Folgen der Staudamm-Zerstörung: Ökozid im Süden
Nach dem Kachowka-Dammbruch gibt die Energiebehörde vorerst Entwarnung für das AKW. Für die Umwelt wird es dennoch schlimme Auswirkungen haben.
Kurzfristig stellt das Hochwasser des gesprengten Kachowkaer Staudammes keine Gefahr für das Atomkraftwerk Saporischschja dar. Darin sind sich die Internationale Atomenergiebehörde IAEO und der ukrainische Atomkonzern Energoatom einig.
Zwar sei der Wasserstand im Stausee, der das bei Energodar gelegene ukrainische Kernkraftwerk versorge, im Laufe des Tages gesunken, zitiert die Webseite der IAEO Generaldirektor Rafael Mariano Grossi. „Das AKW kann kein Wasser mehr aus dem Stausee entnehmen, wenn dessen Pegel unter 12,7 Meter sinkt“, so heißt es in dem Statement. Ein Zustand, der in einigen Tagen eintreten könne. Das AKW verfüge jedoch über Back-up-Optionen.
Außerdem sei der große Kühlteich in der Nähe des AKW derzeit voll mit Wasser gefüllt. Und damit ließe sich das Kraftwerk, dessen sechs Reaktoren abgeschaltet seien, für mehrere Monate versorgen, so Grossi. Darüber hinaus könne die Anlage bei Bedarf eine tiefe, mit Wasser gefüllte Grube im Bereich des Frachthafens des Kraftwerks nutzen sowie auf das Wassersystem der Stadt Energodar zugreifen. Gleichzeitig habe man im AKW Maßnahmen zum Sparen von Wasser eingeleitet.
Auch Petro Kotin, Präsident des AKW-Betreibers Energoatom, ist sich sicher, dass die Staudamm-Katastrophe nicht die Sicherheit des AKW bedroht. Auf dem Telegram-Kanal von Energoatom berichtet Kotin, dass man bereits seit einiger Zeit einen Maßnahmenkatalog für den Fall eines Dammbruches erarbeitet hätte. In diesem seien auch Verhaltensregeln für die Sicherheit des Personals eingearbeitet.
Anders könnte es jedoch bei der mittelfristigen Sicherheit des Kraftwerkes aussehen. „Was mich beunruhigt, ist der fünfte Reaktor“, erklärte die ukrainische Atom-Expertin Olga Koscharna gegenüber der taz. Sie könne nicht verstehen, warum sich Reaktor Nummer fünf immer noch im Zustand einer Heißabschaltung befinde, also 275 Grad Hitze im ersten Kühlkreislauf habe. Demgegenüber hätten die kalt abgeschalteten Reaktoren eine Temperatur von ungefähr 70 Grad. „Das ist ein weitaus höherer Sicherheitsgrad“, so Koscharna. Zwar strebten die ukrainischen Betreiber eine Kaltabschaltung aller Reaktoren von Saporischschja an. Doch die russischen Besatzer, so Koscharna, sperrten sich dagegen, wollen Reaktor fünf wieder in Betrieb nehmen, „um die Welt zu erpressen“.
Weiter flussabwärts, vor dem zerstörten Staudamm, sprechen UmweltschützerInnen derweil von einem Ökozid. Die Zerstörung des Damms werde das Gesicht der südlichen Region der Ukraine verändern, so Ljudmilla Zyganok von der Association of Environmental Professionals gegenüber dem Telegram-Kanal „Politika Strany“.
Da die Bewässerungssysteme in dieser Gegend bis auf Weiteres ausfallen, werden sich Sümpfe bilden. Andere Gebiete der landwirtschaftlich ertragreichen Region wiederum drohten sich in Wüsten zu verwandeln. Einzigartige Landschaften der Dnjepr-Auen würden vernichtet. Giftige Stoffe, Kraftstoffe, Öle, Landminen und Bakterien aus zahlreichen Rindergräbern wanderten mit den Fluten Richtung Meer. Man müsse mit einem riesigen Fischsterben, ausgetrockneten Böden und einem sich komplett verändernden Klima rechnen. Eine neue Wüste werde Staubstürme und Temperaturanstieg in der Region mit sich bringen. Der Landwirtschaft drohe eine Dürre. Wasservögel würden keine Feuchtgebiete mehr finden.
In der Folge sei die Wasserversorgung der Krim, von Kryvyi Rig und anderen ukrainischen Städten gefährdet. Vor dem Hintergrund zerstörter Lebensgrundlagen sei mit 1,5 Millionen weiteren Binnenflüchtlingen zu rechnen, so die Umweltschützerin.
Tiere ertrinken im Zoo
Auch die Tiere leiden in der Region. Im Zoo von Nowaja Kochowka, berichtet die Tierschutzorganisation UAnimals, hätten nur einige Schwäne und Enten die Katastrophe überlebt. 571 Tiere, so UAnimals, hätten ihre aus Kiew angereisten Aktivisten evakuieren können.
Unterdessen hat das ukrainische Gesundheitsministerium eine Liste von Vorsichtsmaßnahmen für die in den betroffenen Gebieten lebende Bevölkerung erstellt. Um Infektionen zu verhindern, sollten die in den Gebieten von Cherson und Saporischschja lebenden BewohnerInnen Wasser abkochen oder aus gekauften Flaschen trinken, sich regelmäßig die Hände waschen, Kleidung, die man bei der Überschwemmung getragen hatte, desinfizieren, Lebensmittel kochen oder braten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen