Film-Trend zu Ostern: Heiland auf Leinwand
Zu Ostern boomen Filme um Schuld und Vergebung. Unsere Autorin hat sich durch drei hindurchgequält. Im vierten fand sie Erlösung.
Satan nun wieder. Und seine miesen kleinen Tricks. 40 Tage und Nächte verbrachte Jesus nach seiner Taufe fastend in der Wüste – und musste in dieser Zeit zusätzlich zu Schweiß und Verzicht gleich drei teuflischen Versuchungen widerstehen. So forderte – laut Matthäus-Evangelium – der Teufel ihn erstens auf, seine gottgegebene Macht zu nutzen, um Stein in Brot zu verwandeln. Jesus lehnte mit den Worten ab, der Mensch lebe schließlich „nicht nur vom Brot, sondern auch von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“.
Zweitens habe der Antichrist ihn dazu bewegen wollen, sich von einem Tempel zu stürzen, um zu testen, ob Gott ihn wirklich retten würde. Auch das konnte Jesus nicht reizen – sinngemäß entgegnete er, er sei schließlich ein Mensch und wolle Gott nicht mit solcherlei Humbug ärgern. Als drittes habe der listige Beelzebub ihm die Weltherrschaft versprochen, im Gegenzug zu einer Abkehr von Gott. Bibelfesten ist bekannt, wie wacker Jesus sich darob hielt, wie er mit den Worten „Weiche, Satan!“ standhaft blieb.
In der seit Donnerstag in den Kinos laufenden, von Rodrigo García verfilmten Version der anstrengenden Wüstenepisode quält sich Ewan McGregor als hungriger Heiland durch die karge Landschaft und spielt in einer Doppelrolle auch gleich noch den Herrscher der Hölle.
In vom „The Revenant“- und „Gravity“-Kameramann Emmanuel Lubezki ins Surreale erweiterten, verlorenen, sandweißen, fast blind machenden Bildern schaut man ihm dabei zu, sieht ihn zweifeln, leiden, suchen – und versteht doch nicht, wozu das ganze Bohei: So unrealistisch, vage und unkonkret erscheinen die Versuchungen und Jesu Reaktion, dass eventuell einzig seine Seelenqual nachvollziehen kann, wer selbst mit dem Gedanken spielt, ins Kloster zu gehen.
Der HBO-Regisseur bewundert Glaube und Spiritualität
In Garcías Film ist Jesus weit entfernt vom richtigen Leben, es wird – durch die dramaturgische Dreingabe einer in der Wüste lebenden Familie mit Vater, kranker Mutter und pubertärem Sohn, die García eingeflochten hat – sonnenklar, dass er seinen Körper längst hinter sich gelassen hat und ihm das Geistige Lohn genug ist.
Die Botschaft, die der aus Kolumbien stammende langjährige HBO-Regisseur durch seine Filmelegie schimmern lässt, ist Bewunderung – für die Konzentration, die starke Spiritualität, den unverrückbaren Glauben. Vielleicht findet sich gar Sehnsucht in Garcías reduzierter und in seiner Redundanz oft auch schlichtweg langweiliger Versuchungs-Meditation.
Jetzt, um die Osterzeit dieses merkwürdigen Jahres 2017, kommen noch mehr solcher religiösen Filme in die Kinos. Es sind Werke, die den Glauben entweder suchen oder ihn mehr oder weniger fasziniert beschreiben. Mit Abstechern ins penetrant Frömmelnde: In „Die Hütte“, der von Stuart Hazeldine inszenierten Kinoadaption des Bestsellers „The Shack“ von William P. Young, verliert ein Familienvater sein Kind – es wird von einem Serienkiller entführt und wohl auch umgebracht.
In tiefster Verzweiflung wird der Vater nach Jahren der erfolglosen Suche per anonymem Brief in eine Hütte in den verschneiten Bergen eingeladen. Dort trifft er auf Gott (Octavia Spencer), Jesus (Aviv Alush) und den Heiligen Geist (Sumire Matsubarata), die sich mit Kochen, Backen und Vergebungsgesprächen die Zeit vertreiben, und zwar die Ermordete nicht wieder lebendig machen können, aber den Trauernden mit geballter evangelikaler Kitschkraft in Grund und Boden erwecken.
Theodizee und Osterhase
Immerhin symbolisieren die verschiedenfarbigen und -geschlechtlichen DarstellerInnen moderne Hollywood-Diversität – der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes im Angesichts des Bösen, die der Philosoph Leibniz „Theodizee“ nannte, und die man eigentlich nur mit der Nichtexistenz Gottes beantworten kann, begegnen sie mit purem Pfaffengequatsche: Dass das Leid des Vaters wirklich durch Vergebung gelindert wird, glaubt nur, wer auch an den Osterhasen glaubt.
Anständig leiden lässt auch Martin Scorsese seine Helden: Schon seit ein paar Wochen läuft „Silence“ in den deutschen Kinos – der italienischstämmige Hollywood-A-Klasse-Regisseur und ehemalige Jesuitenschüler hat damit fast 30 Jahre nach seinem damals von fundamentalen Christen als skandalös eingeschätztem „Die letzte Versuchung Christi“ – in dem Gottes Sohn ebenfalls Satan in der Wüste widersteht, ein paar weltlichen Frauen dagegen nicht – ein neues Sakralwerk geschaffen.
Im Film reisen zwei portugiesische Jesuiten-Pater im Jahr 1640 ins Christen aufs Brutalste verfolgende Japan, um einen Priesterkollegen zu finden. Detailreich und schmerzhaft genau werden dabei Pein, Askese, Opferbereitschaft und Folter an den Christen inszeniert.
Doch auch bei Scorsese, dessen Bildkraft stark wie eh und je ist und der mit seinen dürren, sehnigen, immer schmuddeligeren und verzweifelteren Hauptdarstellern Andrew Gardfield und Adam Driver die richtigen Schauspieler gefunden hat, fragt man sich am Ende, was das Ganze soll: Haben all diese Regisseure die soeben veröffentlichte, paneuropäische „Generation What?“-Jugendstudie nicht gelesen, in der 85 Prozent der befragten EuropäerInnen zwischen 18 und 34 Jahren angeben, sich vorstellen zu können, auch ohne den Glauben an (einen) Gott glücklich sein zu können? Brauchen wir wirklich die Bilder von gequälten Körpern, das Jonglieren mit ungreifbaren und subjektiv immer wieder unterschiedlichen Begriffen wie Erbarmen, Vergebung und Schuld? Glauben wir tatsächlich, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist – und wenn ja, was hat es gebracht? Oder anders: Haben wir nicht alle genug von den verdammten Weltreligionen, egal von welchen?!
Es geht auch anders
Der niederländische Dokumentarfilmregisseur Ramón Gieling hat sich dem Thema ganz anders genähert, weniger spirituell, stattdessen sehr persönlich und konkret. Für seinen Dokumentarfilm „Erbarme dich! – Die Matthäus-Passion“, der am Donnerstag anlief, hat er unter anderem einen Dirigenten, eine Autorin, einen Tänzer, einen Regisseur und einen Obdachlosenchor besucht, sich von ihnen ihre privaten Matthäus-Passionsgeschichten erzählen lassen und Pasolinis expressionistischen Bibelfilm „Das erste Evangelium – Matthäus“ von 1964 zitiert.
„40 Tage in der Wüste“: Regie: Rodrigo García. Mit Ewan McGreger, Ciarán Hins u. a. USA 2015, 99 Min.
„Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott“. Regie: Stuart Hazeldine. Mit Sam Worthington, Octavia Spencer u. a. USA 2016, 133 Min.
„Erbarme dich! – Die Matthäus-Passion“. Regie: Ramón Gieling. Niederlande 2015, 99 Min.
Überraschenderweise klappt das auch ohne Frömmelei und Gottesfurcht. Stattdessen erklärt einer der Befragten das gemeinsame Weinen, das in Bachs von Picander mit Texten versehenem Megawerk vorgeschlagen wird, zur Therapie eines weltlichen Schmerzes. Eine andere berichtet vom Verlust ihrer Tochter und wie sie in Bachs Werk den gleichen Verlust wiedererkannte – der Komponist hatte ebenfalls kurz vorher ein Kind verloren.
Was hilft, das zeigt Gieling ohne Tränendrüserei und in langen, meditativen Musikszenen, ist reine, religionsunabhängige Menschlichkeit, die immer schon das geteilte Leid als halbes Leid einstufte. Und die weder den Teufel als Drohbild noch die „Jungfrau“ Maria als lahmen weiblichen Sidekick noch den blutenden Gottessohn als Sündenträger braucht.
Vielleicht ist die Häufung der quasireligiösen Filme aus den Vereinigten Staaten (fast 15 Jahre nach dem bestialisch sich selbst geißelndem „Die Passion Christi“ des Ultrakatholiken Mel Gibson) das Resultat einer unsicheren Gesellschaftsstimmung, geschürt durch die politische Entwicklung der letzten Zeit, die in der Wahl Trumps gipfelte. Vielleicht gehen seit Neuestem wieder täglich Millionen amerikanische Stoßgebete gen Himmel, weil nur noch Gott helfen kann. Das wird jedoch erfahrungsgemäß (Theodizee!) nichts bringen. Man sollte es darum einfach mal in die andere Richtung versuchen.
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