Film „Stonewall“: Jetzt schon ein historischer Flop
Roland Emmerich will mit „Stonewall“ der Geschichte der Schwulenbewegung ein Denkmal setzen. Seine Erzählung gefällt nicht allen.
Gleich zu Beginn sehen wir in einer Nahaufnahme die pinkfarbenen Lippen einer stark geschminkten Frau, die zu uns in die Kamera spricht und den Film einleitet: „Über Stonewall gibt es so viele Geschichten, wie es in New York schwule Dragqueens gibt. Und das sind verdammt viele. Es gibt unzählige Legenden. Diese hier ist meine“, sagt La Miranda, eine junge Frau, die eigentlich ein Mann ist, als Sexarbeiterin in New York ihr Geld verdient und deren zweite Heimat die Bar Stonewall Inn ist.
Die Szene stammt aus dem Film „Stonewall“, allerdings nicht aus dem am Donnerstag erscheinenden Film von Roland Emmerich, sondern aus dem gleichnamigen Spielfilm von Nigel Smith aus dem Jahr 1995. Smith hinterließ einen Film, in dem er die Aufstände gegen homo- und transphobe Polizeiwillkür in New York 1969 mit einem hohen Grad ausgestellter Künstlichkeit und einer gewitzten Reflexion seiner eigenen filmischen Geschichtsstunde angeht.
Am Ende gibt La Miranda zu: „Alle haben ihre eigenen Stonewall-Legenden. Ich kann mich vielleicht nicht mehr an alles perfekt erinnern, aber so ist das nun mal bei mir“: die realen Ereignisse einer Bürgerbewegung, im Spielfilm rekonstruiert und zugleich kommentiert, subjektiv erzählt im Bewusstsein, dass es so etwas wie Geschichte nicht geben kann – nur Geschichten. Das war vor 20 Jahren.
In Emmerichs Version desselben Stoffs begegnen wir zwar auch einer großen Künstlichkeit, nur wird sie nicht als Mittel der Verfremdung genutzt, sondern als Versuch, Authentizität herzustellen: Der junge, schwule und nach US-amerikanischen Filmstandards attraktive Danny (Jeremy Irvine) reist direkt aus dem Gefängnis der suburbanen weißen Mittelklasse ins scheinbar revolutionäre New York der späten 1960er.
Polizeirazzien in den Bars
Dannys Ankunft im Bus wird mit einer vor dem Greenscreen produzierten Atmosphäre des gewollt Echten bebildert: Das computergenerierte Licht bricht durch die Scheiben und durchtränkt das HD-Bild, während im Hintergrund ein neu programmiertes New York an uns vorbeizieht. Hyperreal, und doch so künstlich wie einst Godzilla selbst.
Danny landet direkt im Mekka der kriminalisierten Sexualitäten, in Greenwich Village, wo die Schwuchteln und Stricher, die Ladyboys, die Lesben und die Transvestiten eine geduldete Freiheit genießen, die immer wieder durch brutale Polizeirazzien beendet wird. Dort, an der Christopher Street, treffen sich abends im Stonewall Inn die Queers, um zu trinken, zu tanzen und zu flirten – bis das Licht angeht und die nächste Verhaftungswelle ansteht.
Die Straßen dieses alten New York sind im Studio nachgebaut worden, und man sieht es ihnen an. In der Aura eines Kulissenbaus irgendwo zwischen Sesamstraße und West Side Story soll hier also am Beispiel eines weißen Posterboys die Emanzipationsgeschichte der Homosexuellen und Transidenten erzählt werden. „Stonewall“ soll zwar nicht künstlich wirken, seine inszenatorischen Mittel kennen jedoch weder Ironie noch Brechungen. Hier wird gradlinig in Form eines Spielfilms Geschichte erzählt, scheint es.
Roland Emmerich präsentiert nach „Independence Day“, „Godzilla“ und „The Day After Tomorrow“ mit „Stonewall“ einen weiteren Katastrophenfilm aus dem Herzen New Yorks, der für seine Figuren erwartungsgemäß gut ausgeht, nur dass es Emmerich diesmal mit einer realen Katastrophe sehr ernst nimmt, und das muss überraschen. Tatsächlich wollte keines der großen Hollywoodstudios den Film finanzieren, und so steckte der offen schwule Regisseur sein eigenes Geld in das 15-Millionen-Dollar-Projekt und produzierte unabhängig.
„Stonewall“ ist eine Herzensangelegenheit, und das ist – so naiv oder formal konformistisch man den Film finden mag – erst mal löblich. Die allerersten Bilder informieren uns auch gleich über das, was viele nicht wussten: Dass offen homosexuell lebende Menschen sich mit Berufs-, Versammlungs-, und Bewirtungsverboten konfrontiert sahen, dass Homosexualität als Krankheit gesehen wurde, und Elektroschocktherapie als Heilungsmittel Usus war. Dass Polizisten in öffentlichen Toiletten Jagd auf Schwule machten, dass Drag auf der Straße ein Verhaftungsgrund war und dass die Namen verhafteter Schwuler in Zeitungen erschienen (es waren jährlich bis zu 5.000 allein in New York): All das erzählt uns Emmerich nicht.
Erst mal nicht ein Rührstück
Aber gut, Selektion ist nun mal genau wie Personalisierung und Dramatisierung ein gängiges Mittel, um reale (Menschenrechts-)Geschichte fiktional und unterhaltsam zu verpacken, und wenn man deswegen „Stonewall“ angeht, darf man auch „Milk“, „Selma“, „12 Years a Slave“ oder „Dallas Buyer’s Club“ nicht heiligsprechen – und sollte das Medium Film generell nicht heranziehen, um dessen Inszenierungen nach geschichtlichem Wahrheitsgehalt zu befragen.
Emmerich ging es aber auch um ein Porträt von Armut unter nichtheterosexuellen Jugendlichen, und in der ersten Stunde des Films gelingt ihm tatsächlich eine respektable Erzählung über diese obdachlosen Sexarbeiter_innen, von denen viele maßgeblich an den Unruhen des 28. Juni 1969 beteiligt waren. Der halb puerto-ricanische Schauspieler Jonny Beauchamp zum Beispiel spielt die transidente Ramona, die Danny in die Untiefen ihrer Subkultur einführt, mit solcher Verve und Selbstbehauptung, dass Emmerichs Porträt der Vielfachdiskriminierten erst mal nicht zum Rührstück verkommt.
Vorwiegend weiße Sicht
In diesen Teilen von „Stonewall“ verlässt der Film dann kurz die weiße Sicht, die uns als Publikum aufgedrückt wird, und erzählt – wenigstens im Ansatz – die Geschichten derer, die im weißen schwulen Mainstream normalerweise untergehen, auch wenn es sich im Kontext dieses polierten und teilweise bombastisch orchestrierten Artefakts um erfundene Geschichten handeln mag – und selbst wenn der Regisseur dies als Geschichte verkaufen will.
„Stonewall“ erzählt von immer noch aktueller Polizeigewalt und der Solidarität unter den Unterdrückten, er orientiert sich an übermittelten Details der Zeitgeschichte (Cruising in den Lkws der Schlachter im Meatpacking District, Hepatitisgefahr im von der Mafia geführten Stonewall Inn etc.) und lässt das große Ganze (eine repressive heteronormative Gesellschaft) in Rückblenden aufblitzen.
Dennoch ist „Stonewall“ jetzt schon ein historischer Flop, nicht nur weil er in den USA an der Kinokasse dramatisch unterging, sondern weil schon nach Veröffentlichung des zweieinhalb Minuten langen Trailers Proteste laut wurden, die in einer Boykottpetition im Internet gipfelten. Die Vorwürfe: zu weiß, zu viele Männer, die Transfrauen spielen, zu viele Heteros, die Homos spielen, Geschichtsverfälschung. Dass Emmerich auch noch zugab, einem heterosexuellen Publikum zuliebe einen nicht zu schwul spielenden Schauspieler besetzt zu haben, gab ihm dann den Todesstoß.
„Stonewall“. Regie: Roland Emmerich. Mit Jeremy Irvine, Jonny Beauchamp u.a., USA 2015, 129 Min.
Wäre Emmerichs Film nicht nur gut gemeint, sondern hätte das Thema der Emanzipation auch auf die filmische Form übertragen, wäre „Stonewall“ vielleicht nichts für die breite Masse, wäre dafür aber interessanter geworden. Vielleicht hätte er auch einfach seine Geschichte besser als Geschichten deklarieren sollen und im Film das erzählt, was er zur Rechtfertigung später in Interviews sagte: nämlich, dass es viele Stonewall-Legenden gibt, und er eine weitere davon erzählt hat.
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