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Flutkatastrophe in WestdeutschlandAufräumen und Trauern

Die Zahl der Toten steigt weiter. Bundespräsident Steinmeier besucht das Katastrophengebiet. Und auch die Kanzlerin hat sich angekündigt.

Frank-Walter Steinmeier (l) und Armin Laschet bei der Feuerwehr in Erftstadt Foto: Marius Becker/dpa-Pool/dpa

Ahrweiler/Erftstadt/Düsseldorf/Berlin dpa/ap | Beim Besuch in einem der Flutkatastrophen-Gebiete hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Solidarität und Spenden für die Opfer aufgerufen. „Vielen Menschen hier in den Regionen ist nichts geblieben außer ihrer Hoffnung. Und diese Hoffnung dürfen wir nicht enttäuschen“, sagte das Staatsoberhaupt nach Gesprächen mit Rettungskräften im nordrhein-westfälischen Erftstadt.

Der Ruf nach Hilfe aus allen Teilen der Region sei „groß und drängend“. „Aber den großen Verlust haben diejenigen zu tragen, die Angehörige verloren haben in den Fluten“, sagte Steinmeier weiter. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnete das Hochwasser bei dem Erftstadt-Besuch mit Steinmeier als „Jahrhundertkatastrophe“. Land und Kommunen könnten die Folgen der Flut nicht alleine stemmen.

Der NRW-Regierungschef und Unions-Kanzlerkandidat versprach Direkthilfe für die betroffenen Menschen und sagte zu, es werde „sehr unbürokratisch Geld ausgezahlt“. Danach werde man zusammen mit dem Bund „strukturell“ den Städten helfen müssen, den Wiederaufbau zu bewerkstelligen. Am Sonntag wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der schwer verwüsteten Region in Rheinland-Pfalz erwartet.

Allein im Großraum Ahrweiler über 90 Todesopfer

In den Trümmern und Ruinen der Katastrophengebiete im Westen werden immer mehr Opfer der Hochwasserkatastrophe entdeckt. Die Zahl der Toten stieg bis zum Samstagmorgen auf mehr als 130. Die Polizei bezifferte die Zahl der Todesopfer allein im Großraum Ahrweiler auf über 90. Es sei zu befürchten, dass noch weitere hinzukämen, teilte die Polizei Koblenz mit. Insgesamt liege dem Polizeipräsidium die Meldung über 618 Verletzte vor. Auch diese Zahl könne sich noch weiter erhöhen.

In Bad Neuenahr wurde eine Brücke vom Hochwasser weggerissen Foto: Thomas Frey/dpa

Mehr als zwei Tage nach dem Unglück werden immer noch Menschen vermisst. In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben des NRW-Innenministeriums landesweit mindestens 43 Todesopfer und viele Verletzte. In der besonders vom Hochwasser betroffenen nordrhein-westfälischen Ortschaft Erftstadt-Blessem gibt es dagegen bislang keine bestätigten Todesopfer. Da die Arbeiten der Rettungskräfte aber noch in vollem Gange seien, könne man nicht ausschließen, noch Todesopfer zu finden, sagte ein Kreisprecher am Samstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Die Lage sei aber weiter angespannt.

In Rheinland-Pfalz hatte Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Freitag noch von 63 Todesopfern gesprochen. Die Zahl der Verletzten in Rheinland-Pfalz lag bei 362. Die Such- und Rettungsarbeiten gehen auch dort weiter. Noch immer sind Tausende Rettungskräfte in der Eifel, wo in der Nacht zum Donnerstag die Wassermassen ganze Orte verwüstet hatten.

Hotline für Vermisstensuche eingerichtet

Laut Frühwarnprognose des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz verringerte sich die Hochwassergefahr zuletzt. In vielen Ortschaften fiel weiterhin das Strom- und Telefonnetz aus. Angehörige, Freunde oder Bekannte, die jemanden vermissen, können sich unter der Rufnummer 0800 6565651 bei der Polizei melden.

In der Nacht war die Polizei nach Angaben des Präsidiums mit vielen Einsatzkräften in den betroffenen Ortslagen im Einsatz. Durch das Unwetter seien zahlreiche Straßen im Ahrtal weiterhin gesperrt oder nicht mehr befahrbar.

Durch das Abfließen der Wassermassen werden die von den Fluten angerichteten Schäden an Ahr und Mosel sichtbar. Auch die Infrastruktur hat schweren Schaden genommen: In dem besonders stark betroffenen Landkreis Ahrweiler sind Straßen gesperrt und Brücken zerstört, der Zugverkehr ist in Rheinland-Pfalz wegen der Überflutungen weiterhin massiv beeinträchtigt. Hunderte Rettungskräfte sind auf der Suche nach Toten, Verletzten und Vermissten. Bei dem Schadensausmaß sei mit weiteren Opfern zu rechnen, sagte ein Polizeisprecher am Samstagmorgen. „Der Einsatz läuft auf Hochtouren.“

Bei Erftstadt laufen Aufräumarbeiten Foto: David Young/dpa

Eine besonders dramatische Lage hatte sich in Erftstadt-Blessem südwestlich von Köln ergeben: Dort kam es zu gewaltigen Erdrutschen, es bildeten sich Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein.

Stadtteil an der Rur nach Dammbruch evakuiert

Im nordrhein-westfälischen Wassenberg an der Grenze zu den Niederlanden wurde nach dem Bruch eines Damms der Rur der Stadtteil Ophoven evakuiert. Rund 700 Anwohner waren davon betroffen. Die Lage war am frühen Morgen laut Mitteilung der Stadt weiter angespannt. Der zuständigen Kreispolizei Heinsberg und der Bezirksregierung Köln waren am Morgen aber keine besonderen Vorkommnisse aus der Nacht bekannt. „Insgesamt stagnieren die dortigen Wasserpegel derzeit“, teilte die Stadt Wassenberg mit.

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste nach dem Abbruch ihres Urlaubs in die Krisengebiete. Wie eine Sprecherin am Freitagabend mitteilte, will sich die Parteichefin vor Ort über die Lage der Menschen informieren. Dabei verzichte sie bewusst auf Pressebegleitung oder öffentliche Auftritte. Den Angaben zufolge traf Baerbock am Freitag in Mainz ein. Auf Twitter schrieb sie dazu: „Die Gespräche gehen unter die Haut. Nach wie vor sind nicht alle Orte erreicht, Menschen weiter abgeschnitten. Zugleich gibt es eine unglaubliche Solidarität zu helfen, Betroffene zu Hause aufzunehmen und zu unterstützen.“ Für Samstag sind weitere Termine Baerbocks in Nordrhein-Westfalen angesetzt.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstag): „Wir wissen, dass solche Extremwetterereignisse zunehmen werden. Daher brauchen wir entsprechende Anstrengungen beim Klimaschutz – in Deutschland, aber auch weltweit.“ Die Akteure in Bund, Land, Städten und Kreisen sowie Hilfsorganisationen seien „leistungsfähig, aber für bundesweite Krisenszenarien brauchen wir einen verlässlichen Rahmen“. Es dürfe nicht so weit kommen, dass das Leben an Flüssen und Küsten in Deutschland nicht mehr möglich sei.

In Nordrhein-Westfalen sind nach Angaben des Innenministeriums rund 22 000 Einsatzkräfte von Feuerwehr und Hilfsorganisationen wie dem Technischen Hilfswerk (THW) an den Rettungsarbeiten beteiligt. Hinzu kämen 700 Beamte der Landespolizei und Kräfte der Bundespolizei sowie Einsatzkräfte aus Hessen, Niedersachsen und Hamburg. Die Koordinierungsgruppe des Krisenstabs Nordrhein-Westfalen tausche sich rund um die Uhr zur aktuellen Lage bei der Hochwasserkatastrophe aus und helfe landesweit bei der Koordinierung, hieß es am Samstagmorgen in Düsseldorf.

Hochwasser entlang der Maas

Im Süden der Niederlande haben die Anwohner entlang der Maas am Samstag mit Sandsäcken und Schutzmaßnahmen den Kampf gegen das Hochwasser fortgesetzt. Mit einem Absinken des Wassers wurde in Roermond am Sonntagmorgen und in Venlo am Sonntagabend gerechnet, teilten die Behörden mit.

In Venlo an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen war am Freitag ein Krankenhaus mit 200 Patienten vorsorglich evakuiert worden. In der Stadt und umliegenden Orten wurden Tausende Menschen zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgerufen. Zwar richteten die Fluten erhebliche materielle Schäden an, Berichte über Verletzte gab es aber nicht. Unterdessen riefen die Behörden Schaulustige auf, zu Hause zu bleiben, und drohten mit Bußgeldern. Wie die Stadt Venlo mitteilte, überwachte die Polizei auch aus der Luft die evakuierten Gebiete und die Deiche.

Hochwasser und Springfluten haben in Belgien bisher 24 Menschen das Leben gekostet. Das teilte das Krisenzentrum am Samstag mit und erklärte, man rechne mit weiteren Toten. Der Bahnverkehr und zahlreiche Straßen waren am Samstag im Osten Belgiens weiterhin blockiert. In der schwer getroffenen Ortschaft Pepinster brach eine Café-Besitzern in Tränen aus, als König Philippe und Königin Mathilde am Freitag die Menschen dort besuchten, um ihnen Trost zu spenden. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo besuchten nach einem Bericht des Rundfunksenders RTBF am Samstag das Katastrophengebiet.

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12 Kommentare

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  • Laschet der lachende Kasper hat es immer noch nicht kapiert.



    Während die Menschen am Elend vor Ort verzweifeln albert Laschet im Hintergrund lachend herum. Es ist der Laschet, der noch am Braunkohlebergbau festhält und immer noch nicht versteht, dass es für unser Klima 5 vor 12 ist. Die betroffenen Einwohner hätten ihn zum Teufel jagen sollen.

  • Ein Li-La-Laune-Laschi als Bundeskanzler. Eine gruselige Vorstellung!

  • RS
    Ria Sauter

    Hier hat jemand den lachenden Laschet gepostet. Interessant wäre auch, wer die anderen Mitlacher sind.



    Das ist unfassbar!

    • @Ria Sauter:

      Da sind jede Menge "Mitläufer" dabei, die einfach dann lachen, wenn der "Chef" einen "Witz" erzählt, meist sind das auch humoristische Grundgänger.

      Ich bin schockiert und zu tiefst entsetzt.

      Welche Respekt- und Pietätlosigkeit dort an den Tag gelegt wurde - jeden politischen Amts unwürdig.

      Und darüber hinaus:

      Der Bundespräsident spricht 5m weiter, zeigt sich vor Ort, nimmt Anteil, gibt Zuversicht und Hoffnung.



      Da kann man auch mal zuhören sofern das akustisch möglich ist oder einfach demütig die Klappe halten.

      Laschet ist untragbar in meinen Augen.

    • @Ria Sauter:

      de.wikipedia.org/wiki/Gregor_Golland

      de.wikipedia.org/wiki/Frank_Rock

      Die Frau ist vermutlich diese hier:



      www.cdu-wesseling....tina-engels-bremer

      Insbesondere zu Golland wird man im Netz sehr schnell und umfassend fündig. Er ist sowohl Laschets Mann bei RWE (oder RWEs Mann bei Laschet), als auch einer der wichtigsten Mittelsmänner zwischen "Werteunion" und der NRW-CDU, die offiziell mit der WU nichts zu tun haben will. Dass Maaßen in Laschets Team als Ministerkandidat gesetzt ist, ist vermutlich zum größten Teil der "Verdienst" von Gollum.

  • warum fordert niemand den rücktritt von laschet,merkel und schwesig .die ersten beiden haben sich für weiteren braunkohleabbau eingesetzt(hambacher forst)und schwesig will nordstream 2 durch bürgschaften durchprügeln.braunkohle erzeugt jede menge co2 ,nordstream 2(erdgas)jede menge methan beides extreme klimagifte die wesentlich für diese überschwemmungen verantwortlich sind

  • @taz



    Guter Artikel, aber habt ihr das hier mitbekommen?`Mit Videobeweis:



    twitter.com/susann...4444778131456?s=20



    Bundespräsident Steinmeier gibt ein besonnenes Statement nach einer Naturkatastrophe ab, die viele Menschenleben gekostet und Ortschaften verwüstet hat.



    Und @ArminLaschet lacht im Hintergrund.



    Des angestreben Amtes unwürdig. #LaschetDarfNichtKanzlerWerden

    • @Realdemokrat:

      Wer Laschet als "Landesvater" tituliert, hat davon offensichtlich nichts mitbekommen, oder will die Sache vertuschen.

    • RS
      Ria Sauter
      @Realdemokrat:

      Da wäre ich dabei! Der Mann ist untragbar. Auch in der Sendung von Illner, zu der er aus einem überflüteten Ort zigeschaltet wurde, hat er sich das Grinsen nur mühsam verkneifen können.



      Was geht in einem solchen Kopf vor? Nichts Gutes !

  • RS
    Ria Sauter

    Jetzt gibt es also für die Betroffenen und die Helfenden laue Gespräche und einen Händedruck. Wohlgemerkt von denen, die durch ihre Politik solche tödlichen Ereignisse mit verursacht haben.



    Das völlig unangebrachte Geschwafel der Weinkönigin ist ein solch extremes Beispiel für völlige Verlogenheit.



    Noch immer liegt die CDU bei über 30 %.

    • @Ria Sauter:

      ... und 15% SPD, 11 % FDP, 11% AFD, die in der Reihenfolge für abnehmend ökologische Politik stehen. Das sind zusammen 37 %, die zu den 30 % der CDU hinzukommen. Immerhin muss der Maßstab nicht ein bisschen ökologische Politik sein sondern der notwendige. Selbst bei Grünen und Linken darf notwendige Politik bezweifelt werden. Insgesamt also ein recht pessimistisches Bild, was sich aus den Umfragen her ergibt. Bleibt abzuwarten, inwieweit die Flutkatastrophe zu klimapolitischen Erkenntnissen mit entsprechenden Wahlergebnissen und persönlichen Handlungsveränderungen führt ...

      • @Uranus:

        Noch mal deutlich: die 37 % von SPD AFD und FDP mit den 30 % der CDU addiert ergeben 67 % (!), die keine mit notwendige Klimapolitik verfolgen (hierbei geht es nicht um bloße Bekenntnisse zu Klimazielen sondern auch um einhergehende ausreichende Reformvorschläge).