Solidaritätssong für die Ukraine: Unterm Türstock

Es geht um Existenzielles: Erwiderung auf einen Text des Popkritikers Klaus Walter. Das Kollektiv the AntiDicKtators und sein Song „Home“.

AntiDicKtators-Sängerin Katya Tasheva kniet auf einer Straße

Zuhause ist Krieg: AntiDicKtators-Sängerin Katya Tasheva Foto: Trikont

Home, home / The only place I wanna go / Is home home“, lautet der Refrain des Songs „Home“, gespielt von The Anti-DicKtators, einem Kollektiv, das sich auf Initiative des Berliner Musikers Yuriy Gurzhy zusammengefunden hat, um Musik in Solidarität mit der Ukraine zu veröffentlichen. Die Mitglieder stammen aus der Ukraine, aus England oder gehören, so wie Gurzhy, der in Charkiw geboren wurde und seit Langem in Deutschland lebt, zur kosmopolitischen jüdischen Diaspora.

Alle Einkünfte aus dem Song „Home“ kommen dem Hilfsfond der Künstlerin Diana Berg zugute, die in der zerstörten Stadt Mariupol Aufbauhilfe leistet.

Das bedrohte Zuhause, um das es in „Home“ geht, wird im Text anschaulich beschrieben, etwa als Türstock, der in einer Wohnung im Kriegsgebiet noch der sicherste Ort ist, wenn russische Bomben, Raketen und Granaten auf die Zivilbevölkerung regnen. Sängerin Katya Tasheva singt an einer Stelle, dass sie sich sorgt, ob Freunde wohlbehalten zu Hause sind.

Zeitgemäße Umlaufbahn

Ein Uptempo-Drum-’n’-Bass-Beat schiebt den Pogues-artigen Tresenpunk­spirit und seine Folkelemente (von Klezmer bis Fairport Convention) so an, dass „Home“ auf eine zeitgemäße Umlaufbahn katapultiert wird. Wenn es ihn noch gäbe, könnte man auf dem „Russen-Disko“-Floor auch dazu tanzen.

Solidarität: Für Auguste Comte war sie für den Zusammenhalt des gesellschaftlichen Ganzen grundlegend. Der französische Mitbegründer der Soziologie sprach von „sympathisierenden Instinkten“, weil er im Unterschied zur anglo-amerikanischen Denkschule, die dem Wohle des Einzelnen Priorität vor der Gesamtgesellschaft einräumt, eine Vergesellschaftung schon im Individuum verankert sieht.

Was jetzt die Solidarität von deutschen Pop­kri­ti­ke­r:In­nen mit dem von Russland angegriffenen souveränen Staat Ukraine anbelangt, so hält sie sich in Grenzen.

Klaus Walter wünscht sich in der Frankfurter Rundschau beim Hören von Songs aus der und über die Ukraine den „Eisernen Vorhang“ zurück. Anscheinend verhagelt ihm das ästhetische Durcheinander das anglo-amerikanisch geprägte Identitätspolitik-Popbiotop.

Betonung der Fremdheit

„Wie tief die Kluft zwischen der Erfahrungswelt Ost und der Erfahrungswelt West, wie kompliziert die Ungleichheiten & Ungleichzeitigkeiten zwischen Ost und West. Wie anders, wie fremd die Musik klingt, die als Vehikel der Solidarität aus der Ukraine herüberweht, wie falsch es aber auch ist, diese Gräben und Fremdheiten totzuschweigen“, schreibt Walter.

Einerseits spricht er ukrainischen Künst­le­r:In­nen wie der Rapperin Alyona Alyona jede Form von sophistication ab. Seine Abneigung steigern andererseits westliche Superstars wie U2, die Songs für die Ukraine veröffentlicht haben, und dann streift er noch mit einem Absatz eine Kontroverse um die Kiewer Punkband Beton. Diese coverte einen Song von The Clash und bekundete Sympathien für den vom KGB ermordeten Nationalisten Stepan Bandera. Übertitelt ist Walters Text mit der Frage „Darf man Popmusik schlecht finden, obwohl sie sich für einen guten Zweck einsetzt?“

Dabei kommt zu kurz, dass es jenseits von Geschmacksentscheidungen und Ästhetikempfinden bei Musik in Kriegszeiten um weit existenziellere Themen geht. Den Mut der Menschen, die sich seit mehr als sechs Monaten gegen den Angriff eines übermächtigen Gegners wehren, setzt Walter mit dem Machismus von Putin-Russland gleich: Er sieht auf beiden Seiten nur toxische Männlichkeit. Überlebenswille und ein durchaus westlich inspirierter Erfindungsgeist der ukrainischen Zivilgesellschaft werden so nivelliert.

„Wie der Krieg […] ist auch die Kunst ein Duell zwischen Aufklärung und Verschleierung“, hat der Philosoph Hannes Böhringer einmal postuliert und Künst­le­r:In­nen und ihre Paradoxien zugleich in Schutz genommen. Vor der russischen Verschleierung hilft der Song „Home“: So erinnern uns The Anti-DicKtators daran, mit der Ukraine solidarisch zu sein.

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