Folgen des deutschen Kolonialismus: Er streitet für sein Recht
Gesetze aus Kaiserzeiten wirken nach, zeigt der Fall Gerson Liebl. Erneut weist ein Gericht seine Klage auf deutsche Staatsbürgerschaft ab.
Doch diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht am Montag ab. Zwar gab Richter James Bews in der mündlichen Verhandlung zu, dass die Gesetze aus der Kaiserzeit „selbstverständlich rassistisch“ waren. Dies sei aber „für die Beurteilung der Rechtslage nicht erheblich“, führte er aus. „Politisch haben Sie Recht“, sagte er zu Liebl, „rechtlich nicht. Ich kann kein politisches Urteil fällen.“
Der Fall Liebl ist von öffentlichem Interesse, weil er exemplarisch zeigt, welche Probleme sich aus der kolonialen Vergangenheit Deutschlands – samt den entsprechenden Gesetzen – bis heute ergeben. Immer wieder stellt sich etwa die Frage, wie man mit Gesetzen umgeht, die aus heutiger Sicht inakzeptabel sind.
Nach „Stammes-Recht“
Friedrich Liebl, ein Arzt aus Straubing, war 1909 in Togo stationiert, hatte dort nach „Stammes-Recht“ Edith Kokoé geheiratet, die von ihm ein Kind erwartete. Eine „Fraternisierung“ dieser Art war offenbar weit verbreitet, die Kolonialverwaltung führte nämlich sogenannte „Mulattenlisten“, auf denen die Kinder deutscher Beamter verzeichnet waren sowie der Unterhalt, den sie den Müttern zu zahlen hatten. Auch ein „Regierungsarzt Dr. Liebl“ kommt darin vor, dazu der Vermerk: „zahlt für Mutter/Kind 1.000 Mark für Unterhalt und Erziehung“; die taz konnte die Dokumente im Bundesarchiv einsehen.
Nach deutschem Recht heiraten konnten Liebl und Edith Kokoé nicht: „Mischehen“ waren in der Kolonialzeit nicht erwünscht und die damaligen Gesetze daher darauf angelegt, sie zu verhindern, wie auch Richter Bews am Montag die Sachlage zusammenfasste. Gleichzeitig galt jedoch bis 1963, dass nur „eheliche Kinder“ von Deutschen per Geburt Deutsche waren. Dieses Gesetz von 1894 sei also ein rassistisches Gesetz gewesen, sagte Liebl vor Gericht erbost. „Ja“, antwortete der Richter. Aber wie sei es möglich, setzte Liebl nach, „ein rassistisches Gesetz anzuwenden“? Eine Antwort blieb Richter Bews ihm schuldig.
Liebls Kampf begann 1991. Damals kam er nach Deutschland, um den deutschen Teil seiner Familie kennen zu lernen. Er beantragte zunächst erfolglos Asyl, später die deutsche Staatsbürgerschaft. In verschiedenen Gerichtsprozessen brachte er seither immer neue Argumente ein. Mit den Jahren wurde er Experte in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht, fand Unterstützer wie den Historiker Peter Sebald, der für Liebl in einem Archiv die „Mulattenlisten“ fand. Mehrere Historiker schrieben Gutachten über koloniales (Un-)Recht, Lokalpolitiker setzten sich für ihn ein, verfassten Petitionen. Auch ein Film wurde über Liebl gedreht.
Bis heute nur eine Duldung
Es half alles nichts: 2009 wurde der gelernte Goldschmied – nach 18 Jahren in Deutschland – nach Togo abgeschoben. Seine Unterstützer*innen und er gaben jedoch nicht auf und tatsächlich durfte er 2017 zurückkommen: Sein Sohn war Deutscher geworden, auch seine Frau – ebenfalls aus Togo – hatte inzwischen unbefristeten Aufenthalt. Er dagegen hat bis heute nur keinen dauerhaften Aufenthalt, auch mit dem Landeseinwanderungsamt (LEA) liegt er im Rechtsstreit.
Dass der Fall endlich zu einem guten Abschluss kommen sollte, sehen wohl auch die Behörden. Wenn Liebl seinen Streit mit dem LEA ausräume und einen Antrag auf Einbürgerung stellte, „würden wir diesen mit positiver Zielsetzung prüfen“, sagte der Vertreter der Innenverwaltung als Beklagter vor Gericht. Doch das will Liebl nicht: „Einbürgerung ist Ermessensangelegenheit, die Staatsangehörigkeit nicht.“
Sein Bruder Rodolpho Dovi habe 2019 von der deutschen Botschaft in Lomé einen deutschen Pass bekommen – und dafür dieselben Dokumente vorgelegt wie er selbst, sagte Liebl. „Wie kann es sein“, fragte Liebl den Richter, „dass mein Bruder und ich anders behandelt werden“? Tatsächlich hätte es auch die Öffentlichkeit interessiert zu erfahren, vor welchem Hintergrund das zuständige Bundesverwaltungsamt in Köln* dem Bruder vor drei Jahren das „Deutschsein“ bestätigte. Doch Richter Bews folgte der Bitte Liebls nicht, sich nach den Gründen zu erkundigen. Das seien unterschiedliche Fälle, erklärte er.
Gerson Liebl
Nach der Verhandlung zeigte Liebl sich „enttäuscht“ vom Richter, weil dieser die Sache mit dem Bruder für unwichtig erachte. Er wolle nun das schriftliche Urteil abwarten und die Begründung lesen – und dann entscheiden, ob er in Berufung geht.
(*in einer 1. Fassung stand hier fälschlich Koblenz)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag