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Förderung der Inklusion im Theater„Willkommen ist, was kommen will“

Inklusion im Theater bereichert die Formen der Kunst und führt manchmal zu neuen Geschichten. Das war auf dem inkl.Festival in Berlin zu erleben.

Rhythmisch und poetisch entfaltet sich „Leichter Gesang“ von RambaZamba und dem Deutschen Theater in Berlin Foto: Jasmin Schuller

In Berlin, am Deutschen Theater, feierte drei Tage lang ein Festival die Inklusion im Theater. Aber auch das Ende eines Förderprogramms der Kulturstiftung des Bundes, pik, das drei Jahre lang die Erprobung inklusiver Arbeitsweisen unterstützt hat. Stücke aus dem Gripstheater und dem Deutschen Theater in Berlin, vom Schauspiel Leipzig und den Kammerspielen München spiegelten die Vielfalt der Ansätze in der Zusammenarbeit.

Die Lust an Sprachspielen, an der Produktivität von Missverständnissen, am Abklopfen von Wortstämmen und der Erforschung geheimer Verwandtschaften zwischen den Wörtern: Dieser Lust war die Autorin Nele Stuhler zusammen mit dem RambaZamba Theater nachgegangen. „Will-kommen ist, was kommen will“ ist einer der ersten Sätze.

Ihr Stück „Leichter Gesang“ eröffnete die Spielzeit am Deutschen Theater. Worte und Dinge rücken hier näher zusammen, aus dem Einfachen wächst das Komplexe. Das Deutsche Theater hat schon oft mit Schauspielerinnen des RambaZamba zusammengearbeitet, neu war die gemeinsame Stückentwicklung.

Die Kammerspiele München haben in der Intendanz von Barbara Mundel selbst ein inklusives Ensemble aufgebaut. Mit dem Schauspieler Samuel Koch, der querschnittsgelähmt ist und doch in die verschiedenen Arten des Bewegtwerdens einsteigt, und einem Chor von Satyrn, von Sehbehinderten gespielt, brachten sie „Proteus 2481“ als Gastspiel nach Berlin. Der Autor Thomas Köck führte selbst Regie bei diesem hochkomplexen Text, der mit vielen Kippmomenten der Wahrnehmung spielt, mit veränderten Lesarten des Tragischen.

Eine lange Geschichte gegen den Ausschluss

Es ist ein wilder Ritt durch die Geschichte, der immer wieder Momente des Ausschlusses streift. Die inhaltliche Kritik, die an Grenzen, die in Denksystemen, Eroberungskriegen und in gesellschaftlichen Normsetzungen artikuliert wird, wird unterstrichen durch ein Spiel, das keine Grenzen zwischen Nichtbehinderten und Behinderten Schau­spie­le­r:in­nen ziehen will.

Die Gespenster im „Altbau in zentraler Lage“ wollen die Mieterinnen loswerden Foto: Rolf Arnold

Inklusion ist oft ein Projekt in der Nische. Sie dort herauszuholen und im Betrieb der großen Stadttheater zu verankern, war als ein Ansatz des pik-Programms zu verfolgen. Die Stücke, die dabei entstehen, können wie „Proteus 2481“ einer Ästhetik der ständigen Überforderung folgen, die das rasante Schlingern der Gedanken mit glamourösen Bildern unterlegen und keine absurde Abweichung auslassen. Oder, wie „Leichter Gesang“, zu einer Ästhetik führen, die mit einfachen Strichen eine Welt neu entstehen lässt, fast wie aus bunten Bauklötzen gebaut.

Wieder anders hatte das Schauspiel Leipzig das pik-Programm genutzt. Die hörende Autorin Raphaela Bardutzky entwickelte zusammen mit der tauben Schauspielerin Athena Lange die Geschichte einer beginnenden Freundschaft zwischen einer hörenden und einer gehörlosen jungen Frau, die in „Altbau in zentraler Lage“ nicht nur vom Hausbesitzer aus ihren Wohnungen gedrängt werden, sondern auch von einer Schar Gespenster. Es ist ein skurriles, mit der Komik von Horror spielendes Stück. Eine Besonderheit ist, dass jeweils nur Teile der Dialoge übersetzt werden, nicht der Gebärdensprache Kundige also nicht alles verstehen können, wie umgekehrt auch.

Als Autoren einbeziehen

Zu den Schauspielern der Gespenster gehört Eyk Kauly aus der Community der Tauben Künstler:innen. In einem Podiumsgespräch über „Perspektiven für Theater ohne Barrieren“ konstatierte er, dass Inklusion oft viel zu kurz gedacht werde. Allein einen Übersetzer in die Gebärdensprache auf die Bühne zu stellen, sei zu wenig und immer noch aus der Tradition des Sprechtheaters gedacht. Die eigene Kultur der Tauben, ihre literarischen Traditionen und ihre Gebärdensprachen (im Plural) blieben so noch immer außen vor. Erst wenn sie, wie bei „Altbau in zentraler Lage“ auch als Autoren einbezogen würden, könnten ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen auch zu neuen Stücken und Geschichten führen.

Zu dem Podium gehörte auch Jürgen Dusel, Jurist und Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung. Auch er kritisierte, dass das gesellschaftliche System Behinderung als Sonderfall denke – als ob nicht die meisten Behinderungen im Laufe eines Lebens entstünden, also alle treffen könnten.

Angst vor dem Backslash

Mit dem pik-Programm sind inklusive Kunstformen zwar weiterentwickelt und jenseits der Nischen sichtbarer geworden. Aber die Angst vor einem Backslash artikulierten viele Beteiligte in den Gesprächsrunden. Da spielt öffentliche Kritik eine Rolle, giftig, wie sie die Kammerspiele München für ihren inklusiven Ansatz erfahren haben. Da spielen kommunale Kürzungen in Kulturhaushalten eine Rolle, wie in Berlin, bei denen Inklusionsprogramme als Sparpotenzial markiert werden. Aber auch eine zum Beispiel vom Bundeskanzler Friedrich Merz beförderte Ideologie, die den Leistungsgedanken als Schranke vor die Möglichkeiten der sozialen Teilhabe setzt.

Erst vor wenigen Tagen schlug das RambaZamba Theater in Berlin Alarm, weil seine Förderung nicht mehr ausreicht, um neue Produktionen auf den Weg zu bringen. Das Geld, das zum Kunstmachen fehlt, ist das eine. Das andere ist das Geld, das den Künst­le­r:in­nen mit Behinderung meistens fehlt, um einen Weg in die Selbstständigkeit zu gehen.

Viele sind in Werkstätten angestellt und erhalten nur Grundsicherung. Die gemeinnützigen Träger der Werkstätten kümmern sich zwar auch darum, dass sie eine Wohnung haben. Aber Honorare, die sie etwa durch die Koproduktion mit einem anderen Theater verdienen, können sie nicht behalten, das schließt die Grundsicherung aus.

Nur wenige wagen den Schritt in die Selbständigkeit

Nur sehr wenige, etwa ein Prozent, wagen den Schritt in die Selbständigkeit. Denn ein Leben mit Behinderung ist teuer. Man braucht Assistenzen. Künst­le­r:in­nen und Thea­ter­ma­che­r:in­nen tauschten sich auf dem Festival über ihre Erfahrungen darüber aus, wie bessere Modelle für die Bezahlung der Schau­spie­le­r:in­nen oder Tän­ze­r:in­nen mit Behinderung entwickelt werden könnten. Da geht es nur mit sehr kleinen Schritten weiter. Keine großen Sprünge möglich.

Keine großen Sprünge

Das reflektiert auch Steven Solbrig in seiner Lecture-Performance „Von Sprüngen und Klasse“. Er ist einer von 45 Künstler:innen, die mit dem pik-Mentoring-Programm für Disabled Leadership gefördert wurden, drei von ihnen treten ausschnitthaft auf dem inkl.Festival auf. Mit einem Springseil in den Händen zählt er Metaphern auf, die rund um den Karrieresprung oder den Absprung in die Selbstständigkeit geflochten sind.

Es folgen Sprachbilder über Klasse und soziale Barrieren, die der Klassismus aufbaut. Die wiegen für Künst­le­r:in­nen mit Behinderungen doppelt schwer. Er erzählt von einem Künstler, der es erstmals gewagt hat, eine eigene Wohnung zu mieten. Dann fällt sein Engagement den Kürzungen des Kulturetats zum Opfer. Selbst in Geldnot, schaut er aus dem Fenster und entwickelt in Miniaturen Skizzen von Nachbar:innen, die von Armut und Ausschluss betroffen sind. Gut beobachtet, auf den Punkt gebracht, voll Empathie.

Disabled Leadership ist zum Beispiel notwendig für das Format solcher Performances. Es ist eine relativ junge und bisher ohne Kontinuität ausgestattete Kategorie von Förderung. Alina Buschmann, Schauspielerin und Beraterin für Inklusion, moderierte die Gespräche mit den Teil­neh­me­r:in­nen des Mentoring-Programms und gab sich kämpferisch. Auch sie betonte, „Behindertsein ist teuer“, Nebenjobs gehen nicht. Mit Steven Solbrig war sie sich einig, dass ein Denken, das den Wert des Menschen danach bemisst, wie viel er, wie viel sein Körper leisten kann, verantwortungslos und kontraproduktiv ist. Sie forderte, eine Kunst zu fördern, die außerhalb der bestehenden Strukturen knapp bemessener Probenzeiten laufen kann.

Die letzte Lecture Performance galt dann auch der „Crip time“, der Notwendigkeit anderer Zeiteinteilung. Zwei Künstlerinnen, Anika Krbetschek und Linnéa Meiners, tauschten sich darüber mit Briefen, Filmen und Mails aus. Was verliert man, wenn man sich an die Normen der getakteten Arbeitszeit anpassen muss? Wie findet man Zeit zwischen den Zwängen? Über das Bild des Sandes in der Sanduhr und das Sandkorn, das Teil einer Unendlichkeit scheint und doch Teil einer endlichen Ressource ist, entwickelten sie poetische Bilder und Nähe.

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