piwik no script img

Finn Walter über prekäre Arbeitsbedingungen in der FleischindustrieDie Zuhälter der Schlachthöfe

Die Fleischindustrie hat sich über Jahrzehnte ein Konstrukt an Subunternehmen aufgebaut

Wir Deutschen lieben es ja bekanntlich, uns für unseren Sozialstaat zu loben. Doch so oft wir uns auch selbst auf die Schulter klopfen, auch in diesem Land gibt es Menschen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Das interessierte nur lange niemanden. Als im vergangenen Sommer der Fleischkonzern Tönnies in die Schlagzeilen geriet, nachdem sich über tausend Gast­ar­bei­te­r:in­nen mit dem Coronavirus infiziert hatten, beschäftigte sich die Politik plötzlich doch mit dem Thema.

Die Debatte verlief nicht gerade überraschend. CDU-Po­li­ti­ke­r:in­nen warnten vor Preisexplosionen bei Grillpartys, wenn Fleisch­ar­bei­te­r:in­nen vernünftig bezahlt würden. Die SPD tat, als wäre das Problem neu und setzte prompt ein Gesetzespaket durch. Stolz verkündete Arbeitsminister Hubertus Heil ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit im Fleischgewerbe.

Ausreichend ist das nicht. Das zeigen auch die aktuellen Fälle in Georgsmarienhütte und Westerstede. Die Fleischindustrie hat sich über Jahrzehnte ein Konstrukt an Subunternehmen aufgebaut. Diese haben oft mehr Gemeinsamkeiten mit Zuhältern auf dem Straßenstrich als mit seriösem Gewerbe. Sie ziehen den meist osteuropäischen Ar­bei­te­r:in­nen vollkommen überzogene Kosten für unwürdige Unterkünfte direkt vom Lohn ab. Oft wird auch noch der morgendliche Transport zur Arbeit im betriebseigenen Bus teuer in Rechnung gestellt. Mit diesen Methoden hat sich Deutschland zu einem der größten Exportländer von Billigfleisch entwickelt. Das Verbot von Werkverträgen verlagert diese Praxis nun einfach auf die Hauptarbeitgeber selbst.

Die Fleischindustrie lockt jedes Jahr Tausende Menschen aus Rumänien, Bulgarien und anderen Ländern nach Deutschland und beutet sie aus. Das neue Gesetzespaket der Bundesregierung ist ein Anfang. Das Machtungleichgewicht zwischen den gewerkschaftlich unorganisierten Ar­bei­te­r:in­nen und ihren Bossen aber bleibt bestehen. Für die Zuhälter der Fleischindustrie ist Deutschland noch immer ein Paradies – und wird das wohl auch bleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen