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Filmfest OsnabrückMit der Gitarre in die Unterwelt

Queere Punks in Malaysia, illegale Ballonkunst in Brasilien und litauische Bohème: Ein Schwerpunkt beim Filmfest Osnabrück sind Subkulturen.

Queerer Widerstand im islamischen Malaysia: Szene aus „Queer as Punk“ Foto: Filmfest Osnabrück

Bremen taz | Eine Rockband mit einem trans Frontmann im queerfeindlichen Malaysia; eine Massenbewegung von Ballonmacher*innen, die in Brasilien riesige Heißluftballons illegal in die Luft steigen lassen; oder die junge, digitale Bohème von Litauen: Es gibt in der Welt noch Nischenkulturen zu entdecken, über die man staunen kann. Zwei Dokumentarfilme und einen Spielfilm zu diesen drei Phänomenen wählten die Ku­ra­to­r*in­nen des 40. Filmfest Osnabrück für ein Programm mit dem thematischen Schwerpunkt „Subkulturen“ aus.

„Queer as Punk“ ist ein Porträt der LGBT-Punkband „Shh…Diam!“, die die Regisseurin Yihwen Chen drei Jahre lang mit der Kamera begleitet hat. Der Sänger und Bandleader Faris ist ein trans Mann und auch die meisten Bandmitglieder leben offen ihre Queerness aus, obwohl dies in ihrem Heimatland Malaysia immer noch unter schwerer Strafandrohung verboten ist.

In einer erschütternden Sequenz erinnern die Bandmitglieder mit einer Performance an die reale Auspeitschung eines lesbischen Paars im Jahr 2018. In ihrer Musik zelebrieren sie dagegen ihre Lebensfreude – ihr Punk ist eher Feelgood- und Partymusik. Schon die Tatsache, dass solch eine Band überhaupt existiert und in der LGBT-Gemeinde durchaus international Erfolg hat, ist rebellisch.

Yihwen Chen zeigt eine Handvoll Konzertauftritte der Band, bei denen sie Songs mit Titeln wie „Where are them Girls“ und „Lonely Lesbian“ spielen. Aber ein großer Teil des Films zeigt Momente aus dem privaten Leben der Bandmitglieder: Autofahrten zu Auftritten, die gleichgeschlechtliche Hochzeit eines Bandmitglieds (in Nordirland) und Faris in einem Krankenhausbett kurz vor und nach einer Brustamputation.

Das Festival

Filmfest Osnarbrück: Di, 7.10. bis So, 12. 10., Infos und Programm: filmfest-osnabrueck.de

Der Film wird zudem immer politischer, denn in den drei Jahren der Dreharbeiten kam zuerst eine liberalere Partei und dann eine streng islamische Bewegung in Malaysia an die Macht. „Queer as Punk“ feiert angesichts dessen die Widerstandskraft der Bandmitglieder. Wenn man Punk nicht als einen Musikstil, sondern als eine Lebenseinstellung versteht, sind „Shh…Diam!“ die „Sex Pistols“ des 21. Jahrhunderts.

Dokumentarfilm „Balomania“

Ein Porträt von Luciano Pavarotti, so groß wie ein Haus und aus Seidenpapier gefertigt, erhebt sich majestätisch in die Lüfte. Für solche Momente arbeiten die Baloeiros in den Favelas von Brasilien jahrelang. Sie bauen riesige Heißluftballons, lassen sie steigen und jagen ihnen dann auf rasanten Autofahrten hinterher. Denn all dies ist verboten: Es gibt Polizeirazzien und es drohen hohe Gefängnisstrafen. Mal werden solche Bilder von populären Figuren wie Rocky oder Karate Kid auf die Reise in den Himmel geschickt, aber auch Tausende von Kerzen oder Knallkörpern gehen in die Luft.

Über Aspekte wie die Brandgefahr verliert die dänische Filmemacherin Sissel Morell Dargis kein Wort. Denn sie ist mit ihrem Film „Balomania“ keine distanzierte Dokumentaristin, sondern eine teilnehmende Beobachterin. Sie hat als Jugendliche lange in Brasilien gelebt und war begeistert von dieser Untergrundbewegung, in der sich Gefahr und Schönheit so spektakulär vermischen.

Über Jahre gewann sie das Vertrauen vieler „Ballonisten“ und bekam so Zugang zu den versteckten Werkstätten und Festen dieser verschworenen Community. Ihre Distanzlosigkeit ist eine der Stärken des Films, denn nur so konnte diese faszinierende Innensicht einer wilden Subkultur entstehen.

Spielfilm „The Swan Song of Fedor Ozerov“

Fedor ist ein Poet und ein Sänger – doch er hat noch keine Lieder geschrieben und auch keine Band. In seinen Kreisen ist dies aber nichts Ungewöhnliches, denn er gehört zu der jungen Bohème von Litauen, und dort haben alle große Ambitionen und wenig Erfolg. In diesem Milieu, das ihm offensichtlich nicht unbekannt ist, hat Yuri Seamashko seinen ersten Spielfilm „The Swan Song of Fedor Ozerov“ angesiedelt.

Obwohl sein Protagonist ein eher phlegmatischer Müßiggänger ist, passiert erstaunlich viel in diesen 78 Filmminuten. Er schickt seinen Helden auf eine Reise durch die Wohnungen und Kneipen der verkrachten Künst­le­r*in­nen dieser Subkultur und zeichnet so ein quasi-dokumentarisches Porträt dieses Mikrokosmos. Fedor macht sich auf die Suche nach seinem verloren gegangenen Lieblingspullover, ohne den er glaubt, nicht dichten zu können.

So erzählt der Film auch eine Detektivstory und wartet dabei sogar mit einer gefährlichen Wendung auf. Diese führt in die Unterwelt der griechischen Mythologie, wo Fedor als Orpheus mit einer mit Klebeband reparierten Gitarre in die Unterwelt (sprich in einen dunklen Keller) steigt und um das Leben seiner Eurydike singen muss. All das passiert an drei Tagen zum Jahresende, in denen die Nachrichten ständig vom drohenden Weltuntergang berichten, denn Putin droht, seine Atomraketen abzuschießen.

Yuri Seamashko inszeniert hier mit einem winzigen Debüt großes Welttheater. Und das wirkt wegen der großen Diskrepanz zwischen den minimalen Mitteln und dem hohen Anspruch oft sehr komisch. Es ist so, als sei der Film selber ein Teil der Kulturszene, von der er erzählt.

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