Fliegen in Zeiten von Corona: Zum Husten lieber aufs Klo
An Bord eines der letzten Direktflüge von New York nach Berlin. Wer niest, macht sich verdächtig. Wird es Probleme bei der Einreise geben?
I m Flugzeug ist der Klassenkampf in vollem Gange. Die steppjackenuniformierte Neobourgeoisie, die sich den halbjährlichen New-York-Trip von der ganzen Panikmache nicht hat verbieten lassen, rangelt mit einem Hipsterpärchen vor den Gepäckfächern, in die letztere ihre Säcke mit den Vintage-Klamotten zu stopfen versuchen, die sie letzte Woche noch günstig in Brooklyn geschossen haben.
Der Austauschschüler*innenjahrgang 2019/2020, der nun coronabedingt nach Hause fahren muss, versucht da schon längst unter den Polyesterdeckchen der Fluggesellschaft den verbotenen Rausch der Abschiedspartys auszuschlafen, die langen Beine in Jogginghosen gegen die Lehnen der Vorderleute gefaltet.
Natürlich wird viel Mundschutz getragen. Das bei weitem populärste Modell sieht aus wie die Schutzmasken aus dem Baumarkt, die man bei Schleifarbeiten im Holzschuppen trägt. Wer sich am Körnersalat verschluckt, geht zum Husten heimlich aufs Klo. Bei – sehr vereinzelt auftretendem – Niesen stieben sofort die Köpfe rund um den oder die Unglückliche auseinander, irgendwann höre ich jemand sagen: „Armbeuge, Kollege, haste etwa keene dabei?“
Das Ganze wirkt wie eine Berlin-Brandenburger Szene unterm Brennglas, wo alle kleinen Schrullen sich zum grellbunten Panoptikum ausbreiten. Unter anderen Umständen könnte ein großartiger Film daraus werden, von Detlev Buck oder meinetwegen auch Ulrich Seidl.
Aber, leider: Das ist keine Übung. Wir sind im Krieg, heißt es ja jetzt immer wieder. Vor ein paar Tagen noch hielt ich solcherlei Gedankenspiele bei aller Ernsthaftigkeit der Lage für übertrieben. Nicht zuletzt, weil mich der von Balkonen und Browserfenstern aus betriebene Katastrophenvoyeurismus anekelte.
Diese Ruhe!
Nun aber sitze ich an Bord eines der letzten Direktflüge nach Berlin, in wenigen Tagen schon wird ausschließlich nach Frankfurt geflogen werden, und auch das nur noch dreimal die Woche. Wäre ich nicht ausgeflogen, hätte ich mich, ach! aufs Briefeschreiben verlegt.
Aus dem Generalkonsulat Atlanta kommt derweil Post an die „lieben Landsleute“, man möge, sofern man die USA über längere Zeit nicht verlassen könne, Whatsapp-Gruppen mit anderen „Betroffenen“ bilden. Meine Mutter hat entschieden, wieder Gemüse ins Blumenbeet zu pflanzen. Eine Freundin überlegt, ob sie als gelernte Krankenschwester ihr nun brachliegendes Studium schwänzen und sich zum medizinischen Freiwilligendienst melden sollte.
Trotz alldem ist das hier natürlich kein Krieg, sind Dinge wie ein bequemer Sitz auf einem Transatlantikflug Privilegien, die diesen Vergleich verbieten. Aber die Erschütterung der Welt, wie wir sie kannten: Werden nicht auch wir davon noch unseren Enkelkindern erzählen?
Landeanflug Tegel. Ob da unten wohl schon die Aliens alles angezündet haben? Man soll nicht so dumme Filme schauen im Halbschlaf und Nachrichten lesen schon gar nicht. Alles wappnet sich für Befragung und Stäbchen im Mund, aber: nüschte, auf Berlins Organisiertheit ist Verlass.
Der vom Bürgeramt Mitte gestempelte Pass sorgt für ein schläfriges Nicken hinter der Plexiglasscheibe, quer über den Parkplatz kommt sofort ein Taxi geflitzt, aber sonst interessiert die Öffentlichkeit nicht weiter, wer da landet und in welchem Zustand: Sie ist schlicht nicht vorhanden.
Was wiederum für Freude sorgt, einige Tage später, bei einer Radtour in vorbildlicher Zweinsamkeit durch die Abendstille der Stadt. Guck mal, ein Eichhörnchen! Und diese Ruhe! Keine Touristen am Checkpoint Charlie, kein blockierter Fahrradweg mehr an der Ampel Oranienburger Ecke Friedrichstraße. Noch nie erlebt, nicht mal beim WM-Finale.
Was haben wir alle geschimpft auf Globalisierung und Easyjetset. Nun ist sie ausgesperrt, die Welt. Schön fühlt sich das an. Aber auch fürchterlich falsch.
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