Forschungsnetzwerk der Universitäten: Gemeinsame Datenbank

Die Unikliniken koordinieren ihre Forschungs- und Behandlungskonzepte in einem Netzwerk. Patientendaten werden zusammengeführt.

Ein Forscher arbeitet mit Blutproben unter eine Cleanbench

Coronaforschung am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München Foto: Andreas Gebert/reuters

BERLIN taz | Seuchen treiben die medizinische Forschung voran. Als Pesthaus vor den Toren Berlins wurde die Charité Anfang des 18. Jahrhunderts gegründet, heute ist sie die größte Forschungsklinik Europas. Der Bakteriologe Robert Koch begründete seinen Ruf mit dem Kampf gegen die Tuberkulose und wurde 1891 mit dem für ihn gegründeten Preußischen Institut für Infektionskrankheiten belohnt, das heutige RKI.

Auch derzeit geht, ausgelöst durch die Coronapandemie, ein Schub durch die Medizinforschung, vor allem ihren angewandten Zweig, die Pharmaforschung und Medikamentenentwicklung. In Deutschland spielen die 34 Universitätskliniken, in denen jährlich 1,9 Millionen Patienten behandelt und 10.000 junge Ärzte ausgebildet werden, eine Schlüsselrolle.

In dieser Woche stellte das im März gegründete Na­tio­nale Netzwerk der Universitätsmedizin im Kampf gegen Covid-19 seine bisherigen Aktivitäten vor. Das Netzwerk wird vom Bundesministerium für Forschung und Bildung mit 150 Millionen Euro gefördert und soll möglichst rasch Strategien für die Diagnostik und Behandlung von Covid-19-Erkrankten entwickeln.

Dafür werden, wie Charité-Vorstandsvorsitzender Heyo K. Kroemer erläuterte, „alle Maßnahmenpläne, Diagnostik- und Behandlungsstrategien der Universitätskliniken und weiterer Akteure des Gesundheitswesens systematisch zusammengeführt und ausgewertet“. Man müsse sich jetzt schon auch auf zukünftige Pandemie-Ereignisse vorbereiten, „die mit Sicherheit kommen werden“, so Kroemer.

Ein sehr komplexer Krankheitsverlauf

Neben diesem „Pandemie­management“ besteht die zweite Hauptaufgabe des Netzwerks im Aufbau eines einheitlichen Datenregimes. Die Behandlungsdaten der Patientinnen und Patienten mit Covid-19 sollen an den universitätsmedizinischen Standorten standardisiert erhoben und unter Wahrung des Datenschutzes zusammengeführt werden. „Damit können große, standardisierte Datensets geschaffen werden, die gemeinsame Analysen möglich machen“, so Kroemer.

An der Uniklinik Hamburg wurden seit Anfang März 140 Verstorbene obduziert, berichtete die ­Dekanin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Blanche ­Schwappach-Pignataro. Embolien und Thrombosen kämen bei den schweren Krankheitsverläufen vermehrt vor. „Das Virus löst wie ein Schalter die Krankheit aus“, so die Medizinerin. Die Robustheit des Immunsystems entscheide dann über den weiteren Verlauf der Krankheit. Viele Detailabläufe müssten noch untersucht werden.

Michael Albrecht, der medizinische Vorstand des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden, verwies darauf, dass nicht nur die Lunge betroffen sei, sondern alle Organe des Körpers in Mitleidenschaft gezogen werden können. Das reiche bis hin zum zentralen Nervensystem, was etwa eine vorübergehende Querschnitts­lähmung während der Beatmung auslösen könne. Am Dresdener Klinikum werden aktuell 30 Schwerkranke behandelt. Der Krankheitsverlauf sei „höchst komplex, individuell“ und könne „sehr, sehr lange dauern“, so Albrecht in seiner Videoschalte zur Pressekonferenz im Berliner Forschungsministerium.

Angesichts der vielen Fragen, die das neuartige Coronavirus immer noch aufwerfe, habe die Coronaforschung hohe Priorität, unterstrich Bundesforschungs­ministerin Anja Karliczek. Die Bundesregierung unterstütze die Forschung deshalb mit aller Kraft. Karliczek: „Mit dieser Krankheit ist nicht zu spaßen.“ Das werde umso deutlicher, „je mehr wir darüber lernen“. Covid-19 sei „kein Hirngespinst, sondern eine ­reale, ernsthafte Bedrohung, die weltweit eine hohe Anzahl von Opfern fordert“.

„Keine Wunder erwarten“

Noch dringender ist die Prävention: ein Impfstoff, der vor dem Coronavirus schützt. Während die EU-Kommission zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation WHO vor zwei Wochen auf einer „Geberkonferenz“ weltweite Zusagen von rund 7,4 Milliarden Euro für die forcierte Impfstoffentwickung einholte, hat die Bundesrepublik in der ­vorigen Woche noch einmal draufgelegt.

Bis zu 750 Millionen Euro wird die Bundesregierung für die Beschleunigung der Impfstoffentwicklung und den Ausbau der Produktionskapazitäten zur Verfügung stellen. Das Sonderprogramm sei eine Ergänzung zum bisherigen Engagement Deutschlands im Rahmen der internationalen Impfstoffallianz CEPI, hieß es aus dem BMBF.

„Wir können aber keine Wunder erwarten“, dämpfte Forschungsministerin Karliczek vorab die Erwartungen. Nach wie vor sei davon auszugehen, „dass Impfstoffe gegen Corona frühestens Mitte 2021 breit verfügbar sein werden“.

Über den Stand der Forschungsarbeiten in der Wirtschaft erkundigte sich die Ministerin in dieser Woche in Telefonaten mit drei wichtigen deutschen Impfstoffentwicklern: den Unternehmen ­BioNTech SE in Mainz, CureVac AG in Tübingen und IDT Biologika GmbH in Dessau-Roßlau.

Aus den Gesprächen habe sie einen positiven Eindruck gewonnen. „Die Forscherinnen und Forscher arbeiten mit viel Engagement und Einsatz in den jeweiligen Unternehmen“, so Karliczek, und „leisten für unsere Gesellschaft einen sehr wichtigen Beitrag.“ Am kommenden Montag besucht die BMBF-Chefin das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, wo grundlegend untersucht wird, was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht.

Auch auf europäischer Ebene sind die medizinischen Coronaforschungen voll im Gange. Allerdings sind hier die Koordinationsanstrengungen bei 27 Mitgliedstaaten erheblich größer als in Deutschland. Der Brandenburger Europaabgeordnete Christian Ehler setzt sich im Europa­parlament für die Schaffung einer europaweiten Datenplattform zur Coronaforschung ein.

Mit KI soll es schneller gehen

„In dem Datenzentrum sollten alle verfügbaren Coronavirusdaten gesammelt und gemeinsame Standards für die Datenerfassung entwickelt werden“, erklärt der CDU-Politiker, der dem Forschungsausschuss des Europaparlaments angehört. „Es würde wichtige Daten über Impfstoffe und Behandlungsformen enthalten, die eine schnellere klinische Aufnahme ermöglichen, Verhaltens- und Bewegungsströme ebenso identifizieren wie lebenswichtige Produkte und vorausschauende Analysen durchführen.“ Darüber könnten mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) schnellere Behandlungs- und Heilmöglich­keiten gefunden werden.

„In der jetzigen Form sind die Daten der Mitgliedstaaten mangels gemeinsamer Standards nicht vergleichbar“, stellt Ehler fest. Mit seinem Ansatz soll quasi das Modell der deutschen Unikliniken auf euro­päi­sche Ebene gehoben werden. Für den Anlauf einer Pilotphase wären nach seiner Schätzung in diesem Jahr etwa 50 Millionen Euro nötig. „Das könnte aus dem laufenden Forschungsprogramm finanziert werden“, sagt Ehler, der auch mit Budgetfragen betraut ist. Auf mittlere Frist würde dann „ein dreistelliger Millionenbetrag benötigt“.

Aber über die Finanzierung der künftigen EU-Forschung herrscht derzeit noch Uneinigkeit. Erwartet wird, dass während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab Juli eine Einigung erzielt wird. Für die europäische Coronaforschung kann dies nur von Nutzen sein.

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