Folkpunkband Gogol Bordello: Irgendwie am Leben bleiben
Siegesgewiss, trotz des Krieges: die ukrainisch-amerikanische Folkpunkband Gogol Bordello und ihr neues Combat-Rock-Album „Solidaritine“.
Eugene Hütz springt ekstatisch zwischen ukrainischen Soldat:Innen herum und brüllt „Sili Peremogi“ (ukrainisch für: die Truppen des Sieges) ins Mikrofon. Der ukrainisch-amerikanische Sänger singt für die Streitkräfte der Ukraine. Unterstützt wird er von Musiker:Innen des Orchesters der ukrainischen Grenztruppen.
Das Ganze trägt sich am 24. August 2022 zu, es ist kein normaler Feiertag: An diesem Tag begeht man in der Ukraine die Unabhängigkeit, aber genau da befindet sich das Land seit sechs Monaten im Krieg. Von Beginn des russischen Angriffskrieges an organisierte Hütz, der 50-jährige Sänger der US-Gypsy-Folkpunk-Band Gogol Bordello, Solidaritätskonzerte und Unterstützungskampagnen für das geschundene Land. Dort wurde er 1972 aich geboren, verbrachte seine Kindheit und Jugend.
Hilfsgüter auf der Militärbasis
Auf der Webseite der Band finden sich umfangreiche Informationen darüber, wie man der Ukraine, den Menschen vor Ort direkt helfen kann, den Krieg zu gewinnen. Am 24. August ist Eugene Hütz deshalb auch selbst in die Ukraine gereist: In einer Militärbasis, übergibt er Kartons mit Hilfsgütern und spielt dann auch das Lied, das er der ukrainischen Armee gewidmet hat: „Forces of Victory“.
Für Hütz begründen die Lieder, die er den sich tapfer wehrenden Ukrainer:Innen widmet, ein neues Genre: „Combat Rock“, einen Titel, den auch ein Album der britischen Punkband The Clash trägt, auch sie Vorbild für die Musik von Gogol Bordello.
Gogol Bordello: „Solidaritine“ (Casa Gogol/Cooking Vinyl/TheOrchard)
Ein weiteres Lied von Gogol Bordello, „Teroborona“, ist den Angehörigen der ukrainischen Territorialverteidigung gewidmet. Der Videoclip ist ein Puzzle aus Aufnahmen von Gogol Bordello und Fotos, die entschlossene Ukrainer:Innen in Uniform und an der Waffe zeigen. Hütz presst und peitscht die Worte aus sich heraus. Er singt hier in seiner Muttersprache.
Das Ukrainische, das weicher klingt als das Russische, das rollende slawische R aber beibehält, passt gut zu den schnellen, harten Beats und der rockigen Gitarre. Hütz nimmt immer wieder das Akkordeon in die Hand und spielt. Eine Verbeugung vor der Volksmusik der Ukraine, die er mit 16 Jahren, im Jahr des Mauerfalls, freiwillig verließ.
Nur das Nötigste mitnehmen
Hütz widmet den vielen Menschen, die vor dem Krieg flüchten mussten, auch ein Lied: „Take Only What You Can carry“. In die Musik eingewebt ist eine optimistische, fast heitere Stimmung. Die (musikalisch) hoch oben tanzende Geige, gespielt von Sergey Ryabtsev, macht aus dem Hindernislauf immer wieder einen leichtfüßigen Reigen. „Forces of Victory“ und „Take Only What You Can Carry“ sind auf dem neuen Album von Gogol Bordello zu finden, das vor Kurzem veröffentlicht wurde.
Sein Titel ist Programm: „Solidaritine“. Das Cover auch: Es erinnert an einen expressionistischen Holzschnitt und zeigt ein Piratenschiff mit einem gelb-blauen herzförmigen Segel auf hoher See. Diese wunderbare Grafik wird im Clip des Songs „Focus Coin“ lebendig. Der Songtext beginnt mit den Worten „Staying alive“ und geht in einen wilden Rhythmus über. Er handelt vom Wegrennen und Überleben.
Und die bewegte Grafik zaubert dazu poetische Bilder, die mit dem „Schiff Ukraine, ausgesetzt in den haltlosen Wogen des Meeres“, zu tun haben. Winzige Sterne der Zuversicht leuchten über dem schwarz-weißen Piratenschiff mit dem leuchtenden Farbsegel auf. Das wiederum bewegt sich sicher auf den Wellen, die das Schiff umtosen wie ein schützendes Nest.
Brücke nach Europa
„Solidaritine“ ist das elfte Album der Band seit ihrer Gründung 1999. Eugene Hütz, seit 1992 in den USA, hatte sich damals den Bandnamen Gogol Bordello ausgedacht, in dem eine direkte Brücke nach Europa, in die Ukraine verankert ist, da er sich auf Nikolai Gogol, den großen Satiriker des 19. Jahrhunderts, beruft. Gogol, 1809 in der Ukraine geboren, besaß auch eine umfangreiche Sammlung zum traditionellen Volksgut, was sich in einigen seiner Werke widerspiegelt.
Die Folk-Punk-Band Gogol Bordello, zu deren Fans auch Madonna zählt, ist einem größeren Publikum durch den US-Film „Alles ist erleuchtet“ seit 2005 bekannt. Eugene Hütz übernahm darin eine der Hauptrollen. Danach traten Gogol Bordello als Vorband der Madonna-Welttournee 2006 auf, etwa im ausverkauften Londoner Wembley-Stadion.
Die Musik von Gogol Bordello lebt von den Uptempo-Beats und einer Rockgitarre, die eher vergröbert als verfeinert, aber den munteren Galopp des Septetts trägt. Die Songs leben von der dunklen, rauchigen, energiegeladenen Stimme eines Eugene Hütz. Sie lebt aber ganz besonders auch von der Virtuosität eines Sergey Ryabzev, der seine Geige mit schlafwandlerischer Sicherheit durch alle Stromschnellen des Punk steuert und dem manchmal für wenige Sekunden der ganze Klangraum gehört, wie am Anfang von „Forces of Victory“.
Hütz spricht nach seinem Frontbesuch von der Kraft der Musik, die den Menschen neue Energie geben kann, um durchzuhalten bis zum Sieg. Er spricht auch von den vielen ukrainischen Bands, die im Land, an der Front touren. „Combat Rock“ rockt die Ukraine.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour