Festnahme nach Ibiza-Affäre: Berliner Justiz prüft Auslieferung
In Berlin wurde der mutmaßliche Macher des Ibiza-Videos festgenommen. Sein Anwalt wehrt sich gegen eine Auslieferung nach Österreich.
Denn Julian H. soll einer der Macher des Ibiza-Videos sein, das den österreichischen Rechtsaußen-Politiker Heinz-Christian Strache 2019 zu Fall brachte. Mittels einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte wurde der damalige Vizekanzler und FPÖ-Politiker 2017 in eine Finca auf Ibiza gelockt, zusammen mit dem FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus. Vor versteckten Kameras stellte Strache dort Großaufträge in Aussicht und plauderte über verdeckte Großspenden. Als das Video vom Spiegel und der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, flog die österreichische Regierung auseinander.
Julian H., ein früherer Privatdetektiv, war danach abgetaucht. Die österreichischen Behörden ermittelten aber nicht nur gegen Strache, sondern auch gegen den mutmaßlichen Fallensteller. Sie suchten ihn mit einem europäischen Haftbefehl. Das Berliner Kammergericht kam dem nach und erließ im Juli einen Auslieferungshaftbefehl. Nicht für die Anfertigung des Videos, wohl aber, weil H. mit dem Video Strache angeblich über einen Mittelsmann erpresst habe. Zudem soll er an mehrere Personen insgesamt rund 2,5 Kilo Kokain verkauft haben.
Die Ermittler brauchten aber eine Weile, um herauszufinden, wo genau sich Julian H. aufhielt. Sein Anwalt Johannes Eisenberg kritisiert dessen Festnahme am 10. Dezember scharf und hält die Vorwürfe für vorgeschoben. Denn Gerichte hatten die Anfertigung und Verbreitung des Ibiza-Videos wegen des öffentlichen Interesses für gerechtfertigt erklärt.
„Fake-Vorwürfe“
Mit der „orchestrierten Verdachtskonstruktion“ soll Julian H. nun aber doch noch verfolgt werden, kritisiert Eisenberg, der auch die taz presserechtlich vertritt. So basierten die Drogengeschäfte auf widersprüchlichen Aussagen einer Frau und auf denen eines Mannes, der H. bereits in anderer Sache falsch beschuldigte. Auch habe H. das Ibiza-Video weder an Strache verkaufen wollen, noch spreche der Politiker selbst von einer Erpressung. Auch dieser Vorwurf sei „längst widerlegt“.
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Eisenberg spricht von „Fake-Vorwürfen“ wie sie autoritäre Staaten auch gegen andere Whistleblower erheben würden. Julian H. sei ein „Antifaschist“, der eine Regierungsbeteiligung der rechtsradikalen FPÖ mit beendet habe. Zudem sei sein Mandant über ihn stets zu Auskünften an die Behörden bereit gewesen. Er sei im November per Video gar als Zeuge in einem österreichischen Prozess zugeschaltet worden.
Ob es tatsächlich zu einer Auslieferung kommt, liegt nun in den Händen der Berliner Justiz. Laut einer Sprecherin des Kammergerichts berät die Generalstaatsanwaltschaft momentan über eine Vorabbewilligungsentscheidung zur Auslieferung. Danach entscheide final das Kammergericht. Sowohl das Gericht als auch die Staatsanwaltschaft erklärten, eine Entscheidung sei noch offen.
Die rot-rot-grüne Landesregierung hält sich in dem Fall bisher zurück. Es gehe um eine „unabhängige richterliche Entscheidung“, erklärte ein Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Eine politische Einmischung wäre „sehr ungewöhnlich“. Zudem sei Österreich kein Unrechtsstaat, sondern „eine funktionierende Demokratie“.
Anwalt Eisenberg sieht das anders. Die FPÖ sei in Österreich seit Jahren Staatspartei, ihre Anhänger besetzten auch in der Justiz wichtige Posten. Er habe „erhebliche Zweifel“, dass für Julian H. in dem Land eine wirksame Verteidigung möglich sei. Beschließe die Berliner Justiz tatsächlich, ihn auszuliefern, werde er eine Verfassungsbeschwerde prüfen – und einen Asylantrag für H. in Deutschland.
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