Flutkatastrophe in Westdeutschland: Warnungen bitte warten

Das Mobilfunknetz fiel aus, der Rundfunk informierte nur sparsam. Nur langsam gelangten Infos an die Betroffenen. Technisch ginge da mehr.

Möbel und ein altes Radio stehen draußen

Aus dem Schleifer­museum Balkhauser Kotten in Solingen gerettetes Inventar Foto: nordphoto/imago

Der Schock über die verheerende Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist noch frisch, und für dieses Wochenende sind weitere starke Regenfälle in der Region angekündigt. Dringend stellt sich die Frage, wie die Bevölkerung in der Flutnacht besser hätte informiert und geführt werden können. Warum es keine unmissverständlichen Warnungen gab. Warum öffentlich-rechtliche Sender ihr Programm nur spärlich unterbrachen. Ein Leser aus dem Landkreis Ahrweiler schreibt der taz, man habe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli verzweifelt vor dem Radio gesessen und auf Tipps und Ratschläge gewartet. Doch es seien nur Katastrophenberichte gesendet worden. In den letzten Tagen ist die Verantwortung mehrfach hin- und hergeschoben worden. Zum Deutschen Wetterdienst, zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz, zum Rundfunk, zur Politik.

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Kritik ertönte schnell am Westdeutschen Rundfunk. Auf dessen reichweitenstärkster Radiowelle WDR 2 lief in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag, als sich die Lage im Westen zuspitzte, die „ARD-Popnacht“. Dasselbe auf der meistgehörten Welle im Südwesten, SWR 3. Die „Popnacht“ ist ein von der ARD zentral produzierter Lückenfüller für die Stunden zwischen Mitternacht und 5 Uhr. Mehr Information gab es auf den weniger gehörten WDR- und SWR-Sendern – jedoch gemessen an der Lage spärlich: Nachrichten im 15-Minutentakt auf WDR5 etwa. Der SWR machte in der Nacht zwei Schalten und eine Sondersendung am frühen Morgen.

Im Nachhinein eine Fehlentscheidung, erklärte der WDR diese Woche zerknirscht. Fügte aber auch hinzu, dass man wegen der Flut selber mit begrenzten Ressourcen und ausgefallenen Studios gearbeitet habe. Der SWR betont, dass sich „das Ausmaß der Katastrophe erst im zeitlichen Verlauf gezeigt habe“.

So schnell und unvermittelt kam die Katastrophe allerdings nicht. Die Warnung des Deutschen Wetterdienstes mit Status „extreme Unwetter“ für das Gebiet lag am Dienstagmorgen vor. Zwei Tage Zeit zum Aktivieren eines Katastrophenprotokolls in der Redaktion. Wenn man denn eines hätte.

Infos zurückhaltend ausgespielt

Sicher haben die Jour­na­lis­t*in­nen und Teams, die in der Unglücksnacht im Dienst waren, nicht Däumchen gedreht. Aber die Informationen wurden zu zurückhaltend ausgespielt. Oft läuft der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei einer akuten Gefahrenlage zu langsam an. Hauptprogramme werden kaum oder gar nicht unterbrochen. Man berichtet, aber man „führt“ nicht. Eine Welle, wo ein Informationsstand in Dauerschleife wiederholt wird, wo man also, egal wann man einschaltet, Antworten auf die drängendsten Fragen bekommt, fehlte.

Tatsache scheint zu sein, dass uns Unwetterkatastrophen jetzt häufiger ereilen werden. Tatsache ist auch, dass die „Infrastruktur Information“ darauf nicht vorbereitet ist. Ein sogenanntes Cell-Broadcasting, umgangssprachlich „Warn-SMS“, wie es in vielen Ländern üblich ist, war in Deutschland bisher nicht vorgesehen. Stattdessen setzte man auf Warn-Apps, die erst installiert werden müssen. Der Ansatz scheint zu sein, dass die Menschen bitte zu den Infos zu kommen haben, nicht die Infos zu den Menschen.

Bei der Informationspolitik im Notfall muss man unterscheiden zwischen Warnen und Führen. Im Warnfall wissen die Menschen noch nicht von der Notlage, haben die Geräte noch nicht in die Hand genommen. Hier müsste schnell und auf mehreren Wegen gewarnt werden. Sirenentöne kombiniert mit Cell Broadcasting aufs Handy und Durchsagen im Radio. Cell Broadcasting darf jetzt nicht im Übereifer als einzige Lösung gepriesen werden. Denn der Mobilfunk, wie die Krise gezeigt hat, ist anfällig für Schäden. „Warn-SMS“ mögen bei überlasteten Netzen noch durchkommen, bei Vollausfällen nicht.

Mobilfunk wird bisher terrestrisch über lokale Funkmasten gesendet. Diese haben je eine Reichweite von einigen Kilometern. Wenn ein einzelner Mast ausfällt, ist das weniger schlimm. Wenn aber Hunderte Masten in einem relativ engen Gebiet keinen Strom mehr haben, weil sie im Wasser stehen, dann bricht der Mobilfunk zusammen und entsprechend auch das mobile Internet. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist das vergangene Woche so gekommen. Deshalb kann ein Warnsystem aufs Handy immer nur ein Teil einer Informationskette für den Notfall sein.

Dauerhaftes Notprogramm im Radio wäre wichtig

Sicherer als die Mobilfunkmasten sind in der Regel die Sendestationen des Rundfunks mit ihren UKW- und DAB-Signalen. Sie haben eine größere Reichweite als der Mobilfunk, entsprechend gibt es weniger von ihnen. Das heißt zwar: Wenn einer ausfällt, ist es schlimmer als beim Mobilfunk. Dieser Fall ist aber unwahrscheinlicher, weil Rundfunkmasten besser gegen Ausfälle geschützt sind, etwa per Notstrom.

Ohnehin kommt neben dem Handy vor allem dem Radio im Notfall eine besondere Bedeutung zu. Radios sind in fast allen Haushalten vorhanden, sind häufig batteriebetrieben. Entsprechend wichtig wäre es, dass im Notfall die Rundfunkanstalten sofort auf ein dauerhaftes Notprogramm umschalten.

Noch mehr Möglichkeiten für den Warnfall bieten die neueren Digitalradios, die nach DAB+-Standard empfangen. Bernhard Niemann ist Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen. Niemann leitet dort die Abteilung „Breitband und Rundfunk“. „Beim digitalen Rundfunk kann ich neben Audio wie Sprache und Musik auch Daten übertragen“, sagt Niemann. So könne man etwa lesbaren Text auf dem Display anzeigen, und so etwa auch in mehreren Sprachen informieren. Zudem forscht das Erlanger Institut an einer so genannten Notfall-Warnfunktion (EWF), die bei Digitalradios möglich ist. Geräte, die sich im Standby befinden, ließen sich damit im Warnfall von fern anschalten. „Ein Gerät im laufenden Betrieb kann außerdem auf den relevanten Sender umgestellt werden“, sagt Niemann. „Bisher muss man stattdessen das Programm in allen laufenden Radiosendern unterbrechen.“

Ist die Warnung erfolgt und die Bevölkerung sensibilisiert, dann geht der Bedarf über ins „Führen“. Konkrete Handlungsanweisungen, Telefonnummern, Tipps in Dauerschleife. Das wäre die Aufgabe des Rundfunks. Gäbe es die EWF-Funktion schon, könnte eine Welle bestimmt werden, auf die alle örtlichen Sender dann umschalten. Da Digitalradios viel schneller Batterien leerfressen als die alten UKW-Radios, wäre zusätzlich zu prüfen, ob UKW-Wellen für den Notfall beibehalten werden können.

Sich der Verantwortung bewusst werden

Bisher scheint das Land auf all das nicht vorbereitet. Der Mobilfunk ist wetteranfällig. Der Rundfunk ist zwar relativ stabil, aber die Sender nicht in der Lage oder nicht willens, schnell auf Katastrophenhilfe umzuschalten. Eine redundante Struktur, also mehrere Sendewege, die parallel warnen, existiert nicht.

Gegenwärtig sieht Bernhard Niemann auch ein Problem darin, dass für den Hausgebrauch fast ausschließlich terrestrisch gesendet wird. Eine relativ neue Idee in der Entwicklung sei deshalb, Satellitensignale ins Mobilfunknetz zu integrieren. Diese könnten „einspringen“, wenn die Mobilfunkmasten am Boden ausfallen. „Die Satellitenkomponente wäre eine optimale Ergänzung“, sagt Niemann. „Satelliten fliegen sehr hoch und haben eine große Abdeckung in der Fläche.“

So wäre auch das Versenden von Warn-SMS an alle Handys in einer bestimmten Gegend nicht mehr abhängig davon, ob die Mobilfunkanlagen am Boden noch trocken stehen. Allerdings laufen Satellitentelefone bisher mit einem komplett anderen Übertragungsverfahren als gewöhnliche Handys. Ziel sei, beide kompatibel zu machen. Niemann kann sich vorstellen, dass das in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Form eines Updates des aktuellen 5G-Standards Wirklichkeit wird. In fünf bis zehn Jahren kann es aber noch zu mehreren Katastrophen ähnlichen oder schlimmeren Ausmaßes kommen.

In der Zwischenzeit arbeiten andere daran, die Auswirkungen von Fluten, Erdbeben oder Stürmen immer besser vorherzusagen und automatisch zu warnen. Der Datenkonzern Google erprobt in Indien und Bangladesch Software, die mit Machine Learning, also künstlicher Intelligenz, Überflutung modellieren, voraussagen und von sich aus warnen kann. Direkt aufs Handy.

Trotzdem gibt es Argumente gegen voll automatisierte Warnsysteme in der Hand von privaten Anbietern. Aus gutem Grund ist Rundfunk in Deutschland dezentral organisiert und unabhängig von staatlichen und gewerblichen Interessen. Im Notfall müsste die Devise lauten: Behörden warnen, der Rundfunk führt. Beide Stellen müssen sich offensichtlich dieser Verantwortung wieder bewusst werden.

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