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Foltergefängnisse in SyrienDen Kerker im Kopf

Der Syrer Muhammad Daud saß 13 Jahre in Haft des gestürzten Regimes von Baschar al-Assad – und ist nun ein gebrochener Mann. Wie seine Familie ihm helfen soll, weiß sie nicht.

Kleine Zellen, Dunkelheit, Schmutz: In diesen Verhältnissen war Muhammad Daud im Gefängnis Sednaya in Syrien jahrelang eingesperrt Foto: Antonio Pedro Santos/epa

Damaskus taz | Muhammad Dauds Schwester Nahed zeigt auf ihrem Handy ein Video des Moments, als ihr Bruder zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder sein Zuhause betritt: Er sieht erschöpft aus, starrt ungläubig auf seine Familie, die Freunde und die Nachbarn, die ihn freudig in seinem Zuhause am Rande der Altstadt von Damaskus empfangen. Er scheint niemanden zu erkennen. Und wirkt, als stünde er neben sich, als sehe er einen Film an, an dem er selbst nicht beteiligt ist. Seine Mutter weint. Jemand hebt den grauen Pullover des Mannes an: „Er ist es, er hat ein Muttermal an der gleichen Stelle.“

Es sind Muhammad Dauds erste Schritte in Freiheit. Eigentlich ein Freudentag – hätte Muhammad im Kerker des nun gestürzten Diktators Baschar al-Assad nicht buchstäblich seinen Verstand verloren. Dreizehn Jahre hat er in Syriens berüchtigtster Haftanstalt Sednaya verbracht, im Volksmund auch bekannt als „der Schlachthof“.

Nahed Daud, seine Schwester, sagt: Muhammad hätten sie erst nach stundenlanger Suche in den riesigen Trakten des Gefängnisses entdeckt. „Wir haben ihn erst nicht gefunden. Dann sagte uns jemand, da gebe es noch eine Küche. Dort gab es drei Räume: Einer war voller Leichen, der andere voller Knochen und im letzten fanden wir vier Männer. Einer davon war mein Bruder“, erzählt sie. Die Türen waren offen, aber die Männer und ihr Bruder trauten sich nicht nach draußen. „Als wir ihn fanden, fragten wir ihn: Wie heißt du? Er sagte: Ich bin eine Nummer, wenn ich meinen Namen nenne, bringen sie mich um.“

Nachdem Muhammad ein paar Tage zu Hause verbracht hatte, erzählt sie, brachte die Familie ihn in ein Krankenhaus in Damaskus. Wann er wieder nach Hause kommt, kann keiner sagen. „Es ging einfach nicht mehr“, erzählt sein Vater Usama Daud. „Der Kopf meines Sohnes ist bei dem alten Regime, im Gefängnis und in der Folter stecken geblieben. Möge Gott ihn heilen.“ Sein Sohn habe niemanden mehr erkannt, nur unzusammenhängende Dinge geredet. Er glaubte, er sei immer noch im Gefängnis, erklärt der Vater.

Seine Mitgefangenen habe er zur Exekution bringen müssen

Sednaya war kein normales Gefängnis. Nahed Daud hat aus den unzusammenhängenden Erzählungen rekonstruiert, was ihrem Bruder dort wohl zugestoßen ist – und warum er so traumatisiert ist. Er habe vor allem tiefe Schuldgefühle und wolle jeden vor den Gefängniswärtern retten, schildert sie. Er habe seine Mitgefangenen zu den Exekutionen bringen und anschließend ihren Puls checken müssen. Wenn sie tot waren, habe er sie zu einer großen Presse, in der sie zusammengequetscht wurden, bringen müssen. Die Knochen habe er dann in Plastiktüten einsammeln und in einen gesonderten Raum bringen müssen. Alternativ habe er die Toten zu einer Grube bringen müssen, in der die Leichen mit Säure übergossen wurden, erklärt sie.

Die Geheimdienste des alten Regimes hatten es auf die Familie Daud wohl ganz besonders abgesehen: Sechzehn Familienmitglieder landeten während des Aufstands gegen Assad im Jahr 2011 im Gefängnis. Sie hatten bei einem der Cousins einen Laptop gefunden, mit Fotos von Verhaftungen und Checkpoints, die er mit der Opposition geteilt hat. Der Luftwaffengeheimdienst hatte die Internetverbindung bis in ihr Haus verfolgt.

„Unser Haus war voll mit Menschen. Denn der Teil unserer Familie, die in der ländlichen Umgebung von Damaskus lebte, war damals vor den Kämpfen zwischen den Rebellen und den Regimetruppen in unser Haus in die Innenstadt geflohen“, blickt Nahed Daud zurück. Das Regime habe damals praktisch alle jungen Männer mitgenommen. Der Besitzer des Laptops wurde im Gefängis getötet. Die meisten wurden später wieder freigelassen – außer Muhammad und ein Cousin, den die Familie immer noch sucht. Wahrscheinlich wurde er ebenfalls in einem der Gefängnisse des Assad-Regimes ermordet.

Nahed Daud holt Muhammads Personalausweis hervor. Das Foto darauf zeigt ihn als jungen Mann, 23 Jahre alt. Dann zeigt sie Bilder, wie er heute – 13 Jahre später – aussieht. Körperlich ist er älter geworden, auch an Gewicht hat er verloren.

„Du bist nicht mehr im Gefängnis“, sagt der Bruder

Muhammad liegt im Al-Muwaseh-Krankenhaus am anderen Ende der Stadt. Muhammads Bruder Maher Daud ist gerade zu Besuch, er saß selbst drei Jahre in Assads Kerker. Muhammad liegt in einem Einzelzimmer im Bett. Die Ärzte haben ihm eine Beruhigungsspritze gegeben. Er ist immer noch in einem Zustand der totalen Verwirrung.

„Er erkennt weder mich noch seinen Bruder“, sagt seine Mutter, die neben ihm am Bett steht und sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund hält. Muhammad glaube immer noch, er sei im Kerker. „Habe keine Angst, wir sind keine Mitgefangenen oder Wärter. Du bist nicht mehr im Gefängnis“, erklärt Maher Daud und streicht seinem Bruder liebevoll übers Gesicht.

„Schließt die Türe“, fordert Muhammad vehement. „Immer wenn die Türe aufgeht, greift er nach uns und sagt: Passt auf, sie werden auf euch schießen. Und dann tastet er unsere Rücken ab, um sicherzugehen, das wir nicht erschossen worden sind“, berichtet seine Schwester. „Überall sind Kameras“, warnt Muhammad in seinem Krankenzimmer.

Er nennt die Kameras „Gott“. „Zu Hause hatte er auf den Heizstrahler geblickt und gefragt, ob Gott mit ihm zufrieden sei“, erzählt seine Schwester. Die Familie habe ihn dann gefragt, wer Gott sei. Er habe ihnen erklärt: „Gott beobachtet dich mit seinen Computern, und wenn er einen Knopf drückt, öffnet sich die Zellentür.“

Traumatisiert in Assads Folterknästen

Muhammad greift an die Arme der Menschen um ihn herum. Er fühlt ihren Puls. „Gut, du lebst noch“, sagt er. Dann fährt er mit der Hand den Arm entlang und sagt: „Du bist nicht von der Säure verbrannt, das ist auch gut.“ „Was sie hier medizinisch für ihn tun können, ist begrenzt. Er braucht dringend eine echte Behandlung“, sagt sein Bruder Maher.

Als wir ihn fanden, fragten wir ihn: Wie heißt du? Er sagte: Ich bin eine Nummer, wenn ich meinen Namen nenne, bringen sie mich um.

Nahed Daud, Schwester von Muhammad

Muhammad Daud ist kein Einzelfall. Einige der befreiten Gefangenen aus den Kerkern Assads wurden dort zutiefst traumatisiert. Bisher sind sie und ihre Familien mit diesem ­Problem vollkommen alleingelassen. Und ob die Täter jemals zur Rechenschaft gezogen werden, ist wieder eine andere Frage. Assads Regime ist Geschichte. In den Köpfen der Menschen wird es aber wohl noch lange weiterleben.

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9 Kommentare

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  • Was Menschen anderen Menschen antun, ist erschütternd.

  • Ein wichtiger, ein sehr berührender Artikel. Eine konkrete Leidensgeschichte die hier mit einem Namen, einem Gesicht verbunden wird. Viele tausende werden nie gesehen, nie gehört werden.

    Um so wichtiger, dass immer und immer wieder berichtet wird!

  • Was für eine Grausamkeit. Die gesamte Welt braucht Diskussion und Kultur der Hilfe, des Beistands und zumindest des Versuchs einer Entschädigung.

    • @aujau:

      Entschädigung?



      Wie wollen Sie einen derart zerstörten Menschen entschädigen?



      Darf man in diesem Zusammenhang die Frage nach den palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen stellen?



      Oder, was geht in manchen Haftanstalten in Deutschland, aktuell diskutiert in Bayern, vor?



      Transparenz ist das Gebot.



      Mir scheinen die Gefängnismauern weniger für das Einsperren der Insassen zu stehen, als vielmehr für die Aussperrung der Öffentlichkeit.



      Jetzt konstruieren Sie bitte hieraus bitte nicht die absolute Straffreiheit. Manche Menschen darf man nicht in die Freiheit entlassen. Aber auch hier: nur unter menschenwürdigen Bedingungen.



      So die Meinung eines Laien.

      • @LeKikerikrit:

        Es ging mir darum, angesichts der Zerstörung von Menschen, die weltweit in vielen Institutionen wie Familie und Staat, Militär und Kirche und so weiter geschieht, die Notwendigkeit einer Diskussion darüber zu benennen.



        Das dies in viel zu vielen Fällen nur beim Versuch einern Entschädigung bleiben kann, ist mir durchaus bewusst. Dar man in diesem Zusammenhang die Frage nach den Millionen von misshandelten Kindern stellen? Mal nur so nebenbei - es sterben jede Woche allein in Deutschland zwischen 2 - 3 Kinder an den direkten Folgen von Misshandlung. Grausamkeit findet überall statt, nicht nur im Gefängnis. Und nein, ich bin durchaus nicht für Straffreiheit. Es muss allerdings zur Herstellung von menschenwürdigen Bedingungen sowohl eine andere wirtschaftlich-politische Gewichtung und ein Kulturwandel her. So die Meinung eines Laien.

  • Mein erster Gedanke war: oh, mein Gott. Aber selbst dieses Wort haben sie entweiht.



    Die Täter sind mit dem Wort "Psychopaten" wohl nur unzureichend beschrieben. Aber mir fällt kein passenderes ein. Sie werden getürmt sein - aber wie erkennt man diese Schergen - wenn sie "draußen" rumlaufen?



    "Experten" dafür, wie man Menschen wie Muhammad helfen könnte, kann es eigentlich nicht geben. Die Taten, die Erlebnisse sind einfach zu krass, zu krank.



    Ein hilfloser Versuch wäre vielleicht: draußen sein, keine Mauern sehen, vielleicht sinkt dann allmählich ein, dass es kein Gefängnis sein kann. Und wenn menschliche Gesellschaft, dann die von Frauen - einfach deshalb weil auch das ein Zeichen sein kann, dass es nicht mehr die Hölle ist - denn ich will mir nicht vorstellen, dass unter den Folterern auch Frauen waren....

    • @Monomi:

      Das ist leider nicht auszuschließen. Erinnert sich noch jemand an die Bilder aus Abu Ghreib?

  • Eine so erschütternde Geschichte liest man selten.

  • Annette Hauschild , Autor*in ,

    Dem Mann ist furchtbares widerfahren. Kein Wunder, dass er geistig gebrochen ist. Er braucht eine gute psychiatrische Betreuung, die auf Folteropfer spezialisiert ist. Welche Organization kann das, die auch arabisch spricht?