Elbfischer über Stinte und die Elbe: „Es kann nicht so weitergehen“

Lothar Buckow wurde in einem Leuchtturm geboren und ist einer der letzten Elbfischer. Ein Gespräch über das Sterben der Stinte und die Elbvertiefung.

Lothar Buckow

Will den Kindern keine kaputte Welt hinterlassen: Elbfischer Lothar Buckow Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Buckow, als Fischer braucht man viel Geduld, oder?

Lothar Buckow: Ja. Meine Frau hat mal zu mir gesagt, ich sei ein hoffnungsloser Romantiker. Allein auf der Elbe sein ist etwas ganz Besonderes. Bei der Reusenfischerei habe ich täglich vier Stunden Zeit, mir über Probleme Gedanken zu machen. Und ich sehe dann die Problematik von meinem Gegner oder meiner Partnerin und schaue mir das von verschiedenen Aspekten an.

Wer ist denn Ihr Gegner?

Im Moment bin ich ganz stark involviert gegen die Elbvertiefung. Ich habe hier in der Stube schon Politiker gehabt. Wenn man wie ich immer auf der Elbe ist, sieht man die Probleme der Elbvertiefung.

Welche Probleme genau?

Der Schlick, der aus der Elbe herausgebaggert wird, müsste an Land gebracht werden. Wenn der aus dem System erst mal raus ist, ist irgendwann Schluss mit dieser Unterhaltungsbaggerei. Das Bundesverkehrsministerium hat vor ein paar Tagen gesagt, dass sie überlegen, ob die Fähre in Wischhafen einen neuen Anleger bekommt, weil die Bagger nicht mehr in der Lage sind, das Fahrwasser für die Fähren frei zu halten. So viel Schlick ist da aufgekommen!

Wurde das Problem unterschätzt?

Man hatte 17 Jahre Zeit, um sich Gedanken zu machen, wo man den Schlick hinbringt. Wir haben hier die Ausgleichsfläche Hahnöfersand. Da ist die ganze Insel abgebaggert worden, als Ausgleich für die Airbus-Expansion im Mühlenberger Loch. Diese Bucht war mal die Kinderstube von Fischen, die ist zerstört worden. Und die Ausgleichsfläche ist jetzt schon zu einem Drittel mit Weiden zugewachsen und völlig verschlickt. In zehn Jahren wird die nicht mehr existieren, weil nichts daran gemacht wird.

62, hat zwei Kinder und lebt mit seiner Frau in Jork, wo sie ein gemeinsames Fischgeschäft betreiben. Buckow ist seit 37 Jahren hauptberuflich Fischer und verbringt je nach Saison zwischen 30 und 70 Stunden in der Woche auf der Elbe.

Hat das in den vergangenen Jahren Ihren Blick auf die Lokalpolitik verändert?

Das hat mit Lokalpolitik gar nichts zu tun, das ist große Politik. Herr Scheuer...

... der Bundesverkehrsminister von der CSU...

... der feiert hier die Eröffnung der Elbvertiefung, wobei sich alle eigentlich verstecken müssten, dass man 17 Jahre braucht, um eine Elbvertiefung durchzuboxen. Und zu was für einem Preis? Auf Kosten der Natur. Ich weiß überhaupt nicht, wer da glücklich sein kann. Die Politiker sollten sich alle in die Ecke stellen und schämen.

Wie sind Sie eigentlich Elbfischer geworden?

Nach dem Krieg sind meine Eltern aus Pommern an die Elbe gekommen und haben nebenberuflich gefischt. Mein Vater war Leuchtturmwärter. Ich bin im Leuchtturm geboren worden. Als ich so 18 war, hatte ich eigentlich nicht den Mut, Elbfischer zu werden. Die Elbe war damals mit Dioxinen kontaminiert, die Fische hatten dadurch Geschwüre.

Warum haben Sie sich trotzdem getraut?

Ich habe in Lüneburg Software Engineering studiert. Computer waren schon immer mein Steckenpferd. Aber ich habe eine Erbkrankheit, Muskelatrophie. Muskeln, die nicht ständig benutzt werden, verkümmern irgendwann. Und da ist die Feinmotorik vor die Hunde gegangen. Dann war ich in der Uniklinik Hamburg und die haben zu mir gesagt: Wenn du dein Studium beendest, wirst du mit 50 im Rollstuhl sitzen. Ich sollte was anderes machen. Dann habe ich beschlossen, Elbfischer zu werden.

Warum? Sie hätten auch Schlosser werden können.

Ich denke, das hat man mir in die Wiege gelegt, die Fischerei. Das hat mir Spaß gemacht und damals sind ja auch noch jede Menge Fische gefangen worden. Dann habe ich den Mut gefasst und das spezialisiert. Ich habe 1983 mit der Stintfischerei angefangen und dann habe ich den ganzen Hamburger Fischmarkt beliefert, alle Restaurants in Hamburg. Das ist unvorstellbar gewesen. Keiner hatte den Stint mehr auf dem Zettel. Für die Gastronomie ist es ganz wichtig gewesen, alle wollten Stint essen.

Obwohl der Fluss so vergiftet war?

Die Stinte verbringen 90 Prozent ihres Lebens im Nordatlantik. Die werden hier geboren, bleiben ein halbes Jahr und dann schwimmen die ins Meer. Die kommen erst wieder, wenn sie geschlechtsreif sind, laichen hier ab und sterben. Die haben also nicht genug Zeit in der Elbe verbracht, um davon betroffen gewesen zu sein.

Bereitet Ihnen Ihre Krankheit beim Fischen keine Probleme?

Das bereitet mir schon Probleme, weil die fehlende Feinmotorik mich einschränkt. Aber irgendwie bekommt man das schon hin, der Körper stellt sich darauf ein.

Wie sieht denn so ein Tag als Fischer auf der Elbe aus?

Die meisten Leute denken immer, wenn die Sonne aufgeht, muss man zum Fischen auf die Elbe fahren. Aber dem ist nicht so, wir haben hier ja ein Tidegewässer, Ebbe und Flut. Das Ganze ist also abhängig vom Mond. Wenn heute um 8 Uhr Hochwasser ist, ist es morgen um 9, übermorgen um 10. Das verschiebt sich jeden Tag ungefähr eine Stunde. Das ist das Schlimmste an diesem Job. Wenn ich im Winter Stinte fische, geht das rund um die Uhr. Alle sechs Stunden arbeite ich zwei Stunden. Aber das verschiebt sich jeden Tag um eine Stunde.

Sie sind heute einer der letzten hauptberuflichen Stintfischer. Warum?

Das ist schon eine heftige Geschichte. Um das Jahr 1900 herum gab es noch 1.200 Fischereibetriebe, die nur vom Fisch aus der Elbe gelebt haben. Jetzt sind es eben nur noch drei. Und selbst diese drei Betriebe können von dem Fischfang in der Elbe kaum noch leben. Heute kann ich es niemandem empfehlen, Elbfischer zu werden, weil einfach die ganzen Stinte nicht mehr da sind. Das ist eine wichtige Fischart.

Wichtiger als andere?

Der ist extrem wichtig, weil alle anderen Fische auch von diesem Fisch leben. Die ganze Natur lebt davon. Wenn es keinen Stint gibt, dann gibt es auch keine Seeschwalbe.

Die frisst den Stint auch.

Die ganze Natur hat sich darauf eingestellt, dass hier am Fluss Elbe alles vom Stint lebt, wenn dann einmal dieser wichtige Fisch nicht mehr da ist, dann bricht vieles auseinander.

Wird der Stint auch von der Elbvertiefung bedroht?

Das ist die erste Elbvertiefung, bei der kein Schlick aus dem System Elbe herausgenommen wird. Er wird vor den Toren Hamburgs gebaggert und dann bei Cuxhaven wieder in den Fluss geschmissen. Und durch Ebbe und Flut dauert das drei, vier Wochen, dann ist das alles wieder hier. Das ist eine Endlosbaggerei, die dazu geführt hat, dass der ganze Fluss verschlickt und auch nicht mehr so klar ist. Wenn die Stinte aus den Eiern schlüpfen, sind sie sehr klein. Die müssen innerhalb von zehn Tagen lernen, Nahrung zu suchen. Durch das verschlickte Wasser verschleimen aber die kleinen Kiemen und dann sterben die.

Das gefährdet auch Ihre Zukunft.

Wie es weitergehen wird, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich nach wie vor dranbleiben und mich einsetzen werde, um der Elbe etwas Gutes zu tun. Es kann nicht so weitergehen, wie jetzt mit der Natur umgegangen wird. Es kann doch nicht angehen, dass meine Enkelkinder irgendwann nicht mehr vernünftig auf der Welt leben können. Was ich zu verantworten habe!

Wieso haben Sie das denn zu verantworten?

Ich gehöre zu einer Generation, die sich viel zu wenig um die Natur gekümmert hat. Wir können doch nicht einfach Kinder in eine Welt setzen, die wir kaputt gemacht haben. Das finde ich verkehrt und darum setze ich mich hier auch so dafür ein, dass man das verbessert.

Sie sind trotz Ihres handwerklichen Berufs auch noch ein Kopfmensch geblieben, oder?

Als ich noch studiert habe, haben wir mal ein Buch des Club of Rome besprochen, das zum ersten Mal auf die Grenzen des Wachstums aufmerksam gemacht hat. Damals ging es um Innovation und was das heißt. Innovation ist wie ein Schachspiel, man muss nicht einen Zug vorausdenken, sondern drei, vier, fünf Züge.

Was heißt das für Sie? Wie lange wollen Sie noch fischen?

Gesundheitsbedingt so lange es geht. Also Stillstand ist Rückgang und ich muss immer so ein bisschen aktiv bleiben. Deswegen hoffe ich mal, dass ich auch noch mit 70 auf der Elbe rumkrebse. Jetzt bin ich 62. Im Augenblick habe ich noch richtig Lust dazu.

Suchen Sie denn schon nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger?

Nein, aber ich würde mich freuen, wenn ich jemanden finde, der meinen Laden übernimmt, mit mir als Fischer. Ich würde ihm dann in ein, zwei, drei Jahren die Elbfischerei beibringen. Aber es ist eben schwierig geworden, Stint ist ein ganz wesentlicher Faktor für das Überleben unseres Geschäfts. Wenn ein wichtiger Fisch wie der Stint nicht mehr da ist, erschwert es das eben, als Elbfischer über die Runden zu kommen.

Aber mit den richtigen Maßnahmen könnte sich das wieder verbessern?

Ja, das könnte sich wieder verbessern.

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