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Formal urban

Städtebau mit Nostalgie, oder wie die Westberliner Erfahrungen nachder Wende Lebenslügen zementierten. Teil II der Serie „Arche WB“

von Hans W. Hoffmann

Nirgendwo hatte das wieder vereinte Berlin die Chance, sein städtebauliches Ideal so reibungslos in die Realität zu führen wie in den „Neuen Vorstädten“. Nach der Wende wuchsen sie ohne jeden Zwang auf den Feldern nördlich von Karow oder südwestlich von Altglienicke. Aus der Vogelperspektive offenbaren sie eindeutig das Vorbild der traditionellen Stadt, das auch sonst beim Bauen in Berlin den Bezugspunkt abgibt. Formal sind die Baumassen nach dem Muster der Stadterweiterungen um 1900 arrangiert: Die Geschosse sind gestapelt, zumeist mindestens vierfach; die Bauwerke formen Höfe und Straßen; immer liegt an zentraler Stelle ein Platz mit klar formulierten Wänden, der Kreissegmente beschreibt und damit an den Viktoria-Luise-Platz erinnert, jenem Ort, an dem seinerzeit der für die Genehmigung verantwortliche Senatsbaudirektor Hans Stimmann wohnte. Man sieht ihnen förmlich an, wie ihre Planer in der gewesenen Gestalt die Garantie für zukünftige Urbanität sahen.

Freilich sind die Plätze weit weniger belebt als ihre Vorbilder. Zu weit liegen die Neuen Vorstädte von den Zentren gewachsener Urbanität. Selbst zur nächsten Nachbarschaft suchen Neu-Karow wie Altglienicke keinen Bezug. Um aber aus sich selbst heraus zu leben, sind die Quartiere zu klein. Vor allem aber sorgte das Nutzungskonzept dafür, dass die projektierte Bewohnerzahl in der Praxis fast nie anwesend ist. Es umfasste nur Wohnungen und unmittelbar damit verbundene Einrichtungen wie Kitas, Schulen und Läden für die Grundversorgung. Indem den Bewohnern weite Wege zur Arbeit wie zur Freizeit aufgezwungen werden, degradiert es die Neuen Vorstädte zu Schlafstätten.

Doch nicht nur das: Indem sie Bewohner binden, rauben sie auch den Stadtzentren Vitalität. Das Festhalten an der Form der Vergangenheit hat den gleichen Effekt. Das deutlichste Beispiel dafür ist der Pariser Platz, der detailverliebter rekonstruiert wurde als sonst ein Ort: Die Trittsperren sind wieder aufgestellt, die alten Brunnenfundamente reaktiviert. Das Ergebnis ist formal konsequent, aber nutzlos, weshalb nur Touris den Pariser Platz mit ihrer Anwesenheit beehren. Dass zur Tradition des öffentlichen Raums auch gehört, avantgardistische Angebote zu machen, war offensichtlich kein Planungskriterium. Nichts anderes aber waren Brunnen, Beleuchtung und Fernsprecher zu ihrer Zeit. Heute, da fließend Wasser und Handys jedem Privatmann zur Verfügung stehen, kann die gewesene Gestalt nicht mehr als Kulisse sein. Der traditionellen Stadt, die durch das Festhalten an ihrer Form in die Gegenwart gerettet werden sollte, wurde letztlich der Todesstoß versetzt.

Dass die Urbanität nicht der Form folgt und schon gar nicht der Form der Vergangenheit, ist derart offensichtlich, dass man sich fragt, wie die Planer etwas anderes annehmen konnten. Die Antwort findet man, klopft man Karow und Altglienicke genauer auf ihre Vorläufer ab: Bauprogramm, Gestalt und Städtebau ähneln weniger der traditionellen Stadt als vielmehr den Bauten, welche die Internationale Bauausstellung in den Achtzigern errichtete. Die Neuen Vorstädte sind ein Stück Westberlin in der wieder vereinten Stadt.

Für die Mauerstadt war es nur zu verständlich, dass sich der Denkhorizont auf die Vergangenheit verengte und dass man glaubte, mit gewesenen Formen Urbanität quasi herbeibauen zu können. Westberlin hatte keine Zukunft. Nach Wolf Jobst Siedler war es nach dem 2. Weltkrieg nur noch das „Skelett der einstigen Weltstadt“. Es lebte zunehmend von seiner Geschichte. Von daher war es kein Wunder, dass sich Westberlin „Stadt“ nur noch als „traditionelle“ Denken konnte.

Tatsächlich fand die eigentliche Amputation nicht durch den Krieg, sondern durch die Teilung statt. Beschränkten sich die Schäden 1945 in erster Linie auf die Hardware, setzte nach dem Mauerbau ein Verlust des gesellschaftlichen Lebens ein, den man anders als den an Bausubstanz nicht kompensieren konnte. War Westberlin schon mit der Gründung der beiden deutschen Staaten seiner administrativen Bedeutung beraubt, suchte später auch die Wirtschaft das Weite. Auch die Medien waren nun anderswo zu Hause. Schließlich gingen die kulturellen Köpfe ins Exil, Günter Grass nach Schleswig-Holstein oder Hans Magnus Enzensberger nach München.

In Ermangelung privater Investoren degenerierte der Immobilienmarkt zur Kommandowirtschaft. Politisch war das Sterben nämlich nicht gewollt. Im Gegenteil. Zuwendungen aus der BRD konservierten das Skelett nicht nur, sondern bauten es noch aus. Staatliche Städtebauprogramme untermauerten den Anspruch der Stadt auf Existenz. Sie ausfüllen konnten die Pläne freilich nicht. Und wenn ein Binnenleben entstand, dann in den Überresten der Gründerzeit, die die IBA schließlich mit Sozialwohnungen nachzubauen suchte.

Den Stamokap-Städtebau Westberlins unterschied letztlich nur die nostalgische Note von den Methoden, mit denen man im Ostteil zu Werke ging. Unter den Frontstadtbedingungen war er opportun. Nach der Wende wurden mit ihm freilich Lebenslügen zementiert. Die Neuen Vorstädte und der Pariser Platz sind die offenkundigsten Beispiele, dass im wieder vereinten Berlin zwar der Form halber „Stadt“ gebaut wurde, aber weiterhin losgelöst von ihren Lebensprozessen. Immer noch anhängig ist dieses Verfahren in den Entwicklungsgebieten: Bei der Wasserstadt am Spandauer See bürdet sich das Land Berlin hohe Defizite auf und lässt erneut vor allem Wohnungen errichten, die keiner braucht. Dagegen werden wirklich stadtrelevanten Vorhaben wie dem medizinischen Forschungscampus Buch kaum die nötigen Renovierungsmittel bewilligt.

Ein ganz aktuelles Exempel ist das Planwerk Innenstadt. Nachdem der 1997 vorgestellte Masterplan kaum mehr war als ein ästhetisches Bekenntnis zur traditionellen Stadt, das – insbesondere bei den baulichen Hinterlassenschaften der Moderne – schon architektonisch im Konflikt mit der bestehenden Stadt stand. Durch die Überarbeitungen der letzten Jahre ist er ihrer Lebenswirklichkeit zwar deutlich näher gekommen. Gleichwohl stehen den Zielen des Planwerks immer noch fiskalpolitische Interessen entgegen: Die Immobilien aus dem Besitz des Landes Berlin wollen die Stadtkämmerer möglichst Gewinn bringend veräußern, was zweifellos eine Business-City zur Folge hätte. Das Ideal der traditionellen Stadt verlangt dagegen den Verkauf an städtisch handelnde Bürger, die es heutzutage freilich nicht gibt.

Um Bewohnern zu ermöglichen, wieder zu Investoren zu werden, hatte Winfried Hammann 1998 im Stadtforum eine „Bürgerstadt Berlin AG“ vorgeschlagen, einen Immobilienfonds, dessen Anteile mit einem Nutzungsrecht verbunden sein sollten. Da die Politik auf dieses Modell nicht eingegangen ist, haben Hammann und eine Gruppe Berliner Urbanisten nun begonnen, es in privater Regie umzusetzen. Ein erstes Projekt ist neben der Friedrichwerderschen Kirche vorgesehen. Wenn der Senat das entsprechende Grundstück demnächst vergeben wird, kann er beweisen, dass er mittlerweile seine Investitionspolitik mit den der Stadt innewohnenden Gesellschaftspotenzialen in Einklang zu bringen vermag.

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