Forschungsmission für Nord- und Ostsee: „Der Druck steigt“

Die Mission „SustainMare“ der Deutschen Allianz Meeresforschung befasst sich mit der Zukunft von Nord- und Ostsee. Die sieht düster aus.

Ein Helikopter fliegt über den Offshore-Windpark Riffgat in der Nordsee.

Ein Beispiel für konfliktreiche Nutzung der Nordsee: der Offshore-Windpark Riffgat vor Borkum Foto: Sina Schuldt/dpa

Osnabrück taz | Die Nordsee, die Ostsee: majestätische Ewigkeitsräume, so scheint es, über alles erhaben. Majestätisch? Gewiss, noch. Ewig? Nicht ganz, aber fast. Über alles erhaben? Definitiv nicht. Der Fischfang schädigt beide Meere, die Offshore-Energiegewinnung, die Handelsschifffahrt, die Einleitung agrarindustrieller Schadstoffe. Munitionsaltlasten und Plastikmüll machen ihnen zu schaffen, Chemikalien und Temperaturanstiege, Rohstoffabbau und Versauerung, Tourismus und Militär.

Die Stressfaktoren werden mehr. Die Zeit, ihnen entgegenzutreten, weniger. Aber Handeln ohne Wissen ist fatal, und noch immer gibt es auf viele Fragen keine Antwort. Die rund 280 WissenschaftlerInnen starke Forschungsmission „SustainMare – Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume“ der vom Bund und den Ländern Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern getragenen „Deutschen Allianz Meeresforschung“ (DAM) will diese Lücken füllen. Seit Ende 2021 untersucht sie die Nutzungs- und Belastungslage in Nord- und Ostsee.

„Der Nutzungsdruck steigt“, sagt Ozeanografin Corinna Schrum der taz. „Wir arbeiten also in einem starken Spannungsfeld.“ Die Professorin ist eine der Sprecherinnen der Forschungsmission. Am Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht leitet sie das „Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung“. Zur Mission trägt sie mit modellgestützten Vorhersagen zu Nutzungsszenarien bei, zu den Auswirkungen von Stressoren auf Ökosysteme. Ein rechenintensiver Computerjob vom Küstenschutz bis zum Sedimentmanagement von Häfen.

„SustainMare“ ist ein inter- und transdisziplinärer Verbund von 28 Projektpartnern, vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Kiel bis zum Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung der Universität Leipzig, von der Technischen Universität Hamburg bis zum Umweltbundesamt. Disziplinen von der Physik bis zur Sozialwissenschaft finden sich hier zusammen, von der Biologie bis zu den Ingenieurswissenschaften. Es gilt eine Grundlage für Handlungsentscheidungen zu schaffen – der Politik, der Behörden, der Wirtschaft.

Corinna Schrum, Ozeangrafin

„Wirklicher Schutz findet bisher nur auf wenigen Feldern statt“

„Wir haben keine Handhabe, Dinge selbst durchzusetzen“, erklärt Schrum. „Und die wollen wir auch gar nicht. Wir wollen nichts von oben herab tun. Wir wollen tiefgründig vorbereiten, für eine gesellschaftliche Debatte.“ Es gelte, Belastungen zu identifizieren, zu minimieren. Der Wunsch, die Meere zu schützen, sei „innig“. Aber es gebe vielfältige Nutzungsinteressen, und es sei unrealistisch, sich ihnen zu verschließen. „Man muss Dinge zusammendenken, den Ausgleich suchen, Kompromisswege. Wir stehen für niemandes Interessen. Wir forschen, denn es sind noch viele Fragen offen. Und wir diskutieren, mit allen Akteuren, allen Handelnden.“

Im Herbst dieses Jahres hat „SustainMare“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) in einer Konferenz Halbzeitbilanz ihrer auf drei Jahre ausgelegten Arbeit gezogen, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 25 Millionen Euro fördert. Eine Veranstaltung vom Symposion bis zum Workshop. Naturschutzverbände und Kommunen waren da, auch Politik und Industrie.

„Das war sehr beeindruckend“, resümiert Schrum, die die Konferenz geleitet hat. „Eine solch große Forschungsmission ist schon etwas ganz Besonderes.“ Schrum hofft, dass die Mission nicht nach drei Jahren endet. „Eine Verlängerung wäre sehr wünschenswert. Gute Forschung ist ja langwierig.“

Steht der Schutz hinter der Nutzung zurück, findet Raubbau statt. „Regelungen gibt es“, sagt Schrum. „Aber wirklicher Schutz findet bisher nur auf wenigen Feldern statt.“ Derweil werden Nord- und Ostsee immer mehr zu Industriezonen. Die Zielvorgaben des Windenergie-auf-See-Gesetzes sehen vor, dass sich die installierte Leistung von Offshore-Windenergieanlagen bis 2045 verzehnfacht. Die Warenströme per Seeverkehr versiegen nicht. Das Interesse, vor Deutschland Gas zu fördern, sogar in unmittelbarer Nähe zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, ist ungebrochen. Sand- und Kies wird weiterhin abgebaggert, in großem Stil.

Skeptikern reichen Studien alleine nicht

„Unsere größte Herausforderung ist, die unterschiedlichen Nutzungsinteressen mit dem Schutz unserer beiden Meere in Einklang zu bringen“, sagte Joachim Harms, der Vorsitzende der DAM, auf der Konferenz. Die DAM-Pilotmission „Ausschluss mobiler, grundberührender Fischerei in Schutzgebieten der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- und Ostsee“ hat gezeigt, in welche Richtung das zielen kann. Schrum: „So sieht man, welche Auswirkungen es hat, wenn keine Grundschleppnetze zum Einsatz kommen.“

Aber es gibt auch Skeptiker. „Klar, man kann tolle Monitorings durchführen“, sagt die Wattenschutz-Aktivistin Tanja Schlampp der taz, die mit ihrer Bürgerinitiative „Wattenmeer-Schutz Cuxhaven“ auch gegen die Hamburger Elbvertiefung und deren Schlickverklappungen protestiert. „Da macht man dann eine schicke Studie nach der anderen. Aber das alles nützt nichts, wenn man nicht auch endlich handelt. In der Zwischenzeit geht da draußen nämlich alles den Bach runter.“

Schlampp fürchtet, dem Ökosystem im Wattenmeer drohe ein Ökozid. „Wirklichen Schutz für die Umwelt gibt es da nicht.“ Sie vermisst langfristige Planungen. „Was passiert, ist doch immer nur dies: Man verursacht eine Belastung. Und dann betreibt man Krisenmanagement, um die wieder in den Griff zu kriegen.“

Es gebe gute Umweltgesetze, sagt sie. „Aber die sind sinnlos, wenn man sie nicht auch anwendet.“ Über die Politik, die Verwaltung, die Wirtschaft sagt sie: „Da wird doch oft getrickst, wo es nur geht.“ Man müsse endlich „ins Tun kommen“.

Und dann erzählt sie von der Außenelbe Nord und der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Klar, diese Richtlinie hat zum Ziel, einen „guten ökologischen Zustand“ zu erreichen, und spricht ein Verschlechterungsverbot aus. Aber Papier ist geduldig. „Was sehen wir denn dort an der Elbe?“, sagt Schlampp. „Die Lage hat sich während der letzten Jahre verschlechtert.“ Der ökologische Zustand der Außenelbe Nord sei mittlerweile auf der niedrigsten Stufe: rot, für „schlecht“, Klasse 5 von 5.

„SustainMare“ hat also noch viel Arbeit vor sich. In der Erhebung von Daten. In der Entwicklung von Konzepten. In der Überzeugungsarbeit. Aber es geht voran. Schrum: „Mein Eindruck ist: Wir finden Gehör.“

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