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Flutkatastrophe in DeutschlandSolidarität, die entpolitisiert

Deutschland durchlebt eine Katastrophe. Doch die notwendige politische Diskussion wird von Solidaritätsinszenierungen vernebelt.

Eine Katze läuft über den Schlamm einer gefluteten Straße in Schuld Foto: Wolfgang Rattay/reuters

J eder, der einem von der Flutkatastrophe betroffenen Mitmenschen ein Brötchen vorbeibringt, ist solidarisch. Und jede, die bei Wiederaufbauarbeiten eines anderen mithilft, auch. Wenn aber mediale Beiträge selbstverständliche Akte der Menschlichkeit auf eine Weise überbetonten, als seien sie außergewöhnlich, dann stellt sich die Frage, ob zumindest unbewusst mehr dahintersteckt.

Beispielhaft dafür ist die ZDF-Reportage „Die Hochwasserkatastrophe – Gemeinsam gegen die Flut“ vom 19. Juli. Darin heißt es untermalt von einfühlsamer Musik: „Nun rollt eine andere Welle, eine von der guten Sorte, eine Welle der Hilfsbereitschaft. Überall im Land wird gespendet und gesammelt“, die „Szenen von Freigiebigkeit und Solidarität“ werden gerahmt von O-Tönen Betroffener und Helfender, die mit Tränen kämpfen oder erzählen, dass sie angesichts der überwältigenden Solidarität bereits geweint hätten.

Natürlich treffen herzerwärmende Bilder und Sätze nach einer fürchterlichen Katastrophe wie dieser auf ein berechtigtes Bedürfnis. Auch den Autor dieses Textes haben sie berührt. Es sind Bilder, die aufbauen sollen, die Menschen selbst und ihre Häuser.

Man sollte sich aber auch über den potentiellen Preis bewusst sein: Sie können berechtigte Wut und Enttäuschung als Voraussetzung für eine politische Diskussion über Verantwortlichkeit entschärften, die Katastrophe somit entpolitisieren.

Unmittelbar muss jetzt über politische Verantwortung im Bereich Katastrophenschutz und -prävention diskutiert werden, mittelbar über den Klimawandel. Und es müssen politische Konsequenzen gezogen werden. Der Staat zieht sich schon seit Jahren von seiner sozialen Verantwortung zurück, Bilder wie diese privatisieren das Soziale weiter.

Schließlich sollte solche Solidaritätsinszenierung auch mit Blick auf die jüngere Vergangenheit skeptisch stimmen: Man denke an die Menschen, die 2015 den an deutschen Bahnhöfen ankommenden Geflüchteten applaudierten oder an jene, die im Pandemiejahr 2020 aus Wohnungsfenstern Pflegekräfte bejubelten.

2017 ist die AfD in den Bundestag eingezogen, auch als Ergebnis einer gesamtgesellschaftlich unsolidarischen Stimmung gegenüber Geflüchteten. 2021 arbeiten Pflegekräfte immer noch prekär. Aber vielleicht geht es bei performativen Solidaritätsbekundungen und der Zurschaustellung von Solidarität auch eher darum, sich selbst gut zu fühlen – als Einzelner, aber auch als hilfsbereites, moralisch erhabenes nationales Kollektiv.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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10 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Sie können berechtigte Wut und Enttäuschung als Voraussetzung für eine politische Diskussion über Verantwortlichkeit entschärften, (Anmerkung: gemeint sind hier Presse/MedienBerichte über Solidarität mit den Überschwemmungsopfern") die Katastrophe somit entpolitisieren.""

    ==

    Nein. Presse & Medien versuchen einen Spiegel abzubilden - was nicht immer gelingt - in dem Solidarität mit Opfern ein wesentlicher Teil ist.

    Die Frage die sich stellt: ob nicht manchmal überproportionale Berichterstattung über Rechtsradikale, Rechtspopulisten, Reichsbürger & RADIKALE Impfgegner zur Entpolitisierung beitragen. Gemeint ist natürlich das eine Berichterstattung über diese Gruppen wichtig, sinnvoll und notwendig ist.

    Was eindeutig zur Entpolitisierung beiträgt: im Grundsatz habe ich nichts dagegen Baerbock für Nachlässigkeiten und mit einem überhöhten Anspruch im Rucksack, die Übernahme von Textpassagen ohne Beachtung von Zitatregeln zu kritisieren.

    Sich darauf in der Berichterstattung zu beschränken befördert Entpolitisierung - man jagt eine Sau durchs Dorf und plakatiert rabenschwarz die ach so böse böse Baerbock -

    aber unterschlägt dabei mit der grenzenlosen schlitzohrigen Naivität eines Seeräubers, der seine Tat für rechtens hält, weil er die Macht dazu hat, die Verdienste Baerbocks beim jahrelangen Neuaufbau/ Neu-Strukturierung der Partei und in der politischen Neuausrichtung der Grünen, die Erfolge Baerbocks bei der Außendarstellung der Agenda der grünen Partei, Baerbocks Karriereerfolg, der in Ihrem Lebenslauf dokumentiert ist - und verhindert damit eine politisch-sachliche Auseinandersetzung über die Inhalte ihres Buches.

    Wenn das keine Entpolitisierung ist, ausgelöst durch die Überhöhung von Unkorrektheiten in der Darstellung und einem übermenschlichen Korrektheitsanspruch, an dem Baerbocks Gegner merkwürdigerweise nicht gemessen werden....................

  • "(...) vielleicht geht es bei performativen Solidaritätsbekundungen und der Zurschaustellungen von Solidarität auch eher darum, sich selbst gut zu fühlen (...)" (Volkan Agar)



    Das Mensch sich gut fühlt wenn er Gutes tut ist ein allgemein bekanntes psychologisches Phänomen - und völlig normal. Man muß schon ordentlich misanthropisch unterwegs sein um das nicht an sich selbst erleben zu können.



    Dies aber in politischen Kategorien zu bewerten, ist schon ein hammerhartes Ding. Wieso erinnert mich das jetzt aber an die unseligen Früh-70er-Jahre und ihre diversen KPD/MLen? - Auweia!

  • 40 Millionen Euro an Spenden! Wenn das nichts ist! Doch für wen wird gespendet?



    Für westdeutsche Hausbesitzer.

  • guter take. Bloß hätte ich einen Wunsch:

    Wer über die Mutter aller Totalitäten schreibt, sollte sich wie ich finde nicht eines Wordings bedienen, das von Reaktionären entworfen wurde, um das Bewusstsein über die Dringlichkeit der Klimakrise in der Bevölkerung so gut es geht unter der Decke zu halten.

    Das Wort "Klimawandel" zu verwenden geht auf den konservativen Meinungsforscher Frank Luntz zurück, der im Jahr 2002 der Bush-Regierung nahe legte, vom Wording der Clinton-Administration abzurücken, die noch von "globaler Erwärmung" gesprochen hatte. Dieser verharmlosende Diskurs wird bis heute immer noch von vielen weitergeführt.

    mögliche Alternativen:



    - planetarer Zusammenbruch ökologischer Systeme



    - Klimakatastrophe



    - die systematisch eskalierende Vernichtung unserer ökologischen Lebensgrundlagen

  • Ja, als Beobachter der Kommentare von Politik und die in Gang gekommene



    gesamtgesellschaftliche Solidarität,



    sehe ich auch die Gefahr, die der Autor



    beschreibt.



    Ein KfW Kredit und höhere Abschreibungen auf Neubau der zerstörten Häuser oder Instandhaltung kann nicht da letzte Wort sein.



    Direkthilfen für Betroffene mit kleinem oder keinem Vermögen ist das Gebot der Stunde...



    Ich bin also gespannt ob diese Hilfen sehr zeitnah umgesetzt werden... Nur



    wichtige Anteilnahme und Betroffenheit reichen nicht ,,,,

  • Manipulation wohin man schaut.

  • Alles hat seine Zeit. Jetzt ist Zeit für Solidarität. Morgen ist Zeit für Politik.



    Das kann und muss man trennen. Für Wut sollte allerdings nie Zeit sein. Sie verhindert die Trauer. Und den Blick nach vorn auf den Wettstreit der Lösungsansätze. Oder eben: auf demokratische Politik.

  • Das Diktum von Walter Lübcke gilt:



    "Ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist."

    • @Linksman:

      In meinem Land darf man selbstverständlich kritisieren!



      Das bringt manchmal mehr als große Solidaritäts-Inszenierungen...

    • @Linksman:

      Linksman! Das ist platt. Auch wenn Sie eine vermeintliche Autorität vorschieben.



      Bitte noch einmal in eigenen Worten.



      Und in ganzen Sätzen.