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Festnahmen von Neonazis in Sachsen„Sächsische Separatisten“ mit Verbindungen zur AfD

Seit 2020 sollen sich Rechtsextreme in Sachsen auf einen Umsturz vorbereitet haben. Die Bundesanwaltschaft hat sie wegen Rechtsterrorismus festnehmen lassen. Es fielen Schüsse.

Monatelang hatte die Bundesanwaltschaft gegen die sächsischen Neonazis ermittelt, am Dienstag ließ sie Festnahmen folgen Foto: Christoph Schmidt/dpa

Berlin taz | Es sind junge Rechtsextreme, die sich selbst als „Sächsische Separatisten“ bezeichneten: Die Bundesanwaltschaft hat am Dienstagmorgen acht Neonazis in Sachsen festnehmen lassen und wirft ihnen rechtsterroristische Pläne vor. Die Festnahmen erfolgten im Raum Leipzig, in Dresden, im Landkreis Meißen und eine auch im polnischen Zgorzelec. Insgesamt wurden 20 Objekte durchsucht. Unter den Beschuldigten sind mehrere AfD-Lokalpolitiker. Bei einer der Festnahmen sind Schüsse gefallen.

Neben den Festgenommen hat die Bundesanwaltschaft auch sieben weitere Beschuldigte im Visier. Verbindungen der Gruppe gibt es dabei auch nach Österreich, konkret nach Wien und in den Bezirk Krems, wo ebenfalls Durchsuchungen stattfanden.

Die Bundesanwaltschaft wirft der Gruppe vor, bereits 2020 ihre rechtsterroristische Vereinigung namens „Sächsische Separatisten“ gegründet zu haben. Angeführt wurde sie von Jörg S., der in Zgorzelec festgenommen wurde. Vier der Festgenommenen – Karl K., Jörn S., Kevin M. und Norman T. – waren in der Anfangszeit noch Heranwachsende. Insgesamt soll die Gruppe bis zu 20 Personen umfasst haben.

Diese war laut Bundesanwaltschaft „militant“ ausgerichtet, ihre Ideologie sei von „rassistischen, antisemitischen und in Teilen apokalyptischen Vorstellungen“ geprägt. Die Gruppe verbinde eine „tiefe Ablehnung“ der demokratischen Grundordnung in Deutschland.

Beschuldigte mit Verbindungen zu AfD

Rädelsführer der Gruppe soll Jörg S. gewesen sein. Sein Großvater war Politiker der FPÖ in Österreich. Sein Vater, Hans Jörg S. jun., ist ein mehrfach verurteilter Rechtsextremist aus Österreich, der in den 80er Jahren dort in der militanten Neonazi-Szene aktiv war. Jörg S. soll in Polen festgenommen worden sein. Auch einer seiner Brüder, Jörn S., ist unter den Festgenommenen. Bei zwei weiteren Brüdern fanden Durchsuchungen statt, aber keine Festnahmen.

Zu den Beschuldigten gehören nach taz-Informationen auch die AfD-Lokalpolitiker Hans-Georg P., Kevin R. und Kurt Hättasch.

Hans-Georg P. saß bis Ende 2022 für die AfD im Leipziger Stadtbezirksbeirat Ost. Kevin R. sitzt seit August 2024 für die AfD als stellvertretendes Mitglied sowohl im Sozialausschusses als auch im Beirat für Kultur, Jugend und Sport der Stadt Grimma. 2021 war R. „Medienbeauftragter“ und „JA-Koordinator“ des AfD-Kreisverbands Landkreis Leipzig.

Hättasch sitzt aktuell im Vorstand des gleichen AfD-Kreisverbands im Landkreis Leipzig und wurde 2024 in den Stadtrat von Grimma gewählt. Erst im Oktober war er zum Schatzmeister der Jungen Alternative Sachsen gewählt worden.

Ende Juni war Hättasch einer der Teilnehmer einer Sonnenwendfeier in Strahwalde, über die die taz berichtet hatte. Bei der Zusammenkunft hatten sich AfD-Politiker und Mitglieder der Jungen Alternative mit Neonazis, Hooligans und Völkischen getroffen und den Nationalsozialismus verherrlicht: Es wurden Lieder der Hitlerjugend gesungen und ein SS-Standartenführer geehrt.

Im Frühjahr 2022 zeigen Fotos Hättasch im sachsen-anhaltinischen Schnellroda bei der Anreise zur sogenannten „Frühjahrsakademie“ im damaligen „Institut für Staatspolitik“ des neurechten Ideologen Götz Kubitschek. Das Institut hat sich im Mai 2024 aufgelöst, um einem Verbot zu entgehen. Die Events in Schnellroda dienten zur übergreifenden Vernetzung der rechtsextremen Szene. Auf weiteren Fotos der Frühjahrsakademie 2022 ist unter anderem Martin Sellner zu erkennen, eine Führungsfiguren der Identitären Bewegung in Österreich und Deutschland.

Bei Festnahme von Hättasch fielen Schüsse

Aus Sicherheitskreise wurder der taz am frühen Nachmittag bestätigt, dass bei der Festnahme von Hättasch in Grimma auch Schüsse fielen. Dieser wurde dabei am Kiefer verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden. Hättasch habe selbst zu einer Waffe gegriffen. Ob das Projektil von dort oder aus einer Polizeiwaffe stammte, werde noch geklärt. Zuerst hatte der Spiegel über die Schüsse berichtet.

Der Pressesprecher der AfD Sachsen, Andreas Harlass, erklärte gegenüber der taz: „Mit einer solchen mutmaßlich neonazistischen ‚Separatistengruppierung‘ verbindet uns weder inhaltlich noch organisatorisch irgendetwas. Sollten sich die Vorwürfe gegen Herrn Hättasch bestätigen, wird ein unverzüglicher Parteiausschluss vollzogen werden.“

Paramilitärische Trainings und Nachtmärsche

Laut den Haftbefehlen vom Dienstag sollen die Rechtsextremen überzeugt gewesen sein, dass Deutschland vor dem „Kollaps“ stehe. An dem entsprechenden „Tag X“ soll die Gruppe geplant haben, mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen und gegebenenfalls weiteren ostdeutschen Bundesländern zu erobern, um dort ein nationalsozialistisches Regime zu errichten. Unerwünschte Personengruppen sollten „durch ethnische Säuberungen entfernt“ werden.

Die Gruppe soll dafür auch wiederholt paramilitärische Trainings mit Kampfausrüstung durchgeführt haben. Geübt wurde dabei Häuserkampf, der Umgang mit Schusswaffen sowie Nacht- und Gewaltmärsche. Außerdem soll sich die Gruppe Tarnfleckanzüge, Gefechtshelme, Gasmasken und Schutzwesten besorgt haben.

An den Ermittlungen waren das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt Sachsen beteiligt. Mehr als 450 Po­li­zis­t*in­nen waren bei den Festnahmen und Durchsuchungen im Einsatz, darunter auch Spezialkräfte. Österreichische und polnische Geheimdienste waren ebenfalls involviert.

Haldenwang zieht Verbindung zur rechten „Siege“-Szene

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, erklärte auf Anfrage der taz: „Die heutigen Exekutivmaßnahmen verdeutlichen die anhaltend hohe Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands, die vom Rechtsextremismus ausgeht.“ Protagonisten der Gruppierung seien teils sehr junge Rechtsextremisten, die Bezüge zu einer insbesondere im virtuellen Raum aktiven Szene aufweisen. Die Anhänger dieser sogenannten „Siege-Szene“ beziehungsweise des militanten Akzelerationismus glorifizieren Taten bekannter Rechtsterroristen wie Anders Breivik und Brenton Tarrant. Sie verfolgen das Ziel, an einem erwarteten gewaltsamen Umsturz – Tag X – des politischen Systems mitzuwirken.

„Siege“ ist ursprünglich ein Newsletter, den der US-Rechtsextremist James Mason in den 1980ern für die „National Socialist Liberation Front“ geschrieben hat und dessen Inhalte später in Buchform erschienen. Laut dem Rechtsextremismus-Experten Spencer Sunshine hat Mason in den vergangenen Jahren seine Anhänger auf Imageboards und in Telegramgruppen gefunden – und Neonazi-Netzwerke wie die rechtsterroristische „Atomwaffen Division“ inspiriert.

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sagte der taz: „Erneut wird deutlich, dass die Gefahren, die von einer stetig wachsenden rechtsextremen Szene ausgehen, sehr real sind. Der hohe Organisationsgrad der Szene ist und bleibt in höchstem Maße besorgniserregend.“ Auch die transnationale Vernetzung schreite weiter voran und es würden weitreichende Finanzstrukturen aufgebaut. Verbindungen der „Sächsischen Separatisten“ in andere Länder, nicht nur nach Polen, müssten konsequent aufgeklärt werden. „Dort, wo sich Extremisten international vernetzen, muss dies auch für die Sicherheitsbehörden gelten. Gemeinsam müssen sie entschlossen gegen grenzüberschreitende Bedrohungen vorgehen“, sagte von Notz.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem „sehr wichtigen Ermittlungserfolg“. Die Sicherheitsbehörden hätten „frühzeitig militante Umsturzpläne von Rechtsterroristen vereitelt, die einen Tag X herbeisehnten, um mit Waffengewalt Menschen und unseren Staat anzugreifen“. Dass die Gruppe mit Waffen trainiert und sich bereits Ausrüstung beschafft habe, zeige, wie gefährlich sie gewesen sei.

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