Flüchtlinge auf dem Balkan: Jetzt droht der Kältetod

Kein Wasser, kein Strom, keine Heizung, kein Essen: So hausen die Flüchtlinge, die es auf der Balkanroute bis nach Bihać geschafft haben.

Frierende Flüchtlinge

Warten auf Kleiderspenden in Vučjak, wo 7.000 Migranten auf einer Müllhalde leben Foto: reuters

SARAJEVO taz | Der Winter ist da, und die Migranten, die auf der Balkanroute gestrandet sind, sehen sich einer menschenunwürdigen, katastrophalen Lage ausgesetzt. Es gibt schon die ersten Kältetoten. So hat die Flucht eines 20-jährigen Syrers in einem Wald in Slowenien ein tragisches Ende gefunden. Der völlig entkräftete und unterkühlte junge Mann starb vor wenigen Tagen, obwohl es ihm noch gelungen war, Verwandte in Deutschland zu verständigen. Er hatte es geschafft, von Bosnien aus über die kroatische Grenze nach Slowenien zu gelangen.

7.000 Migranten im bosnischen Bihać wollen dies auch tun, vor allem jene, die sich noch in dem berüchtigten, auf einer Müllhalde errichteten Lager Vučjak befinden. Die rund 800 Männer in dem Zeltlager werden seit zwei Wochen nicht mehr mit Essen versorgt, die notdürftige medizinische Versorgung ist zusammengebrochen, nachdem die örtlichen Autoritäten ausländischen Helfern unter Strafandrohung die Arbeit untersagt hatten.

Die Zelte im Lager sind nicht heizbar. Es gibt keine sanitären Anlagen mehr, Wasser und Strom wurden von der Gemeinde gekappt. Doch nach wie vor kommen Migranten in Bihać an, um von hier aus zu versuchen, nach Kroatien zu gelangen.

Während die Frauen und Kinder auf andere Lager innerhalb der Stadt verteilt worden sind, werden die Männer von der Polizei nach Vučjak geleitet.

„Inakzeptabel“, aber von Dauer

Bürgermeister Šuhred Fazlić steckt in einer Zwickmühle. Einerseits steht er unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit, endlich das Lager aufzulösen. So hat der Chef der EU-Delegation in Bosnien und Herzegowina, Johann Sattler, am Freitag die umgehende Schließung des Lagers gefordert.

„Vučjak muss dringend geschlossen werden“, erklärte Sattler nach einem Treffen mit Lokalpolitikern. „Dieser Ort ist für die Unterbringung von Menschen ungeeignet und aus hygienischen Gründen inakzeptabel.“ Doch was mit den Migranten geschehen soll, konnte er auch nicht sagen.

Auf der anderen Seite will die Bevölkerung der weniger als 40.000 Menschen zählenden Stadt Bihać – 90 Prozent sind Bosniaken (bosnische Muslime) – keine männlichen Migranten aus Afghanistan, Pakistan, Syrien und Nordafrika. Vor allem Frauen fürchten Übergriffe.

Hinzu kommt, dass die Pachtverträge für die „regulären“ Lager Bira, Borić und Sedra, betrieben von internationalen Hilfswerken unter Leitung von IOM (International Organization for Migration) betrieben werden, auslaufen und ihnen die Schließung droht. Der Bürgermeister kann gar nicht daran denken, die Migranten aus Vučjak auf die Stadt zu verteilen.

Serbisches Dorf lehnt Alternativlager ab

Deshalb hat die Stadtverwaltung vorgeschlagen, ein neues, winterfestes Lager nahe dem 30 Kilometer entfernten Dorf Lipa bei Bosanski Petrovac zu errichten. Dieses Gebiet liegt auf einer fast menschenleeren Ebene. Doch dort regt sich Protest. Denn Lipa liegt zwar im Kanton Una-Sana, in der bosniakisch-kroatischen Föderation, ist aber von der Bevölkerung her ein serbisches Dorf. Und die Einwohner haben jetzt Unterstützung aus der serbischen Teilrepublik „Republika Srpska“ erhalten.

Die Serben fürchten die Migranten aus Nahost – obwohl es ironischerweise gerade die serbischen Behörden sind, in Serbien und der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina, die die Grenzen kontrollieren und die Migranten überhaupt erst nach Bosnien und Herzegowina reisen lassen.

Damit sind die Migranten in das Gestrüpp der bosnischen Politik geraten. IOM hatte schon vor Monaten vorgeschlagen, neue winterfeste Lager zu errichten, doch keine bosnische Gemeinde außer Sarajevo war bereit, die Leute unterzubringen.

So kampieren mittlerweile Hunderte von Migranten am Busbahnhof der ostbosnischen Stadt Tuzla. In einem Vorort Sarajevos, Hadžići, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Einwohnern und Migranten, die Stimmung dort ist gekippt.

Viele Migranten versuchen nun, andere Wege „nach Europa“ zu finden. So hat die bosnische Polizei bei einer Verkehrskontrolle in der Nähe der westherzegowinischen Stadt Ljubuški 17 syrische und irakische Flüchtlinge in einem Lieferwagen entdeckt. Der Winter und die Zustände in Vučjak schrecken sie nicht ab.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.