„Flaniermeile“ Friedrichstraße: Bonjour Tristesse
Vor einem Jahr wurde die Friedrichstraße wieder für Autos geöffnet – bevor sie erneut gesperrt und dann abermals geöffnet wurde. Ein Ortsbesuch.
Anders in der unterirdischen Passage. Hier sind die wenigen Läden, die noch zwischen geschlossenen Verkaufsflächen überleben, wie leergefegt. In dem schwarz-weiß gefliesten Gang verlangt ein einsames Schild per Piktogramm, vom Fotografieren Abstand zu nehmen. Auf der leise quietschenden Rolltreppe geht es hoch ins Erdgeschoss, wo ein großes Poster verkündet: „Q206 Fashion Week, 14.–16.1.2019“.
Die Friedrichstraße sollte einmal als gehobene Einkaufsmeile dem Ku’damm Konkurrenz machen. Geschafft hat sie das nie, aber heute braucht es schon Stimmungsaufheller, um den Mangel an Lebendigkeit zu ertragen, der rund um den U-Bahnhof Stadtmitte herrscht. Leerstand links, Leerstand rechts, dazwischen halten sich ein paar hochpreisige Geschäfte für gusseisernes Kochgeschirr oder Mode aus dem Haus eines weißhaarigen Designers, der kurz nach der Fashion Week 2019 in Paris gestorben ist.
Die sogenannte Magistrale
Dabei hatte der schwarz-rote Senat mit Blick auf die „Nord-Süd-Magistrale“ versprochen, dass hier bald wieder alles in geordneten Bahnen verlaufen werde. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen verkündete CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner vor einem halben Jahr das Ende der von den Grünen „erfundenen“ autofreien „Flaniermeile“ zwischen Leipziger und Französischer Straße. Seit dem 1. Juli dieses Jahres rollen die Autos wieder.
Es war das vorläufige Ende eines Auf-und-zu-und-auf-Reigens: Schreiners Vorvorgängerin Regine Günther (Grüne) hatte im Sommer 2020 den Verkehrsversuch „Flaniermeile“ gestartet – und coronabedingt ausgedehnt. Ihre Nachfolgerin Bettina Jarasch (ebenfalls Grüne) beschloss die Verstetigung der Fußgängerzone und verlängerte bis zu deren rechtlicher Vollendung einfach das Provisorium – bis das Verwaltungsgericht dies auf Klagen von Gewerbetreibenden hin unterband.
Am 22. November 2022, also vor genau einem Jahr, durften die Autos also schon einmal zurück, dann aber ordnete das Bezirksamt Mitte die „Teileinziehung“ der Friedrichstraße an, und Jarasch ließ sie im Januar, kurz vor der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus, neu möblieren. Diesmal etwas poppiger und ohne die mittige Fahrradspur, die selbst bei den BefürworterInnen des Versuchs nicht so gut angekommen war. Der zweite Aufguss hielt kein halbes Jahr.
Nichts ist besser geworden
Hat das Auto, wenn schon nicht Leben, dann zumindest Umsätze zurück in die Straße gebracht? Zahlen gibt es dazu nicht, nur Meinungen, wobei auch die bisweilen ungern geäußert werden. Die Verkäuferin im WMF-Laden etwa winkt ab: Die Geschäftsführung möchte nicht, dass sie und ihre KollegInnen mit der Presse reden.
Der freundliche Herr hinter dem Tresen von „Läderach“ zuckt mit den Schultern: Er habe in den vergangenen Jahren so viele Wechsel miterlebt, „unterm Strich war das Geschäft eigentlich immer gleich“. Was vielleicht daran liegt, dass der Schweizer Chocolatier nur zwei Standorte in Berlin unterhält und die Fans der Marke mit oder ohne Flaniermeile kommen.
„Mit dem Autoverkehr jetzt ist es jedenfalls nicht besser geworden“, sagt eine Angestellte in einem anderen Geschäft, dessen Name nicht in der Zeitung genannt werden soll. Die Flaniermeile sei aber auch nichts Halbes und nichts Ganzes gewesen. „Geärgert hat mich vor allem, dass das unser Steuergeld war und wir am Ende selbst die Pflanzenkübel bewässern mussten, die sie uns vor den Laden gestellt haben.“
Dass es der Friedrichstraße weiterhin nicht gut geht, darin stimmen auch BeobachterInnen überein, deren Ansichten sonst eher konträr sind. „Es ist wie vorher, nur dass jetzt deutlich mehr Läden leer stehen“, sagt etwa Stefan Lehmkühler vom Verein Changing Cities, der zusammen mit anderen die grüne Senatsverkehrsverwaltung auf die Flaniermeilen-Idee brachte. Und Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, kann „noch keine großen Erholungseffekte“ erkennen – was vermutlich diplomatisch ausgedrückt ist.
Schlechtes Konsumklima
Man sei eben zuletzt „von einer Krise in die nächste gerutscht“, so Busch-Petersen, das erzeuge ein schlechtes Konsumklima. Die Kaufleute seien aber jetzt „deutlich optimistischer als vorher“. Busch-Petersen ist ein scharfer Kritiker der grünen Verkehrspolitik: „Was da versemmelt wurde, kann man nicht so schnell reparieren.“ Schon die langwierigen Bauarbeiten am Kreuzungsbahnhof der U5 hätten das Umfeld belastet. „Die anderthalb Jahre des Experiments waren dann schlicht rechtswidrig und die letzten Tropfen im Fass.“
Mit dem Experiment, wie der Handelsverbands-Chef den Verkehrsversuch nennt, hatte auch Stefan Lehmkühler seine Probleme – allerdings, weil es ihm zu verzagt war. „Der eigentliche Umbau war unter Bettina Jarasch erst für 2026/27 vorgesehen“, sagt er. „Es so lange als Provisorium zu belassen, war ein Flop und ein echter Fehler der Grünen“, findet Lehmkühler, der 2021 und 2023 selbst für die Grünen im betreffenden Wahlkreis Mitte 2 antrat.
Mit dem Gendarmenmarkt, der aktuell grundsaniert wird, habe nun die Gastronomie in der Umgebung eine wichtige Außenfläche verloren. Die autofreie Friedrichstraße hätte ein Ausweichort sein können – zu spät. Das Problem sieht Nils Busch-Petersen auch, er macht für die beklagenswerte Situation rund um das Schauspielhaus aber auch die „unsägliche Fahrradstraßen-Lösung“ auf der Charlottenstraße verantwortlich: Die erzeuge nur Chaos und Parksuchverkehr.
Senatorin Schreiner hatte anlässlich des Auto-Revivals versprochen, mit dem Haus von Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) ein „städtebauliches und verkehrliches Gesamtkonzept“ für Friedrichstadt, Dorotheenstadt und Friedrichswerder zu erarbeitet. Ein „breiter Beteiligungsprozess“ dafür solle „im Herbst“ starten. Auf Nachfrage teilt die Verkehrsverwaltung mit, für die Entwicklung eines Verkehrskonzepts bereite man gerade eine Ausschreibung vor, parallel dazu starte „noch Ende des Jahres“ eine Online-Beteiligung auf der Plattform für BürgerInnenbeteiligung des Landes Berlin.
Kein Geld für die ZLB im Lafayette
Was die Zukunft der Friedrichstraße bringt, hängt aber von vielen Faktoren ab, auch zum Beispiel dem von Kultursenator Joe Chialo (CDU) favorisierten Ankauf des „Quartier 207“ für die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB). Bei der ZLB selbst ist man restlos begeistert von der Idee, anstelle der Galeries Lafayette, die Ende 2024 Berlin verlassen, hinter die gläsernen Fassade zu ziehen. Ob Schwarz-Rot dem Investor Tishman Speyer die Immobilie tatsächlich mit rund 600 Millionen Euro vergolden wird, bleibt abzuwarten.
Erst am Montag schloss CDU-Fraktionschef Dirk Stettner nach den Haushaltsverhandlungen auf Spitzenebene mit dem Koalitionspartner SPD aus, dass hierfür im Doppelhaushalt 2024/2025 irgendwelche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die SPD-Fraktion stand der Kaufhausidee ohnehin von Anfang an mehr als skeptisch gegenüber.
Stefan Lehmkühler glaubt, früher oder später sei der Leidensdruck durch immer heißere Sommer so groß, dass Bäume auf der heute völlig kahlen Straße unumgänglich würden. Aber hieß es nicht immer, wegen der unter der Straße verlaufenden U6 könne man höchstens ein paar Kübel aufstellen? Ach was, kontert der studierte Raumplaner, die Diskussion sei „nicht unbedingt von Sachkenntnis geprägt“ gewesen.
Kleine Bäume bräuchten zwölf Kubikmeter Wurzelraum, das sei kein Problem, weil die U6 in sechs Metern Tiefe unter der U2 durchtauche. Am besten pflanze man die Bäume in versenkbaren Stahlcontainern, die sich bei Umbauten wieder aus dem Boden holen ließen. „Einfach mal in die geltenden Richtlinien gucken“, sagt Lehmkühler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles