – aber sie wird es sich mehr als zweimal überlegen, ob ihr eine bundesweite Ausdehnung wirklich nutzt.
Wird Jens Spahn Kanzler, wenn Merkel weg ist und die Union doch zusammenbleibt?
Nein. Er wird zwar, neben Annegret Kamp-Karrenbauer, in Unionskreisen als möglicher Kandidat genannt. Aber er ist zu rechts, zu vorlaut, zu jung. AKK hat viel bessere Aussichten, Merkel zu beerben, falls die diese Attacke politisch nicht überlebt.
Hat Merkel schon verloren?
Sie wirkt zumindest müde. Andererseits: Wer Merkel in den vergangenen 13 Jahren unterschätzte, ging am Ende nie als Sieger vom Platz.
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