piwik no script img

Flüchtlinge aus NigeriaRückkehr ins Ungewisse

Tausende in Libyen gestrandete Nigerianer sind in ihre Heimat zurückgebracht worden. Viele fragen sich, wie es jetzt weitergehen soll.

Rosemary wäre gern Friseurin. Aber von was soll ihre Familie während der Ausbildung leben? Foto: Katrin Gänsler

Benin City taz | Rosemary hält es irgendwann nicht mehr aus, sie fängt laut an zu schluchzen. Die Tränen verschmieren die viel zu dick aufgetragene Wimperntusche. Die magere Frau macht sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen. Im Büro der Nicht­regierungsorganisation Idia Renaissance in Benin City herrscht betroffenes Schweigen. Nur von der Straße dringt Autolärm nach oben. Nach ein paar Minuten beruhigt sich Rosemary und erzählt weiter, warum sie nichts mehr in Nigeria hält.

Dabei ist die 29-Jährige, die ihren vollen Namen nicht nennen will, gerade erst wieder zurück in der Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen ist. Anfang November kam sie mit einem Flug der International Organisation for Migration (IOM), der Migrationsorganisation der Vereinten Nationen, aus Libyen. Sie hatte auf eine Perspektive für sich und ihre Kinder gehofft. Nun steht sie wieder da, wo sie früher war – allerdings mit Erinnerungen an Durst und Hunger in der Wüste, Schläge und Demütigungen in Libyen.

Mitte November sorgte ein CNN-Video weltweit für Entsetzen. Der siebenminütige Film zeigt, wie zwölf Männer am Rande der libyschen Hauptstadt Tripoli als Sklaven verkauft werden. Nigerias Präsident Muhammadu Buhari brauchte zwei Wochen, um sich offiziell dazu zu äußern. Dann kündigte er an, alle gestrandeten Landsleute in Libyen und anderswo zurückzuholen. Außerdem versprach er Sozialleistungen wie Bildung, ein Gesundheitssystem und Sicherheit.

Es fehlen die Jobs

Zwei Monate sind seitdem vergangen, seit Rosemarys Rückkehr sind es knapp drei. Seitdem zieht die junge Frau durch die Straßen der Provinzhauptstadt von Edo State, von wo aus schon seit Jahrzehnten die große Mehrheit der nigeria­nischen Migranten aufbricht. „Es gibt hier keine Jobs, selbst für Hochschulabsolventen nicht“, sagt Rosemary. Sie selbst habe erst recht keine Chance. „Ich habe noch nicht einmal meine Grundschule fertig gemacht.“ Dabei spricht sie besser als viele andere Englisch und analysiert die Politik ihrer Heimat genau. „Hier müssen ganz dringend Jobs entstehen, die nicht nur innerhalb der Familie vergeben werden. Und es dürfen nicht nur kleine Bürojobs sein, etwa in Copyshops.“

An den Hauptstraßen von Benin City reiht sich ein kleines Dienstleistungsunternehmen an das nächste. Mal werden Schreibarbeiten angepriesen, mal Fotokopien. Verlässt man die Innenstadt, sind es vor allem Schneider und Friseure, die ihre Arbeit anbieten. Frisieren würde Rosemary auch gerne, um überhaupt etwas zu tun.

Wie viele Nigerianer bisher zurück nach Benin City gekommen sind, lässt sich nicht sagen. Seit Januar 2017 wurden nach IOM-Informationen insgesamt 7.329 Nigerianer zurückgebracht. Sie landen meist in Lagos, manchmal wird auch Port Harcourt angeflogen. Frantz Celestin, stellvertretender Chef der IOM in Nigeria, sagt, dass 621.000 Migranten in Libyen registriert wurden, darunter 36.000 Nigerianer. „Selbst wenn es uns gelingen würde, pro Woche 500 zurückzubringen, würden wir Monate brauchen.“ Genauso komplex wie die Frage nach der Logistik ist die nach den Perspektiven in der Heimat. „Es muss uns gelingen, dass sie hier etwas anfangen können.“

In Benin City sucht die Organisation Idia Renaissance gerade Teilnehmer für ihre Ausbildungskurse. Im Friseurlehrgang könnte auch Rosemary unterkommen. Projektkoordinator Roland Nwoha sagt allerdings: „Die Ausbildung ist das eine. Die Teilnehmer brauchen während der Zeit auch eine Unterkunft, Essen. Manche haben nicht einmal das Geld für den Transport zum Ausbildungsort.“

Rosemary schläft mal hier, mal da

Am nächsten Morgen macht Rosemary etwas, was sie große Überwindung kostet. Sie lädt nach Hause ein. Es ist gar nicht ihr eigenes Zuhause, sondern das ihrer Mutter, zwei gemietete Zimmer. Rosemary selbst schläft mal hier und mal da, meistens bei Bekannten. In den Wohnvierteln stadtauswärts sind 4.000 bis 5.000 Naira (etwa 9 bis 11 Euro) pro Zimmer und Monat übliche Preise, zu zahlen mindestens ein Jahr im Voraus. Fließendes Wasser gibt es nicht, Strom nur ein paar Stunden am Tag. Die Straße vor dem Haus ist eine Piste, ein tiefes Loch erinnert an die letzte Regenzeit.

Rosemary hat eine schwarze Plastiktüte mit Keksen, Seife und Brot in der Hand. Der Inhalt ist nicht nur für ihre Mutter, sondern vor allem für ihre vier Kinder Miracle, Favor, Amara und Vitor. Der kleine Vitor ist gerade einmal zwei Jahre alt. Rosemarys Mann lebt nicht mehr.

Die Kinder springen um sie herum, der Kleinste will auf den Arm. Rosemary lächelt, sagt aber: „Ich komme nicht gerne hierher.“ Vor allem, weil sie nie Geld hat. Kinder und Mutter erwarten aber zumindest eine Kleinigkeit. Die Kinder waren auch ein Grund, weshalb sie vor knapp einem Jahr in Richtung Europa aufgebrochen ist. Darüber will sie nicht sprechen. Sie sagt nur, dass eine Freundin sie kostenlos mitnahm, die dann in der Wüste verdurstete. Vermutlich war es eine Schlepperin, die sie in Italien an eine Madame verkaufen wollte, eine Zuhälterin. Diese Vorgehensweise ist nach Aufklärungskampagnen in der Region hinlänglich bekannt. Rosemary sagt trotzdem: „Ich wäre verrückt geworden, wenn ich in Nigeria geblieben wäre.“

„Das Land ist nicht stabil genug“

Roland Nwoha, der mit Migranten und Opfern von Menschenhändlerbanden arbeitet, beobachtet die vielen Rückkehrer in Benin City mit Sorge. „Die Rückführung war für viele, die in Libyen gestrandet waren, eine Chance“, sagt er. Doch die Regierung sei überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Man versuche zwar, für ein paar wenige Jobs zu finden. Auf den Arbeitsmarkt drängen allerdings auch viele Millionen andere junge Nigerianer. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas hat 190 Millionen Einwohner.

Laut Nwoha gibt es erste Berichte über eine Erhöhung der Zahl der Straftaten. „Ich erwarte einen weiteren Anstieg, falls die Regierung das Problem nicht angeht. Das Land ist einfach nicht stabil genug.“

Laut einem Bericht des na­tionalen Statistikbüros vom September ist Nigeria zwar nicht mehr in der Rezession. Doch der Naira bleibt weiterhin schwach. Auf politischer Ebene dreht sich schon seit Monaten so gut wie alles um die Präsidentschaftswahl im Februar 2019. Frantz Celestin von der IOM schätzt, dass sich mindestens 40 Prozent der zurückgekehrten Migranten wieder auf den Weg machen würden.

Der kleine Vitor steht vor seiner Mutter, sie hält ihn an den Händen. Er lacht und hüpft ein bisschen auf und ab. Rosemary weiß nicht, wann sie ihre Kinder das nächste Mal sehen wird. Sie schweigt dazu. Auch auf die Frage, ob sie noch einmal in Richtung Europa aufbrechen würde, antwortet sie nicht. Sie sagt nur: „Wenn ich eines will, dann eine bessere Zukunft für meine Kinder. Ich möchte nicht, dass sie das erleben, was ich auch erlebt habe.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Jobs können doch gar nicht entstehen. Was soll den getan (hergestellt) werden? Es sind leider Gottes viel zu viele Menschen da, die um die letzten verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten kämpfen. Im Grunde kann man nur umverteilen und die Menschen ermutigen, ihre Lebenszeit mit Kreativität, Nachdenken und Sorge um andere Lebewesen zu verbringen.

    • @Energiefuchs:

      Dass sich kaum ein Nigerianer (und auch sonst kaum ein Afrikaner, Asiat, Australier, Amerikaner oder Europäer) an die Zeit vor den weißen Herren erinnern kann, ist nicht nur ein Erbe des Kolonialismus. Es ist auch eine Folge des aktuellen westlichen Einflusses, der oft mehr Neokolonialismus ist als sonst irgendwas.

       

      Und doch gab es mal ein Leben, das nicht vom Warten darauf bestimmt war, dass irgend ein Macht ("die Regierung", "die Wirtschaft", „der Westen“ etc.) sich "kümmert". Die Leute haben sich sehr lange selbst versorgt, statt sich um schlecht bezahlte Jobs zu prügeln. Geld wurde nicht vermisst, weil niemand welches hatte.

       

      Heute scheint es leider keine Alternative mehr zu geben zum "westlichen Lebensstil" - was immer das im Einzelnen auch sein mag für die Leute. Nein, das Leben vor der Kolonialzeit war gewiss kein Zuckerschlecken. Es war anstrengend und es war gefährlich. Aber es war wenigstens frei. Dreifach frei, wie Marx vielleicht gesagt hätte. Es war frei von privatem Eigentum und frei von jeglicher Sicherheit, aber es war auch frei von fremder Ausbeutung. Es war ein Leben, auf das die, die es gelebt haben, stolz sein konnten.

       

      Nigerias Eliten werden einen Teufel tun, Frauen wie Rosemary auch nur eine dieser Freiheiten zu verschaffen oder auch nur zu versprechen. Schließlich: Was soll aus ihren eigenen verwöhnten Kindern werden, wenn Rosemary ihrem kleinen Vitor solch einen Floh ins Ohr setzt, statt ihn aus lauter Scham zu seiner Oma abzuschieben?