Finanzierung des BAMF: 87 Millionen zu wenig für Asyl-IT
Trotz hoher Antragszahlen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll 2024 drei Viertel seines Etats für IT-Dienstleistungen verlieren.
In einem Schreiben an das Ministerium klagt die Behörde mit Blick auf die an diesem Donnerstag stattfindende Haushaltsbereinigungssitzung im Bundestag, dass durch solche Kürzungen „nicht nur die Zukunftsfähigkeit, sondern auch der reguläre Dienstbetrieb im Jahr 2024 gefährdet wäre“. Der Bedarf für IT-Dienstleistungen sei in den vergangenen Jahren mit den steigenden Antragszahlen gewachsen.
Insbesondere müssten „zwingende Weiterentwicklungen“ gestrichen und rund 350 externe Kräfte gekündigt werden, um die Einsparungen umzusetzen. Diese hätten „zum Teil langjährige Expertise in den Spezialsystemen des Bamf aufgebaut.“
Durch Aufwüchse beim Budget in anderen Bereichen bleibt die Behörde insgesamt allerdings offenbar von Schröpfung verschont: 2024 soll sie laut dem Haushaltsplan des Bundesinnenministeriums vom 7. September rund 819 Millionen Euro ausgeben dürfen. Im laufenden Jahr waren es rund 725 Millionen – ein Plus also von fast 13 Prozent.
Brandbrief an Faeser
Gleichwohl existiert eine sogenannte Negativliste mit 72 IT-Projekten, die voraussichtlich eingestellt werden müssten, wenn die Kürzungen so greifen. Darunter fällt etwa IT für das sogenannte Assistenzsystem für Anhörungen und bestimmte Anwendungen zur Integration von Asylberechtigten. Auch nötige Software für die Organisation der Berufssprachkurse würde nicht weiter entwickelt.
Um auch in anderen Bereichen zu sparen, will das Bamf offenbar die verbindliche, generelle Anwendung der Sprach- und Dialekterkennung und das Auslesen mobiler Datenträger einschränken. Das Schreiben ist vom Oktober. Anfang November hatte Bamf-Chef Hans-Eckard Sommer zudem einen Brandbrief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geschrieben und die Überlastung seiner Behörde beklagt.
Im Bundesamt in Nürnberg sei die Stimmung schlecht, sagt ein Mitarbeiter der taz. Die Kürzungen im IT-Bereich seien für alle ein Thema. „Viele sind deshalb frustriert“, sagt er. Die betreffenden IT-Projekte seien nicht wegzudenken und würden gebraucht, Streichungen bei einer Anwendung wirkten sich unmittelbar auf den betreffenden Arbeitsbereich aus. „Es läuft darauf hinaus, dass wir uns auf das Kerngeschäft konzentrieren: Asylverfahren und Integrationskurse“, sagt der Mitarbeiter.
Dass gerade im IT-Bereich gespart werden soll, ist bemerkenswert angesichts der jüngsten Beschlüsse der Landeschef*innen und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu Migrationsfragen. Diese hatten sich darauf geeinigt, die Asylverfahren in Deutschland – also die Arbeit des Bamf – deutlich beschleunigen zu wollen.
„Bund und Länder werden dafür die personellen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen, sofern nicht bereits vorhanden“, heißt es dazu im Beschlusspapier. Auf Bundesebene betreffe das „die Kapazitäten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“. Auch die Digitalisierung der Behörden hatten die Regierungschef*innen sich gegenseitig aufgetragen.
Viele fehlerhafte Bescheide
„Wer schnelle Asylverfahren will, muss zuallererst dafür sorgen, dass sich die Qualität der Bamf-Entscheidungen verbessert“, sagt die Linken-Abgeordnete Clara-Anne Bünger. Denn ein Grund dafür, dass viele Asylsuchende viele Monate oder gar jahrelang im Asylverfahren festhängen, sei die Tatsache, dass sie ihren Schutzstatus vor Gericht erstreiten müssen. „Die Zahl an fehlerhaften Bescheiden beim Bamf ist viel zu hoch“, so Bünger.
Um für bessere Asylentscheidungen zu sorgen, brauche es neben einer angemessenen personellen Ausstattung des Bamf eine gute Vorbereitung der Asylsuchenden auf die Anhörung, damit diese ihre Asylgründe umfassend vortragen können. Hierfür seien behördenunabhängige Asylberatungsstellen essenziell, die auch Ende 2022 vom Bundestag beschlossen wurden. Nur stelle die Bundesregierung nun auch hier nicht die notwendigen Gelder bereit, um eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen.
„Angesichts steigender Zahlen von Asylanträgen kann es nicht sein, dass außerdem bei IT-Dienstleistungen gespart wird“, sagt Bünger. „Das wird negative Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Bamf haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat
Boris Pistorius wählt Olaf Scholz
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen