Fingierte Hilfsaktion für Flüchtlinge: „Nichts zu tun, das ist zynisch“

Der Künstler John Kurtz und das Zentrum für Politische Schönheit setzen sich für syrische Flüchtlingskinder ein – und fordern das Familienministerium auf, zu handeln.

Keine Anzeige des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – auch wenn es so aussieht. Bild: Zentrum für Politische Schönheit

taz: Herr Kurtz, mit Ihrer gefälschten Internetseite suggerieren Sie, dass das Familienministerium 55.000 syrische Flüchtlingskinder aufnehmen will. Jetzt hat das Innenministerium beschlossen, 10.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Ihr Verdienst?

John Kurtz: Nein. Deutschland hatte schon vor längerer Zeit beschlossen, insgesamt 10.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. 5.000 sind schon im Land. Aber das ist immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Lage in Syrien, bei mittlerweile Hunderttausenden Toten.

Warum schiebt Ihre Künstergruppe Zentrum für Politische Schönheit der Familienministerin Manuela Schwesig die Aktion unter? Zuständig für Flüchtlinge ist doch Thomas de Maizière, der Inneminister.

Frau Schwesig erscheint uns in dieser verkrusteten Regierung die einzige Ministerin zu sein, die da frischen Wind reinbringen kann. Jedenfalls ist sie in unseren Augen in dem, was sie sagt, glaubwürdig.

Warum zählen Sie sie dann mit dem Fake an?

Wir zählen sie nicht an, wir legen ihr eine Blaupause vor.

Das versteht sie aber nicht so. In Gegenteil, sie distanziert sich von Ihrer Aktion.

Wenn sie kluge Berater hätte, würden die sagen: Okay, wir machen jetzt die Aktion und holen die Kinder her. Mich irritiert immer wieder, dass es Politiker vorziehen, belanglose Initiativen zu unterstützen, statt wahre Menschlichkeit zu zeigen. Frau Schwesig hätte jetzt die Chance, ihr altes Image als „Barbie von der Ostsee“ loszuwerden.

43, ist Mitglied der Berliner Menschenrechts- und Künstlergruppe „Zentrum für Politische Schönheit“. John Kurtz ist sein Künstlername, im sonstigen Leben ist er Journalist.

Möglicherweise will die Familienministerin gegen Ihre Gruppe klagen.

Wir wären begeistert. Das würde uns zwar 1.000 Euro kosten. Aber auch Aufmerksamkeit für die Sache bringen.

Haben sich bei Ihnen Leute gemeldet, die Kinder aufnehmen wollen?

600, innerhalb von drei Tagen. Ein Zeichen von unglaublicher Hilfsbereitschaft. Viele Deutsche wollen helfen, sie wissen nur nicht, wie.

Die Macher: Am Montag stellte die Berliner Menschenrechts- und Künstlergruppe „Zentrum für Politische Schönheit“ ihre Homepage online. Sie sieht aus wie eine Seite des Bundesfamilienministeriums, ist sie aber nicht. Die Homepage suggeriert, dass Deutschland bald 55.000 syrische Flüchtlingskinder nach Deutschland holen werde.

Das Amt: Das Familienministerium hat sich von der Aktion distanziert. Die Künstler behaupten, dass ihre Aktion eine Aufforderung an die Bundesregierung sei, syrischen Flüchtlingen zu helfen.

Die Betroffenen: Laut eigener Angaben hat sich die Gruppe bewusst dafür entschieden, die Kampagne nur für Kinder auszurufen. Grund: Die CSU könnte sich sonst dagegen stellen. Die Bayernpartei warnt davor, dass erwachsene Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt drängen.

Sie kennen die Leute doch gar nicht. Sie wissen nicht, ob die geeignet sind, mal eben so ein Flüchtlingskind aufzunehmen. Außerdem gibt es für Pflegschaften strenge Gesetze.

Es sind erfahrene Pflegeeltern dabei …

sagen diejenigen von sich. Das kann jeder behaupten.

Wenn sich von den 600 Frauen und Männern ungefähr ein Drittel als geeignete Pflegeeltern erweisen, wäre das beachtlich.

Das Familienministerium findet Ihre Aktion zynisch. Schon allein, weil Sie mit den Kindertransporten 1938/39 spielen.

Nichts zu tun, das ist zynisch. Und gerade, weil es damals die Kindertransporte gab, die vielen deutschen Kindern das Leben gerettet haben, ist Deutschland in einer historischen Schuld. Und in der Pflicht.

Das Gymnasium ist die populärste Schulart. Es verspricht höhere Bildung und einen guten Job. Warum sich trotzdem immer mehr Eltern und Kinder dagegen entscheiden, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. Mai 2014. Außerdem: Krise? Welche Krise? Eine Landkarte mit Beispielen aus der Eurozone zeigt: Den Reichen ging es hier nie schlecht. Und: Wie Rainer Höß, der Enkel des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, mit dem Erbe seines Großvaters lebt. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Haben Sie die Kinder manipuliert, damit sie mitmachen?

Die haben alle freiwillig mitgemacht. Der Tag, an dem ich fotografiert und gefilmt habe, war für sie ein großer Spaß. Vielleicht der letzte in ihrem Leben. Ein Tag, an dem in Aleppo nur vier oder fünf Fassbomben runtergehen, ist ein friedlicher Tag. Gewöhnlich sind es zwanzig. Im Flur der Schule hängen Zeichnungen der Kinder, auf jedem sind Bombeneinschläge zu sehen. Das ist deren Alltag.

Wussten die Kinder, dass sie bei einer Kunstaktion mitmachen und nicht nach Deutschland kommen werden?

Ich hoffe, dass die Kinder irgendwann nach Deutschland kommen.

Allein oder mit ihren Eltern?

Mit ihren Familien.

Was sind das für Kinder?

Ganz normale Schulkinder, Mädchen und Jungen zwischen 6 und 8 Jahren. Sie wussten, dass die Bilder öffentlich sein werden.

Wie sind Sie an sie gekommen?

Freunde von mir in Aleppo, säkulare Syrer, haben mir den Kontakt zu der Schule vermittelt. Es ist eine Privatschule, die in einem Viertel von Aleppo liegt, das mit am stärksten vom Krieg betroffen ist. Ich habe die Aktion sieben Tage lang vorbereitet. 60 Kinder haben mitgemacht.

Hatten die Lehrer Einwände?

Nein, die waren froh, dass die Kinder mal gelacht haben.

Haben die Kinder etwas dafür bekommen?

Haribo und Graubrot, mehr nicht. Habe ich am Flughafen in Berlin gekauft. Knoppers war leider aus. Das Brot haben die Kinder wieder ausgespuckt, es hat ihnen nicht geschmeckt.

Haben Sie weitere Aktionen geplant?

Im Netz gibt es jetzt einen Spot, der die Familienministerin zeigt, wie sie sich entschließt, persönlich Flüchtlingskinder aufzunehmen. Dafür wird sie extra nach Aleppo reisen – in unserem Spot.

Finden Sie das nicht heikel?

Nein, der Spot wird einschlagen. So wie schon unsere Seite.

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