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Forschungsförderung gegen Corona-VirusEine rein medizinische Task Force

Die Universitätsforschung im Kampf gegen Corona wird gestärkt. Sozialwissenschaftliche Ansätze aber bleiben auf der Strecke.

Die Task Force: Anja Karliczek, Christian Drosten (rechts) und Charité-Chef Heyo Kroemer Foto: Michael Kappeler/reuters

BERLIN taz | Die Nationale Task Force zur Steuerung und Abstimmung der Anstrengungen zwischen der deutschen Universitätsmedizin und der Politik im Kampf gegen das Coronavirus wird sich auf medizinische Forschungsfragen fokussieren. Das erklärte ein Sprecher des Bundeswissenschaftsministeriums (BMBF) am Dienstag gegenüber der taz. Man arbeite „mit Hochdruck“ daran, dass die Task Force „demnächst“ ihre Arbeit aufnehmen könne.

Demnach soll die Task Force, deren Gründung die Bundeswissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) bereits am 26. März angekündigt hatte, weniger als schnelle medizinische Eingreiftruppe operieren denn als Organisationsteam zum Aufbau eines Netzwerks über alle Universitätskliniken in Deutschland hinweg. Informationen über erfolgreiche Behandlungen schwer kranker Corona-Patienten sollen auf diese Weise schnell und zuverlässig geteilt werden können. Geleitet wird dieses Team vom Vorstandsvorsitzenden der Berliner Charité, Heyo K. Kroemer. Nach heutigem Stand, hieß es aus dem Ministerium, beteiligten sich alle Universitätskliniken.

Weitere Einzelheiten über Zusammensetzung, Arbeitsweise, Erreichbarkeit und inhaltlicher Schwerpunktsetzung der Task Force sind auch zwei Wochen nach ihrer Ankündigung nur schwer in Erfahrung zu bringen. Die Strukturen der Koordinierungsstelle und des gesamten Netzwerkes befänden sich „derzeit im Aufbau“, teilte am Dienstag eine Sprecherin der Charité der taz mit.

Verfahrensweisen, Prozesse und Zuständigkeiten würden „so schnell wie möglich“ geklärt, zeitgleich würden „die Projektbeteiligten angesprochen“. Von besonderer Bedeutung sei „selbstverständlich die Nationale Task Force selbst“, doch müssten deren Details erst noch „zwischen Politik und Wissenschaft abgestimmt“ werden. „Sobald die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, werden die Partner des Netzwerks die Details veröffentlichen und Vertreter der Medien informieren“, versicherte die Charité-Sprecherin.

Soziale Fragen werden ausgeklammert

Klar scheint indes bereits jetzt zu sein: Andere als medizinisch-naturwissenschaftliche Fragestellungen sollen weitgehend auf der Strecke bleiben. Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung, das stellte der Sprecher des Wissenschaftsministeriums gegenüber der taz klar, „wird nicht Schwerpunkt der Arbeit des Nationalen Netzwerkes der Universitätsmedizin sein“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft habe jedoch eine Ausschreibung auf den Weg gebracht, „die sich auch an diese Disziplinen richtet“. Und auch das BMBF habe seinerseits einen Förderaufruf gestartet, an dem sich auch die Sozialwissenschaften beteiligen könnten.

Eine zweite Nationale Task Force, die sich rein sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsfragen widmen würde, ist dagegen nicht geplant. Und mit einer luxuriösen 150-Millionen-Euro-Förderung, die das Ministerium gerade in die medizinisch-naturwissenschaftliche Corona-Forschung pumpt, dürften die sozial- und wirtschaftswissenschaftlich Forschenden auch kaum rechnen dürfen: „Aufgrund der unterschiedlichen Ansätze ist es nicht möglich, ein Finanzvolumen für diese Förderung anzugeben“, so der Ministeriumssprecher zur taz.

Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD), ein unabhängiges Gremium aus empirisch arbeitenden Wissenschaftlern sowie Vertretern öffentlicher Einrichtungen zur Datenerhebung, das die Bundes- und Landesregierungen seit 2004 zu Forschungsbedarfen der empirischen Sozial-, Verhaltens- und Wirtschaftswissenschaften berät, reagierte mit Unverständnis und Bedauern: „Bisher sind wir in die Task Force nicht eingebunden“, sagte der RatSWD-Sprecher Mathias Bug der taz.

Einkommen, Bildungs- und Migrationshintergrund, Geschlecht und Alter dürften eine erhebliche Rolle für die unmittelbare individuelle Betroffenheit spielen

Mathias Bug, RatSWD-Sprecher

„Wir sehen die Einbindung des RatSWD aber als einen zentralen Baustein, diese wichtigen Kopplungen zwischen medizinischer und sozialwissenschaftlicher Forschung zu bewerkstelligen.“ Auch die drohende finanzielle Benachteiligung der sozialwissenschaftlichen Forschung gegenüber der naturwissenschaftlichen Forschung bei der Vergabe von Fördermitteln und Forschungsaufträgen sei schwer erträglich: „Es ist nicht sinnvoll, Forschungsinitiativen aus Bord- oder Restmitteln zu steuern“, so Bug.

Bug regte in diesem Zusammenhang Langzeitstudien an, die die symptomlose Verbreitung des Coronavirus und die individuellen sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer Ansteckung untersuchen könnten. Zu empfehlen sei daneben, wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche und seelische Folgen der Pandemiebekämpfung in Panel-Langzeitstudien zu erheben. „Einkommen, Bildungs- und Migrationshintergrund, Geschlecht und Alter dürften eine erhebliche Rolle für die unmittelbare individuelle Betroffenheit spielen“, so Bug. Erst wenn hierüber empirische Evidenz vorliege, sei „fundierte wissenschaftliche Politikberatung“ möglich.

Forschungsbedarf sieht der RatSWD daneben im Bereich der Schulschließungen und des digitalen Unterrichts. „Wir unterstützen mit Nachdruck die Forderung, dass auch die Nebenwirkungen dieser nicht-pharmakologischen Interventionen untersucht werden“, sagte Bug. Und schließlich gelte es, Faktoren zu erforschen, die das individuelle Verhalten in Haushalten beeinflussten, die Regeln während des Lockdowns zu befolgen oder nicht. „Für die Pandemiebekämpfung ist das kurz- wie langfristige Verhalten der Bevölkerung ausschlaggebend“, so Bug. „Hierüber wissen wir noch zu wenig.“

Das Wissenschaftsministerium investiert derzeit mehr als 300 Millionen Euro in die medizinische Bekämpfung von Corona. Hierzu zählt neben der Behandlung auch die Vorbeugung. Doch Erwartungen, dass man auf kurzem Wege zu einem Impfstoff gegen das Corona-Virus gelangen könne, dämpft das Ministerium derzeit. Ein Impfstoff müsse nicht nur wirksam, sondern auch sicher sein. Man werde keine Abstriche an Sicherheit und Wirksamkeit machen. Derzeit befinden sich erste Impfstoffe in der ersten klinischen Erprobungsphase. Diese Versuche können naturgemäß scheitern. Über die Aussage hinaus, dass ein Impfstoff frühestens 2021 zur Verfügung stehe, seien derzeit keine Voraussagen möglich.

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8 Kommentare

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  • Alle vom RatSWD aufgeführten wesentlichen Daten sind hochsensible Daten gemäß GDPR.



    Bevor man daran Hand anlegt, sollte zunächst ein klares Danteschutzkonzept verfügbar sein.

    Nicht alles, was sich die Kollegen wünschen, ist gesellschaftlich sinnvoll.

  • Mein erster Gedanke bei diesem Beitrag war, hier wird die Impfstoff-Produktion querfinanziert mit Steuermitteln

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Was soll denn die Sozialwissenschaft zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation beitragen?



    Sie kann doch nur eine Interpretation der Zustände liefern. Nett für eine Promotion und die anschließende Karriere, aber dadurch wird der Virus nicht beeinflusst.

  • Immerhin wird die Wissenschaft in der Corona-Krise von der Politik ernst genommen, aktiv eingebunden und sogar gefördert.

    Im Vergleich dazu wird die Klimakatastrophe, auf die die Menschheit zusteuert, ja leider fast komplett ignoriert bzw leichtfertig den kommenden Generationen aufgebürdet. Auf die Wissenschaft hört da kaum jemand in der Politik, auch wenn Greta immerhin etwas Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat.

    Greta und der Klimawissenschaft muss man wiederum vorwerfen, dass sie nur auf die Klimamodelle fixiert sind und die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte zu wenig wahrnehmen. Auch in die Klimadebatte müssen die Sozialwissenschaften eingebunden werden! Es ist wie bei Corona: nur Massnahmen, die von den Menschen verstanden und sozial akzeptiert werden, sind am Ende durchsetzbar und tatsächlich wirksam.

  • Warum "eine zweite Nationale Task Force, die sich rein sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsfragen" widmet?

    Könnte eine interdisziplinäre Gruppe nicht deutlich produktiver sein als zwei Gruppen, die aneinander vorbei arbeiten?

    Von einer solchen - bereits existierenden - Gruppe wird heute im Tagesspiegel berichtet, mit interessanten Zwischenergebnissen:

    taz.de/Forschungsf...na-Virus/!5677496/

    Die - leider wieder - reißerische Überschrift des Artikels:



    "Eine rein medizinische Task Force" wird noch im Artikel selbst widerlegt. Da heißt, "daß nicht Schwerpunkt der Arbeit des Nationalen Netzwerkes" auf den Sozialwissenschaften liegt, (trotzdem sind von der DFG und dem BMBF zwei Forschungsprojekte ausgeschrieben). - Das ist also nicht 'rein medizinisch'.

    Auch dürfte die Begründung: "Aufgrund der unterschiedlichen Ansätze ist es nicht möglich, ein Finanzvolumen für diese Förderung anzugeben", nicht ganz an den Haaren herbeigezogen sein. Die Kosten sind stark vom jeweiligen 'Forschungsdesign' abhängig.

    Sozialwissenschaftliche Forschung zu den ganzen Begleitumständen der Pandemie i s t wichtig und notwendig, wie sie überhaupt gesellschaftlich wichtig ist.

    Leider muß man heute hinzufügen: 'seriöse' sozialwissenschaftliche Forschung, Forschung, die den Namen 'Wissenschaft' verdient - und es gibt sie.

    Soweit die Sozialwissenschaften sich jedoch ins Fahrwasser unwissenschaftlicher Ideologien wie der identitätspolitischen 'Theorie' mit ihren diversen -studies begeben, sollten sie sich nicht wundern, wenn ihre gesellschaftliche Reputation - und sie war noch nie sehr groß - in der Gesellschaft vollends schwindet.

    Nicht wenige Naturwissenschaftler und andere Realisten blicken mit bassem Erstaunen auf die Produktivität der schier uferlosen Imaginationskräfte der identitären Theoretiker und auf deren Leichtigkeit, sich über das Gesetze Schwerkraft hinwegzusetzen.

  • Vollkommen unverständlich! Jedes Menschenleben zählt hört man ständig wenn es um leichteste Kritik an der rigiden Vorgehensweise und der Eindämmungsmaßnahmen geht. Ein Totschlagargument, vorgetragen, als wären alle per Hirnwaschung darauf geeicht. Wie verlogen das ist sieht man daran, was bei anderen Themen passiert in der Prä-Coronazeit: Egal ob Straßenverkehrstote auf Autobahnen oder toten Winkeln an Abbiegespruren, Feinstaub durch Verkehr in Großstädten und frühzeitiges Ableben da Lunge kaputt, Antibiotikaresistenzen die nicht angepackt werden...alles zu teuer und Wirtschaft verkraftet das nicht. Von internationalen Themen wir Klimawandel, Kinderarbeit, Toten durch Malaria (und keinerlei Forschungsgelder dafür) mal ganz zu schweigen...



    Und nun, da die Menschen (richtigerweise mit hunderten Milliarden Euros) und Herr Scholz sagt, dass genug Geld da wäre, wieder die unbequemen Nebenkriegsschauplätze die der Gesellschaft und auch den Politikern mit ihren selbstherrlichen Entscheidungen den Spiegel vorhalten könnten runterfallen ist klar, denn da ist dann plötzlich kein Geld mehr da.



    Darf ich das Wort "widerlich" verwenden? Danke, es ist widerlich nicht wissen zu wollen wie wer in der Gesellschaft damit klar kam: Hartzer, Leute in kleinen Wohnungen, Kinder ohne Garten und Spielplatz, Kleinunternehmer, Betoffene in prekären Lebensumständen, Familien betroffener Helfer, Hilfsbedürftige, alte, Kranke eingesperrt zu Hause... Dass ich jetzt nicht noch nach internationalen Wertschöpfungsketten frage und wie die dort damit klar kamen, dass bei uns keiner zu viel stirbt; Näherinnen in Bangladesh, Steinzeughersteller in Indien oder China, dortige Tagellöhner und woher Schulgeld deren Kinder, Arztkosten... da mache ich mich dann vollends lächerlich sollte ich das denn tatsächlich ernst meinen. Wo kämen wir denn da hin?



    Oder wie Eingangs erwähnt: Nein, es zählt nicht jedes Menschenleben, nur ganz bestimmte und willkürlich festgelegt, in den Zentralen der Beliebigkeit.

    • @Tom Farmer:

      Ein Schritt nach dem anderen! Sonst stolpert man nämlich...

    • 8G
      83492 (Profil gelöscht)
      @Tom Farmer:

      "Vollkommen unverständlich! .... Oder wie Eingangs erwähnt: Nein, es zählt nicht jedes Menschenleben, nur ganz bestimmte und willkürlich festgelegt, in den Zentralen der Beliebigkeit."

      Das liegt eben in der Natur eines Nationalstaates. Der spannt seine Bürger ins Joch und die unterwerfen sich seinen Regeln, weil sie überzeugt sind, dass sie so selber besser fahren.



      Die Bereitschaft der Bürger sich den Zumutungen des Staates zu unterwerfen wird sicher deutlich abnehmen, wenn die Vorteile auch denen zugute kommen, die nichts für diesen Staat leisten.

      Es mag sein, dass Sie sich nicht nur als Weltbürger fühlen sondern auch so handeln.



      Ich denke aber, dass global betrachtet die Zahl der Menschen die sich einer globalen Solidargemeinschaft verpflichtet fühlen, nahe Null liegt.