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Finale bei der Frauenfußball-EMFortschritt mit fadem Beigeschmack

Alina Schwermer
Kommentar von Alina Schwermer

Die diesjährige EM hat gezeigt: Der Frauenfußball ist in der Normalität angekommen. Im Guten wie im Schlechten.

England jubelt: Das englische Team hat die EM gewonnen, Englands Cheftrainerin Sarina Wiegman feiert das mit ihren Spielerinnen Foto: Martin Meissner/AP/dpa

V iel Skepsis hat es gegeben vor dieser EM. Würde die Schweiz, wo es nicht mal eine Halbprofiliga gibt, den Publikumserfolg der EM in England wiederholen können? Was, wenn die Gastgeberin sofort ausscheidet? Es kam in jeder Hinsicht anders. Das Turnier hat kommerziell und popkulturell neue Maßstäbe gesetzt. Schon vor dem Finale, das England mit 4:2 gegen Spanien gewonnen hat, war klar, dass es einen Publikumsrekord von mindestens 650.000 Fans geben würde. Fast alle Spiele waren ausverkauft, die Größe der Stadien war klug gewählt.

Wie sehr eine eigene Kultur erwächst, das zeigten die vielen Teeniemädchen im Stadion, die solidarische Swiftie-Atmosphäre oder die Bestmarke von 20 Millionen Tiktok-Aufrufen für Torhüterin Ann-Kathrin Bergers legendäre Parade. Dass Frauen öffentlich so gefeiert werden, ist eine echte feministische Errungenschaft. 400 Millionen TV-Zuschauer:innen sind ebenfalls Rekord. Die Verbände schmücken sich gern mit solchen Zahlen, doch tatsächlich zeigen sie: Frauenturniere haben eine kritische Schwelle überschritten. Sie können nun auch in einem Land Erfolg haben, das keine Profiliga oder Topklubs hat. Sie sind jetzt Establishment. Im Guten wie im Schlechten.

Denn der gegenkulturelle Geist, der frühere Turniere umwehte, ist vorbei. Feminismus hat sich im DFB-Team vom Progressiven befreit. „Die Mannschaft steht für so viel“, hatte Kapitänin Giulia Gwinn gesagt. Doch abgesehen von LGBT waren es plötzlich eher konservative und neurechte Themen, für die dieses Team stand. Allen voran die unsäglichen angeblichen „deutschen Tugenden“, die Trainer Christian Wück immer wieder hervorhob: Wille, Kampf, Mentalität. Frauen, die teils brutal für Deutschland holzen, das kam öffentlich gut an.

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Auch ultrareligiöse DFB-Spielerinnen nutzten die EM für Propaganda. Dieses weiße Team, das deutschen Schlager hört, den Kampf und teils die Bibel liebt – das hatte einen faden Beigeschmack. Ironischerweise zeigt es zugleich, wie viel normalisierter Frauenfußball rasend schnell geworden ist. Erstmals ging es öffentlich nicht mehr zuvorderst darum, ob Frauen Fußball spielen können oder jemand das sehen will. Es ging um die Themen dieser Zeit. Man kann das einen Fortschritt nennen.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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14 Kommentare

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  • Hab das Spiel auch verfolgt – spannendes Finale mit verdientem Sieger. Wer die Statistiken und den Spielverlauf nochmal sehen will: ergebnisse1.de – alles super übersichtlich dort.

  • "Dieses weiße Team, das deutschen Schlager hört, den Kampf und teils die Bibel liebt – das hatte einen faden Beigeschmack."



    Für Sie vielleicht. Sehr viele Menschen finden das offensichtlich ganz gut. Fußball ist halt nicht nur Spiegel der Gesellschaft, sondern auch Projektionsfläche für eigene Wünsche und Träume. Ihre scheinen da nicht erfüllt worden zu sein. Das ist halt so, wenn man an andere unerfüllbare Ansprüche stellt. Die Frauen in der Nationalmannschaft sind halt so, wie sie sind. Die wollen Fußball spielen und davon leben können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

  • Spielerinnen werden nicht so gejazzt wie Spieler, können also weniger autark Meinungen vertreten. Deswegen ist es auch obsolet Spielerinnen einen feministischen Auftrag zuzuschieben, zu sehr ist d weibliche Fußball von Anerkennung abhängig & kann natürlich nur nach auferlegten Pfeifen tanzen. So zeigt sich selbst bei taz-Autoren ein male gaze basierter Blick auf Spielerinnen mit Aufwertung



    taz.de/Spanien-vor...bb_message_5060491



    oder an anderer Stelle eben Abwertung weiblicher Körper



    taz.de/Sexualisier...lerinnen/!6100824/



    Auch d Ungleichheit, unter der Frauen erstaunliche Leistungen bringen, finde ich wenig fortschrittlich



    taz.de/Forscherin-...bb_message_5047406



    & schließlich zeigt sich, dass Frauenfußball auch nur ein Produkt ist,



    taz.de/Emanzipatio...on%2Bfu%C3%9Fball/



    dass, solange es um Beifall ringen muss im Patriarchat, dabei vermutlich auch Abwege in politischer Meinungsbildung geht. Denn vielleicht ist diese politische Ansicht gar nicht die der Spielerinnen, sondern Trainer, Club, Vereins diktiert, mal daran gedacht?

  • Ja mei. Da kämpft man jahrelang dafür, dass der Frauenfußball populär wird und kein Nischendasein fristet. Dass Spielerinnen von ihrem Beruf leben können und der Sport genauso ernst genommen wird, wie der der Männer. Und wenns dann so kommt, mit allen logischen Konsequenzen, dann isses auch wieder nicht recht. Der Frauenfußball ist nicht und war nie ein Sprachrohr des linken Feminismus, auch wenn er ihm Einiges zu verdanken hat. Und während Millionen begeistert waren, von einem in jeder Hinsicht diversen Team, dass leidenschaftlichen Sport gezeigt hat, sehen Andere nur "brutal holzende Frauen, neurechte Themen, ultrareligiöse Propaganda und Wolfgang Petry".



    Da spielt auch nichtmal mehr, die bei den Männer so vermisste Regenbogenbinde ne Rolle. Das Glas ist nicht mal mehr halbleer. Und ehrlich. Wenn man wirklich nur das akzeptieren kann, was in der ureigenen Ecke stattfindet, dann sollte man nicht davon reden, etwas für alle tun zu wollen.

    • @Deep South:

      Daumen hoch.

  • Die zwei besten Teams standen im Endspiel und das Team mit dem notwendigen Glück hat gewonnen. Es war gut, dass wir ausgeschieden sind, sonst wäre die Holzerei auch im Endspiel weiter gegangen.

    • @Pico :

      Soll das ein Witz sein. Bis auf Hemp, die aber meist nur mit Geschwindigkeit arbeitet, haben die Engländerinnen sich auch nur durchgetankt und auf ihre körperliche Überlegenheit vertraut.



      Wie oft wurden die spanischen Spielerinnen gestempelt ohne das gepfiffen wurde. Solange die Schiedsrichterinnen dieses körperliche Spiel großzügig durchgehen lassen, werden die Teams mit den körperlich überlegenen Spielerinnen sich durchsetzen.



      Das sieht es bei einer WM glücklicherweise etwas besser aus.

    • @Pico :

      Die besten haben gewonnen.

  • Fussball ist Fussball. Wie man merkt, egal ob Frauen oder Männer. Da sind immer ein paar Prozent völkischer Dreck im schwange.



    Liegt eben auch daran, dass überall das Natonale so eine grosse Rolle spielt. Die Presse macht sich da seit jeher mit verantwortlich.



    Das "Deutschlandgeschreie" ist allgegenwärtig. Komischerweise ist das bei vielen anderen Sportarten längst nicht so exrtrem. Hängt vielleicht damit zusammen, dass Dummbatzen aller Couleur auf Kämpfe mit Knochenbruchmöglichkeit stehen. Nur eine Theorie...



    Aber ich freue mich für den Frauenfussball, dass er jetzt endlich den Stellenwert hat, den er schon lange Verdient.

    • @ Christoph:

      Frauenfußball ist so ok wie Männerfußball, nur sollten die Spieler:innen sich nicht für " Brot & Spiele " instrumentalisieren lassen.

    • @ Christoph:

      "Das "Deutschlandgeschreie" ist allgegenwärtig. Komischerweise ist das bei vielen anderen Sportarten längst nicht so exrtrem. Hängt vielleicht damit zusammen, dass Dummbatzen aller Couleur auf Kämpfe mit Knochenbruchmöglichkeit stehen. Nur eine Theorie..."



      Die Theorie ist natürlich falsch. Bei allen sportlichen Ereignissen bei denen Nationen gegeneinander antreten, kann man das "Deutschlandgeschreie" wahrnehmen. Also nicht nur "Deutschland", sondern alle Nationen schreien ihren Namen

  • Liebe Frau Schwermer, Ihre Kommentare und Analysen zählten für mich zu den Höhepunkten dieser EM. Vielen Dank dafür!

  • Von einer Spaßbremse(1) den tazlerInnen ins Stammbuch geschrieben:

    Wer Frauenfußball, Leistungssport überhaupt oder andere ebenso verantwortungslose da lebensunterhaltzehrende Aktivitäten für wichtig nimmt und sich daran noch begeistert, mit dem wird die Zukunft mindestens so düster sein wie die dunkele Vergangenheit. Andere arbeiten unterdessen erfolgreich daran, die materiellen Grundlagen des Lebens weiter so zu organisieren, dass Freud und Elend des Untergangs immer ungerechter verteilt werden.

    Da sollte ein vermeintlich linkes Medium genauer hinschauen: Wie immaterielle Kultur, Sport usw. Teil der Transformation sind, diese als großen Spaß verschleiern und mindestens legitimieren, wenn nicht sogar befeuern.

    (1) Zur Erinnerung an die „Deutsche Reichs-Bremse : Organ für politische-satyrische Sticheleien“