Flughafen BER eröffnet: Das Auge fliegt nicht mit

Der neue Flughafen Berlin-Brandenburg ist doch noch fertig geworden. Ein ästhetisches Surplus findet man dort allerdings nirgends.

Im Vordergrund Bäume in Reih und Glied. Im Hintergrund Säulen und Dach von Terminal 1.

Den Stützen fehlt Fleisch, das Körperliche. Der neue Flughafen Berlin-Brandenburg Foto: Annegret Hilse/reuters

Das Abenteuer Flughafen BER beginnt bei der Zufahrt über die neu angelegte Autobahn mit einem Versprechen. Aber nur, wenn man kein Auto vor sich hat, und dann auch nur für einen kurzen Moment: Es erhebt sich aus dem sonst nicht sichtbaren Areal ein weit ausladendes flaches Dach, das auf sechs Stützen ruht; ein quasi schwebendes, in die Luft gemaltes Zeichen: Es grüßt die Idee Nationalgalerie von Mies van der Rohe.

Ein dunkler Fond, vom vorstehenden Dach verschattet, davor die Stützen. Schöner Einfall, denkt man. Die Blitzsekunde des Glücks zerstiebt allerdings bereits in der nächsten Kurve in einem räumlichen Debakel. Denn der Freiraum vor der Hauptzufahrt des neuen Berliner Flughafens, hinter der zuvor dieses Tempelmotiv aufschien, wird von zwei jeweils sechsgeschossigen Gebäuden flankiert. In ihrer formalästhetischen Banalität, mit ihrem Kistenformat und ihren monotaktisch durchgerasterten Fassaden neutralisieren sie alles Gefühl, allen versprochenen Sinnesreiz, und machen alle Freude auf Form und Gestalt und Bau und Raum zunichte.

Wir stehen jetzt vor der Eingangskolonnade zum Terminal 1 auf dem Willy-Brand-Platz.

Die Verlautbarungsprosa des Flughafenpressebüros liest sich wie ein zweites Versprechen: „Das Terminal 1 mit seinen gegliederten Fassaden und klaren geometrischen Formen greift architektonische Elemente von Schinkel bis zum Bauhaus auf. Entworfen wurde das Gebäude von den gmp-Architekten Gerkan, Marg und Partner.“

Mit ihren monotaktisch gerasterten Fassaden machen die Kisten alle Freude auf Gestalt zunichte

Leider sucht man beide Referenzangaben in allen Bauteilen auf dem Gelände vergebens: Kein Klassizismus, kein Raffinement à la Schinkel, auch keine Backsteingotik, nirgends; das vom Bauhaus entwickelte For­men­repertoire, ohnehin eher aus anderen internationalen Tendenzen zusammengetragen, glänzt ebenso durch Abwesenheit. Womit haben wir es aber dann zu tun?

Der Terminalkomplex verfügt über zwei Zufahrten: eine über den Willy-Brandt-Platz und eine über eine höher gelegene Straße hinter der erwähnten Pfeilerkolonnade, die quer zum Platz steht. Dies ist der erste Bauteil. Er markiert den Hauptzugang. Von hier aus gelangt man in die gläserne Halle des Terminals.

Die beiden eingangs erwähnten „Kisten“ (ein Hotel und ein Bürogebäude) bringen den Eindruck des großen „Flugdaches“ zum Verschwinden. Sie schieben sich davor und gleichsam darunter und mindern seine potenziellen Qualitäten erheblich. Hier beherrschen leider die Objekte den Raum; es sollte aber umgekehrt sein. Überhaupt versinkt hier optisch und visuell der gedachte „Tempel“, weil er weit dahinter platziert ist; man sieht nur noch seine obere Kante.

Baulich und räumlich herrscht auf der zweiten Ebene – wir sind die Treppen vom Platz aus zur höher gelegenen Straße hochgestiegen – das Grauen: ein Raumfeld ohne Halt, ohne baulich oder ästhetisch definierte Raumgrenzen. Zu sehen sind Drahtverhau-Parkhäuser, die Obergeschosse von Hotel und Bürohaus, eine unsensible, viel zu lange und zu niedrige Pfeilerkolonnade auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit dem Zugang zum Terminal; sie wirkt wie eine Sperre, in deren Halbschatten die versteckten Zugänge sich verbergen, die man erst einmal finden muss.

Hinzu kommen verloren auf dem „Bürgersteig“ stehende und spitz in das überstehende „Flugdach“ ragende dünne Pfeiler aus hellem Stahl: In der Summe ergibt dies einen unbeherrschten Raum, den die Straße und der Mittelstreifenparkplatz dominieren; irgendwie fühlt man sich im Nirgendland, in einem Gewerbegebiet, in das man aus Versehen geraten ist.

Der zweite Bauteil ist das eingangs erwähnte, weithin sichtbare Zeichen des Versprechens: die gigantisch ausladende Platte des Daches, die von 32 Meter hohen Stahlstützen getragen wird, jedoch strukturell und baulich, architektonisch und figürlich völlig unverbunden wie ein zu groß geratener wackeliger Tisch über das Terminal gestellt wurde.

Nichts von der Eleganz und dem Raffinement von Mies van der Rohe: Den Stützen fehlt Fleisch, das Körperliche, die die auf sie wirkende Kraft symbolisierende Gestalt. Natürlich sind sie statisch so gerechnet, dass sie das Dach tragen; aber man empfindet sie als zu dünn. Jahrhundertelang beschäftigten sich die Architekten mit den Maßverhältnissen von Säulen und Stützelementen und definierten das Verhältnis von Umfang und Durchmesser zur Höhe, zum Abstand zwischen gleichen Gliedern (hier 44 Meter). Warum haben unsere Architekten dieses Repertoire eigentlich freiwillig aufgegeben?

Es geht nicht um ein Verlangen nach Säulen – die haben sich konstruktiv und motivisch selbst erledigt –, sondern um den Code von Proportionen, den letzten Schliff (so wie man eine Sauce abschmeckt). Man spürt hier förmlich ein raumbedingtes Unbehagen.

Die Glashalle, die dieses Dach überspannt, und die ausschließlich aus ihrem Innern heraus erfahrbar wird, und dieses Dach selbst mit seiner ihm eigenen strukturellen Logik, sie kommen baulich und räumlich nirgends zusammen. Sie wirken rein additiv übereinandergestellt. Auch der Rhythmus der langen Kolonnade (die als Band die Glashalle umfängt und verdeckt) und der Rhythmus der Stützen des Daches wirken nicht zusammen. Letztere stehen strukturell gleichsam ungebunden auf dem schmalen Trottoirstreifen, der die Fahrbahn von der dunklen Zone der Kolonnade trennt. Es ist nicht schön, das alles ansehen zu müssen.

Der dritte Bauteil ist die mit einer Glasfassade eingehauste Halle des Terminals. Sie ist gleichsam der Nukleus des Flughafens, der Empfangsraum, das Verteilerrelais, die transitorische Mitte, der Ort der Begegnung der ankommenden mit den abfliegenden Passagieren.

Zwei Hallenräume teilen sich dieses Terminal 1, diese „Glasvitrine“, die 222 Meter lang, 180 Meter breit und 32 Meter hoch ist: Es sind dies eine vorgeschaltete Eingangshalle und eine Shop­ping­halle hinter der Security. In der ersten „Glasvitrine“ stehen wie eingestreute Inseln acht für die Höhe der Halle etwas zu niedrige Counter, nussholzfurnierte Körper, relativ eng bei­ein­ander. Intelligente Raumverschwendung sieht anders aus. Dahinter erstreckt sich über die ganze Breite und Höhe eine wie die Zugangskolonnade strukturierte gigantische „Regalwand“, ebenfalls nussbaumfurniert. Vor ihr, auf einer Empore, finden sich die üblichen Verdächtigen für Gastronomie und Kaffee ein. An ihrem Fußpunkt durchschreitet man die Security.

Etwas Warmes, gar Heimeliges

Zusammen mit dem Boden aus jurassischem Kalkstein ergibt das Farbspiel etwas Warmes, gar Heimeliges – einen verräterisch täuschenden Gemütlichkeitskoeffizienten. Vom Verweilen jedoch hält schon ein „Fliegender Teppich“ genanntes Kunstwerk der Künstlerin Pae White ab, das jenseits jeder baulich-räumlichen Struktur bedrohlich wie ein roter zerfetzter überdimensionierter Putzlappen zwischen dem Dach und den furnierten Counterschachteln schwebt.

Zu dem zweiten Hallenabschnitt vermerkt die Pressemappe: „Das Herzstück bildet ein circa 9.000 Quadratmeter großer Marktplatz im Zentrum des T1 im Sicherheitsbereich. Teil des Marktplatzes ist der auf einer Empore gelegene Food-Court.“ Guten Appetit und prost möchte man rufen.

Hier ist alles recht ordentlich „gestaltet“ – aber eher Wohnzimmer statt Weltstadtflughafen. Das Mobiliar ist nett. Stühle, Tische, Hocker, Bartresen, alles ist adrett und sauber, hübsche Oberflächenpolitur: ein wenig Glanz und Wärme für das Berlin verlassende Herz oder die Ankommenden aus aller Welt. Das darf man aber auch verlangen, hat schließlich viel Geld gekostet, sehr viel. Und die Architekten wurden auch dafür entlohnt. Und zwar richtig!

Ein ästhetisches Surplus aber findet man nirgends im neuen Flughafen von Berlin und Brandenburg. Wirklich zu loben gibt es auch nicht viel.

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