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Folgen des SicherheitspaketsBundesregierung behindert Syrien-Heimreisen

Geflüchtete verlieren Schutz, wenn sie ohne „sittlich zwingenden“ Grund in die Heimat reisen. Das erschwert nun Sy­re­r*in­nen die freiwillige Rückkehr.

Freudig warten auf die Angehörigen: Die erste Maschine nach dem Sturz Assads landet in Damaskus Foto: Omar Sanadik/ap

Berlin taz | Die Bundesregierung kann nicht genau sagen, unter welchen Bedingungen Geflüchtete ihren Schutzstatus in Deutschland verlieren, wenn sie in ihr Heimatland reisen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger hervor. Bünger betont insbesondere die Unsicherheit, die das für viele Sy­re­r*in­nen bedeutet:„Sondierungsreisen nach Syrien, etwa zur Vorbereitung einer freiwilligen Rückkehr, sind nach geltendem Recht nicht möglich, ohne den eigenen Schutzstatus zu riskieren.“

Dass Reisen in Herkunftsländer überhaupt einen Verlust des Schutzstatus nach sich ziehen können, ist festgeschrieben im sogenannten Sicherheitspaket, das die Ampel nach dem Anschlag von Solingen im Herbst 2024 beschlossen hatte. Erlaubt sind seitdem nur noch „sittlich zwingend gebotene“ Reisen in Herkunftsländer, etwa zur Beerdigung engster Verwandter.

Was genau sonst noch als „sittlich zwingend geboten“ gilt, kann die Bundesregierung aber nicht definieren, wie die Antwort auf Büngers Anfrage zeigt. Das Bundesinnenministerium teilt da mit, das Verfahren sei „nicht darauf angelegt, im Vorfeld verbindliche Aussagen zur Rechtslage zu treffen“. Erst „im Nachgang einer Heimreise“ werde geprüft. Ausnahmeregeln für rückkehrwillige Sy­re­r*in­nen scheint es nicht zu geben. Geradezu absurd ist, was das BMI den Betroffenen mit offenen Fragen rät. Denen stünde „wie bei sämtlichen tatbestandsabhängigen Regelungen in unserem Rechtssystem rechtliche Beratungen, etwa durch Rechtsanwälte oder bestimmte Organisationen, zur Verfügung“.

Linken-Abgeordnete Bünger spricht von „unsinnigen Regelungen“, die geltendem EU-Recht widersprechen und dem Innenministerium „jetzt auf die Füße fallen.“ Sie fordert: „Die Bundesregierung muss jetzt aktiv werden, um solche Reisen ohne Verlust des Aufenthaltsrechts in Deutschland wieder zu ermöglichen.“

Tatsächlich behindert die Regelung offensichtlich die Bemühungen der amtierenden Rest-Bundesregierung, einen Teil der Sy­re­r*in­nen zur Rückkehr zu bewegen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat angekündigt, den Schutzstatus von Sy­re­r*in­nen überprüfen zu lassen, die nicht arbeiten und kein Deutsch sprechen. Zuletzt hatte auch Grünen-Vizekanzler Robert Habeck gesagt: „Diejenigen, die hier nicht arbeiten, werden – wenn das Land sicher ist – wieder in die Sicherheit zurückkehren können oder auch müssen.“

Das Bundesamt für Migration und Flüchtline (BAMF) erwägt derweil laut Medienberichten, potentielle Rück­keh­re­r*in­nen mit bis zu 4.000 Euro pro Person zu unterstützen, damit sie freiwillig gehen. Dafür dürften aber „Sondierungsreisen“ der erste Schritt sein – und die wird sich wohl fast niemand trauen, solange dabei im Raum steht, das Recht auf die Rückkehr nach Deutschland zu verlieren.

Aktualisiert am 09.01.2024. d. R.

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16 Kommentare

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  • „nicht darauf angelegt, im Vorfeld verbindliche Aussagen zur Rechtslage zu treffen“

    Das ist ein starkes Stück! Jetzt bin ich kein Jurist und kann das daher nicht beurteilen. Aber ist es nicht gerade Sinn und Zweck von Gesetzen und Verfahren im Vorfeld (!) verbindliche Sicherheit darüber zu schaffen, was erlaubt und was verboten ist? Gilt Rechtssicherheit jetzt nur noch für Unternehmen oder was? In meinen Ohren klingt das nach völliger Willkürjustiz - das sind ja nicht mal "Gummiparagraphen" in die man alles hineininterpretieren kann, sondern es handelt sich um eine "gewollte Unsicherheit". Urteile, die unter solcher Maßgabe gefällt werden könnten doch nie und nimmer Bestand haben...oder doch? Hier sind doch einige Juristen unter den Kommentatoren - über eine Meinung oder Erklärung zu dem Thema wäre ich sehr dankbar...

  • Im Sinne des Asylrechts richtig, die moralische Betrachtung mal außen vor gelassen.

    • @Hans Dampf:

      Möglicherweise werden die Ausführungsverordnungen zum Asylrecht und das Asylrecht selbst entsprechend der konkreten Erfahrungen bei der Anwendung im Hinblick auf die Verfassung (Menschenrechte) angepasst werden müssen. Soviel zur "Moral", die eben nicht einfach "außen vorgelassen" werden kann.

  • "Tatsächlich behindert die Regelung offensichtlich die Bemühungen der amtierenden Rest-Bundesregierung, einen Teil der Sy­re­r*in­nen zur Rückkehr zu bewegen."

    Da würde ich doch gerne eine "kleine Anfrage" an die Fraktion der Linken stellen: Wie viele solcher Fälle sind der Linken bekannt?

  • Dieser Umstand existiert meines Wissens schon länger. So verlieren z.B. auch Kinder türkischer Gastarbeiter, die es vermieden haben die Deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, die nun wirklich schon sehr lange in Deutschland leben, das Aufenthaltsrecht, wenn sie für eine gewisse Zeit in die Türkei reisen. Bei der Wiedereinreise werden sie dann abgewiesen. Die Türkei wirbt bei ihrer Klientel intensiv für die türkische Staatsbürgerschaft. Was so manche in Probleme getrieben hat. Drum binde sich an die Republik, wer in die alte Heimat reisen möchte.

  • Das Wort "Sittlichkeit" oder ähnliche Begrifflichkeiten sind immer ein Hinweis auf preußischen Obrigkeitsstaat und ein überkommenes Rechtsverständnis. Das passt nicht mehr in die Zeit.

    Auf der anderen Seite hat es immer ein Haugout, wenn sich die Linke diesen Themen annimmt, die nachgerade kommuniziert "bitte bleibt alle da", wiewohl das parteitaktisch auch nicht klug ist - Geflüchtete haben keine Wählerstimme.

    Die Wahrheit ist wohl diese: Wer den Schutzstatus in Anspruch nimmt und trotzdem in die Heimat reist, markiert ein Fragezeichen, ob dieser Schutzstatus noch begründet ist. Der Flüchtlingsstatus darf nicht einen Jota in die Nähe von Vergnügen, Ververgnügungssteuerpflicht oder Work-Life-Balance gelangen. Die Begründung der Bundesregierung ist dazu aber auch selten dämlich.

    Wir leben in Zeiten global vernetzter Gesellschaften. Um herauszufinden, ob eine Rückkehr sicher ist, sind Reisen in Güterabwägung nicht nötig. Das kann man alles digital recherchieren.



    Insofern ist die Skepsis der Bundesregierung wiederum berechtigt.

  • Aus meiner Sicht absolut in Ordnung. Es scheint ja dann der Fluchtgrund nicht mehr zu bestehen! Und wirtschaftliche Migration ist nun mal kein Fluchtgrund.

    • @Franz Tom:

      "Es scheint ja dann ..."



      "Schein" ist nicht "Sein" und wann ist "dann" und zu welchen gemäß Menschenrechten zumutbaren Begleitumständen am jeweiligen konkreten Zielort? In dem multikulturellen und multiethnischen Staat, der nur teilweise einigermaßen kalkulierbar und nicht unbedingt für jeden nachhaltig befriedet ist, sind die Rückkehrbedingungen unterschiedlich, fast jeder Fall ein besonderer. Konstruktive Geduld ist angesagt und wird sich für uns mit Sympathie seitens der syrischen Heimkehrer auszahlen.

  • Es wird unter vielen Syrerinnen und Syrer ein Bedürfnis sein, sich hin und her zu bewegen zwischen Europa und Syrien.



    Die Staatsgrenzen-Hüter und Paniker machen dabei zu viele Probleme.



    Bewegungsfreiheit heißt diese konkrete Utopie.



    a) in Regionen traditioneller Migration wie im mehreren Regionen Westafrikas.



    b) hier die notwendige Möglichkeit von Menschen aus Syrien sich zwischen Syrien und Deutschland bzw. Europa zu bewegen, nicht als Berufspendler, sondern z.B. 1x im Jahr zu sondieren und beim Wiederaufbau materieller und immaterieller Art mitzuhelfen und beizutragen.



    Ich muss bei meinem Umzug innerhalb einer deutschen Stadt auch mehrmals hin und her.



    Menschlichkeit!

  • Der Hintergrund ist einfach: Wer aus einem Land fluechtet weil er in seinem Heimatland politisch verfolgt wird und deshalb um sein Leben bangt, untergraebt diese Argumentation (den Fluchtgrund) natuerlich wenn er anschliessend wieder ins Heimatland reist.



    Ob ein Regime, welches eine Mordabsicht aus politischen gruenden hegt, von dieser wegen einer Beerdigung ablaesst, ist fraglich. Aber das ist das Risiko des Reisenden. Von daher kann ich diesen Sonderfall nachvollziehen und wuerde bei schwerstkranken Angehoerigen ebenfalls eine Ausnahme machen.

    Wenn nun eine grosse Anzahl von Syrern zurueck will, spricht das dafuer, dass der Fluchtgrund generell nicht mehr zutrifft. Demzufolge sollte der Staat sich beeilen, die Lage in Syrien neu zu bewerten. Dann brauchts auch keine Anpassung der o.g. Regelung.

    • @elektrozwerg:

      "... spricht das dafuer, dass der Fluchtgrund generell nicht mehr zutrifft".



      Nein, im südwestlichen Territorium führt Israel Krieg, im Norden die türkischen und islamistischen Faschisten, in Royava herrscht Toleranz, aber deswegen führen da auch die türkischen und IS- Faschisten Terrorkrieg. Binnengrenzen fließend. Im übrigen Land ist die Situation nicht für alle Minderheiten gleich "sicher". Und wohin wenden sich z.B. die Binnenvertriebenen? In Zeltlager, auch für die heimkehrwilligen aus D? ...



      Einfach Schalter umlegen, und raustreiben, wie sich das die afd vorstellt, funktioniert hier nicht, elektrozwerg. Es braucht jetzt ein wenig achtsame Zeit in der Übergangsphase Syriens, demokratische Unterstützung und die Einhaltung der Menschenrechte für die und bei der Rückkehr, auch Rücksichtnahme auf die Heimkehrwilligen, denen nichts anderes übrig bleibt, als erstmal unverbindlich vor Ort zu sondieren.



      Dann wird alles gut. Und wir werden viele Freunde gewonnen haben in Syrien.

      • @Lichtenhofer:

        Ich hab nicht ohne Grund die politische Verfolgung gewaehlt, denn das ist der Grund fuer Asyl, in diesem Fall die politische Verfolgung durchs Assad-Regime.



        Ich stimme Ihrer Lagebeschreibung zu, Syrien ist weit entfernt davon sicher zu sein. Aber Krieg ist kein Asylgrund. Dafuer gibts es subsidiaeren Schutz und bei diesem ist es ohne Probleme moeglich Regionen unterschiedlich zu behandeln.



        Und natuerlich sollten diejenigen, die zurueck wollen um ein besseres Syrien aufzubauen, unterstuetzt werden. Jetzt waere der Moment aktiv zu werden und an alte Vermittlererfolge anzuschliessen. Von mir aus auch Scheckbuchdiplomatie.



        Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten haben wir die Kontakte zu Syrien nicht vollkommen abgebrochen, das ist immerhin etwas. Wir werden in den sauren Apfel beissen muessen weil es ohne die Tuerkei nicht geht. Aber Deutschland hat wie kein anderer EU-Staat auch Druckmittel gegenueber der Tuerkei.



        Ich sehe nur nicht, dass die Regierung auch nur den Hauch eines Plans hat, der Besuch unserer Aussenministerin war doch ein Griff ins Klo.



        Deutschland und Frankreich sind schwach, und das zu einer Zeit der grossen Umwaelzungen.

        • @elektrozwerg:

          "Griff ins Klo"??



          Da bin ich erneut ratlos.

      • @Lichtenhofer:

        Danke, so ist es. Deutschlands Regierung bzw. die Exekutive des BMI könnte auch sagen: Zum sittlich Gebotenen gehört die besonnene Vorbereitung einer Rückkehr bzw. Neuansiedlung in einem anderen Teil des Heimatlands, dafür darf man auch mal hinfliegen und schauen, ob da vielleicht noch was steht von Haus (eher nicht), ob die neuen Bewohner Platz machen würden (hm), wo man sonst so hinkönnte.



        Abgesehen davon, dass es sowieso freundlich wäre und für zukünftige wirtschaftliche Verbindungen hilfreich, wenn man nicht rausschubst, sondern beim Klären und Aufbau hilft.

    • @elektrozwerg:

      Zitat: "Der Hintergrund ist einfach:"

      Genau. Von einer Bundesregerierung knn und muß erwartet werden, daß sie die Gesetze versteht, die sie initiiert. Und wenn nicht ist es wohlfeil, Anwälte als eine Art Hellseher verkaufen zu wollen.

      Zurückkehren kann man, wenn das Land sicher genug und für die Familie eine Bleibe vorbereitet ist. Von ersterem weiß die Bundesregierung nicht und das andere wäre ohnedies Sache der Betroffenen. Also erstmal gucken, ggf. Quartier machen und dann wiederkommen und die Familie holen. Wenn Faeser das nicht begreift, muß sie wohl einen Kurs in Hauswirtschaft beantragen und dann noch mal volljährig werden.