piwik no script img

Flüchtlingsdeal mit TunesienSchritt zur Barbarisierung

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Der Deal zwischen der EU und Tunesien wird vor allem eine Folge haben: Mehr Gewalt gegen Menschen auf der Flucht und mehr Tote.

Libysche Grenzbeamte retten am 16. Juli Flüchtlinge, die von Tunesien in die Wüste getrieben wurden Foto: Mahmud Turkia/afp/getty images

V erdurstende, völlig entkräftet im Staub der Sahara: Die zuletzt verbreiteten Bilder von Menschen, die Tunesien an seiner Südgrenze in der Wüste aussetzt, sind erbarmenswert. Nicht einmal die libysche Grenzpolizei ließ sich nehmen, sich dabei fotografieren zu lassen, wie sie in Herrenmenschenpose aus heruntergelassenen Seitenfenstern ein paar Tropfen in die Kehlen elender Gestalten tropfen ließ. Brutaler lassen sich Unerwünschte kaum abwehren.

Dass die Zahl der toten Geflüchteten in der Wüste wohl jene im Mittelmeer übersteigt, nur dass die in der Wüste niemand zu zählen vermag – darauf wiesen die UN schon vor fünf Jahren hin.

Das Aussetzen von Menschen in der Wüste war lange vor allem von Algerien praktiziert worden. Nun aber hält es auch Tunesien zunehmend so: Wer in dem nordafrikanischen Land nicht bleiben soll, muss damit rechnen, in lebensgefährlicher Hitze im Nirgendwo abgeladen zu werden. Die entsprechenden Berichte häuften sich zuletzt.

Es ist kaum ein Zufall, dass das Land fast zeitgleich mit der EU enger in die Beratungen über eine intensivere Partnerschaft bei der Migrationsabwehr eingestiegen war. Präsident Saied braucht dringend Geld, um die Staatsausgaben weiter leisten zu können. Und die EU will sinkende Flüchtlingszahlen, und zwar sofort. Die extreme Rechte wird vielfach immer stärker, im Mai sind EU-Wahlen. So versprach die EU Saied nun Hunderte Millionen. Und Tunesien sicherte zu, künftig mehr zu tun, um die Grenzen dicht zu halten. Fast immer gehen solche Zusagen mit einem Schub an Brutalisierung einher. Die Barbarisierung der Türsteherstaaten ist ein Muster, das sich vielerorts beobachten ließ – so wie dieser Tage in Tunesien.

Auf Arabischen Frühling folgt langer Herbst

Keine der vielen diplomatischen Formeln, die die Vereinbarungen der EU mit ihren Partnern auf zivilisatorisch-menschenrechtliche Standards eichen sollen, verhindert, dass am Ende nackte Gewalt gegen Menschen auf der Flucht steht. Gewalt, die die Europäer seit Langem widerspruchslos hinnehmen – und dafür zahlen.

Diese Entwicklung ist auch eine weitere Niederlage des Arabischen Frühlings. Die Menschen, die 2011 den Diktator Ben Ali aus dem Amt jagten, hatten damals auch gegen die Türsteherdienste ihres Landes für Europa protestiert. Die seither vergangenen Jahre waren ein Kampf auch um die Frage, was Tunesien wichtiger ist: Geld aus der EU oder der Versuch, sich mit anderen Staaten Afrikas für ein an Menschenrechten und gemeinsamen afrikanischen Interessen orientiertes Verhältnis zu den Europäern einzusetzen. Nun hat Tunesien sich für das Geld aus Europa entschieden. Mehr Gewalt und Tote an den Grenzen werden die Folge sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Falsche Blaupausen im Asylrecht von den Nachbarn?



    Der lange latente Rechtsruck in den europäischen Gesellschaften offenbart erschreckende Gleichklänge.



    //



    "Schnell einmal nach unten treten, weil sonst nichts läuft



    Was bezweckt Sunak mit dem neuen Asylgesetz? Er weiß, dass er nicht mehr viel Zeit bis zu den nächsten Wahlen hat, und laut Meinungsumfragen werden die Tories eine Niederlage einstecken. Sunak hält es offenbar für publikumswirksam, den Asylbewerbern an den Kragen zu gehen, weil er bei den drängenderen Themen – steigende Lebenshaltungskosten, größer werdende Armut, leere Supermarktregale auch wegen fehlender ausländischer Arbeitskräfte – nicht vorankommt."



    Quelle taz.de

  • „Umfassende strategische Partnerschaft“

    Zitat: „Es ist kaum ein Zufall, dass das Land fast zeitgleich mit der EU enger in die Beratungen über eine intensivere Partnerschaft bei der Migrationsabwehr eingestiegen war. Präsident Saied braucht dringend Geld, um die Staatsausgaben weiter leisten zu können.“

    Mehreren Menschenrechtsorganisatoren wie Amnesty International zufolge werden in Tunesien Flüchtlinge, darunter Schwangere und Kinder, durch staatliche Behörden systematisch verfolgt und massenhaft in die Wüste im Niemandsland zwischen Tunesien und Libyen deportiert, wo viele von ihnen elendig verdursten.

    So sieht also die „Umfassende strategische Partnerschaft“ zwischen der EU und Tunesien aus, in der Tunesien die Funktion des Türstehers zur Flüchtlingsabwehr zugewiesen ist. Dies lassen sich die tunesischen Machthaber fürstlich mit 1 Mrd. € entlohnen, kürzlich zugesagt von der EU-Abordnung, bestehend aus der Kommissionspräsidentin, dem inzwischen an der Flüchtlingsabwehrpolitik gescheiterten Ministerpräsidenten der Niederlande Rutte und ausgerechnet der neofaschistischen Regierungschefin Italiens G. Meloni. Dieser schmutzige Deal erfolgte in vorheriger Abstimmung zwischen Meloni und Scholz.

    Meloni sieht darin ein Modell für weitere Abkommen dieser Art und hat dazu eigens nächste Woche mehrere Staats- und Regierungschefs nach Rom zu einer internationalen Konferenz geladen.

    Mit solchen Deals der „Team-Europe“-Politik macht sich die EU zum Komplizen drastischer Menschenrechtsverletzungen mit oft tödlichem Ausgang. So sehen sie also aus, die viel gepriesenen „regelbasierten“ internationalen Beziehungen…

    Danke an Christian Jakob für diese ungeschönte Darstellung der realen brutalen EU-Flüchtlingsabwehrpolitik hinter dem rhetorischen Nebelvorhang einer verlogenen Menschenrechtsphraseologie.

  • "Die Menschen, die 2011 den Diktator Ben Ali aus dem Amt jagten, hatten damals auch gegen die Türsteherdienste ihres Landes für Europa protestiert. "

    Das ist eine sehr freie Interpretation der Ereignisse, die im Rahmen des arabischen Frühlings in Tunesien abgespielt haben. Damals gab es viele Gründe für die Unzufriedenheit. Die Türsteher-Rolle Tunesiens gegenüber Europa zählte aber nicht dazu.

  • Ich denke, es ist alles noch viel komplexer, als es überhaupt möglich wäre in einen kurzen Artikel zu stecken. „Nun hat Tunesien sich für das Geld aus Europa entschieden“. Tunesien nicht, der tunesische Orban, der daran zügig und mit EU-Unterstützung daran arbeitet, das Land „seins“ zu machen. Aber es scheint nicht bloss – „bloss!“ – ein Afro-EU-Problem zu sein. Viele subsaharische Flüchtlinge hauen ab, weil bei ihnen Krieg-in-Endlosschleife herrscht. Mit russischen Schlächtern, Waffenhandel aus der ganzen Welt, arabischen Gold- und Edelsteininteressen involviert. Global-Alle(s) gegen eine: die unbetuchte und unbewaffnete Bevölkerung des Südens. Kinder, Frauen, Indigene zualleropfererst.

  • In Deutschland jedenfalls wird die extreme Rechte immer stärker ausschließlich nur wegen des rassistischen Angsthasses auf Migranten & Muslime in einer starken Mehrheit von Abermillionen von Deutschen, die KEINE extreme Rechte sind. Sondern einfach nur moralisch verkommene Menschen.

    • @JulianM:

      Habe ich das richtig verstanden? Abermillionen von Deutschen sind moralisch verkommene Menschen?

      • @EIN MANN:

        Korrekt.

        60,4 Mio. Einwohner im wahlfähigen Alter.

        Bei aktuellen Umfragen geben 20,4% an die AFD wählen zu wollen.

        Macht bis zu 12,32 Mio moralisch verkommene Menschen.

        • @sociajizzm:

          Und was sollte man mit diesen 12,32 Mio moralisch verkommenen Menschen tun? Haben Sie irgendwelche Vorschläge dazu?