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Folkfestival in RudolstadtSanierungsstau im Wunderland

Das thüringische Rudolstadt liegt mitten in Deutschland ab vom Schuss. Abgesehen von vier Tagen im Jahr, wenn hier das Weltmusikfestival stattfindet.

Die Wimpel flattern jedes Jahr zum Rudolstadt Festival, die Heidecksburg ist ganzjährig vor Ort Illustration: Jeong Hwa Min

Jetzt haben sie wieder ihre Ruhe, die Rudolstädter, ob sie wollen oder nicht. Für ein Jahr liegt das thüringische Städtchen an der Saale wieder ziemlich mittig in Deutschland ab vom Schuss und interessiert auch die paar Zehntausend Hippies nicht weiter, die hier Anfang der Woche wieder abgereist sind.

Rudolstadt ist Kulturort im doppelten Sinne: einerseits ein historisch-traditioneller, wo Schiller erstmals Goethe traf, wo wunderschöne alte Bauernhäuser als ältestes Freilichtmuseum Deutschlands gelten und wo natürlich von überall sichtbar das Residenzschloss Heidecksburg am Hang über dem Tal thront. Und andererseits gibt es heute eben die vor allem saisonale Kultur: Das jährliche Roots-, Folk- und Weltmusikfestival, zu dem auf die knapp 25.000 Ein­woh­ne­r:in­nen der Stadt rechnerisch 90.000 Be­su­che­r:in­nen kommen.

Es ist ein flüchtiger, aber doch enger Kontakt, weil das Festivalgelände nicht irgendwo auswärts liegt, sondern die Bühnen und Spielstätten der rund 120 Konzerte sich vom Park am Saale­ufer über Marktplätze, Seitenstraßen und Hinterhöfe der Altstadt bis rauf zur Burg ziehen. Vom Aufwand für die Bevölkerung zeugen gesperrte Straßen und Rudolstädter:innen, die am Einlass zum Festivalgelände nach ihren Ausweisen kramen, um zu beweisen, dass sie wirklich hier irgendwo zwischen den Bühnen wohnen. Es hängt davon ab, wen man fragt, ob der bunte Besuch die Stadt nun belebt, oder völlig lahmlegt.

Kulturschock mit Ansage

Es sind jedenfalls Welten, die da aufeinander prallen und zuverlässig immer wieder zu Irritationen führen. Dabei ist das “Rudolstadt Festival“ schon fast so alt wie die Deutsche Einheit, auch wenn es 1991 noch unter dem Namen “Tanz- und Folkfest (TFF)“ an den Start ging. Und wenn man es noch etwas genauer nimmt, müsste man auch vom “Tanzfest der DDR“ sprechen, das trotz aller Unterschiede als Vorläufer gilt und hier schon seit 1955 Folklore zunächst mit Westbeteiligung die deutsch-deutsche Kulturgemeinschaft beschwor – und später eher die kulturelle Vielfalt der sozialistischen Nachbarvölker präsentieren sollte.

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Mit der kulturgeschichtlichen Vergangenheit des Ortes hat Rudolstadt als Schauplatz übrigens nur am Rande zu tun. Entscheidender ist die deutschlandmäßig zentrale Lage, die man vor Ort so schnell vergisst.

Heute ist das Festival regelmäßig ausverkauft und nicht zuletzt durch das mediale Dauerfeuer öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten weithin bekannt für seine Größe und Bedeutung, zugleich aber gerade auch für das Klein-Klein der Straßenkunstbühnen in der verwinkelten Altstadt.

Auch andere Widersprüche prangen hier an jeder Hauswand – wortwörtlich da, wo sich windschiefe Fachwerkbauten mit rissigen Wänden und zerborstenen Fensterscheiben an die frisch gedämmte Fassade ihrer sonderbar sterilen Nachbarhäuser schmiegen. Noch krasser geht nur die Kaufkraft der linksalternativ ausstaffierten Camper und der Einheimischen des Weltmusikwunderlands auseinander.

Man darf sich das nicht zu einfach machen: Die Bruchstellen dieser Nachbarschaft auf Zeit nehmen einen komplizierten Verlauf durch arm und reich, links und rechts und – ja, immer noch – auch Ost und West. Was dem einen hübsch und magisch erscheint, ist dem anderen der Sanierungsstau von nebenan. Und unterm Strich zeigt sich Thüringen heute – Sonnenberg hin, AfD her – als so weltoffenes wie professionell agierendes Gastgeberland.

Das ist keine Selbstverständlichkeit: Vor 20 Jahren fuhr man hier noch über endlose Landstraßen bergauf-bergab entlang heruntergekommener Dörfer und Ruinen aufgegebener Gehöfte. Kam man trotzdem an, fand man nicht nur die Kneipen am Rand der Altstadt von finsteren Gestalten besetzt, sondern auch im Park kamen einem die Naziskins seelenruhig am Softeis sabbernd entgegen.

Es geht voran

Es war ein Segen, als im Laufe des Donnerstags die Zeltplätze voll liefen und sich die Rechten irgendwo in den Nachbarorten verkrochen. Wer sich daran erinnert, kann heute nicht mal dem westdeutschen Wohlstandshippie im Van so richtig lange gram sein, der dem lokalen Zeltplatzeinweiser erst die Welt und dann das Zeltplatzeinweisen erklärt.

Es hat sich wirklich viel getan in den vergangenen Jahren. Zumindest die allertraurigsten Altbauruinen sind saniert, Dönerläden haben aufgemacht, verschiedene Unternehmen suchen auf Plakaten händeringend nach Azu­bi:­nen und für die neue, autobahnähnlich ausgebaute Bundesstraße hat man bei Schaala extra einen Tunnel in den Pörzberg geschlagen.

Wie gesagt: Die Verhältnisse sind kompliziert und die politischen Koordinaten einigermaßen verwischt. Aber gerade deshalb wird das kommende Jahr auch nochmal extra spannend, weil nach Iran, Jugoslawien und Kuba dann erstmals Deutschland den folkloristischen Länderschwerpunkt des Festivals stellt – und das kurz vor der Landtagswahl im Herbst.

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