Festival an der Akademie der Künste: Der Natur eine Stimme geben
Sandstürme rauschen, Regenwälder klingen. Das Festival „time to listen“ untersucht die Klimakrise mit Klangkunst und Musik.
In den höchsten Tönen summt, prasselt und singt es. Aus tiefster Tiefe brummt, surrt und rauscht es. So vielstimmig klingt einer der ältesten Regenwälder der Welt auf der Tropeninsel Borneo im malaiischen Archipel. Ein unberührtes Ökosystem mit seinem ganz eigenen Klang – aufgenommen von 64 Mikrofonen. David Monacchi, Komponist und Klangkünstler aus Italien, hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Sound dieser gefährdeten Biodiversität aufzuzeichnen und für die Nachwelt zu bewahren.
Organisiert wie eine Partitur sei die Natur, sagt er: „Ich höre diesen komplexen Naturklangwelten jetzt schon fast 20 Jahre lang zu und der Unterschied zu einer mehrstimmigen Motette aus dem 15. Jahrhundert ist für mich gar nicht so groß.“ Auf der Website zu seinem interdisziplinären Projekt „Fragments of Extinction“ kann man Öko-Sinfonien aus drei Kontinenten lauschen. Ausschnitte seiner Arbeit stellt Monacchi kommenden Samstag an der Berliner Akademie der Künste vor. Dort versammelt das Festival „time to listen – die ökologische Krise in Klang und Musik“ ab dem 18. August internationale Künstler:innen, die sich auf verschiedenste Weise mit der Beziehung zwischen Musik und Klimakrise beschäftigen.
Die Idee dazu entstand vor zwei Jahren: „Während der Coronazeit haben wir in regelmäßigen Onlinetreffen sehr intensiv darüber gesprochen, was unsere Mitglieder beschäftigt. Die Besorgnis über die weltweite ökologische Krise kam dabei sehr oft auf“, erzählt Festivalleiterin Julia Gerlach. Dazu müsste man mal was machen, habe sie gedacht.
Herausgekommen ist eine interdisziplinäre Veranstaltungsreihe an der Grenze zwischen Kunst und politischem Aktivismus: So etwa die Komposition „LANDET“ des dänischen Klangkünstlers Jacob Kierkegaard, welche die Tötungsmaschinerie der Lebensmittelindustrie akustisch erlebbar macht, indem sie über acht Lautsprecher die technoiden Klänge eines Schlachthofes wiedergibt oder der sprechende Klavier-Automat von Peter Ablinger, Winfried Ritsch und Thomas Musil, der aus der Forderung des „World Venice Forum“ nach einem internationalen Gerichtshof für Umweltkriminalität zitiert.
Anreise mit dem Zug
Wenn die Künste Klimapolitik machen, müssen auch die Produktionsweisen auf Nachhaltigkeit überdacht werden. Bis auf wenige Ausnahmen reisen deshalb alle teilnehmenden Künstler:innen mit dem Zug an. „Wo das nicht möglich war, haben wir darauf geachtet, dass die betreffenden Personen länger bleiben und einen größeren künstlerischen Fußabdruck hinterlassen, indem sie auch am Symposium teilnehmen und einen Workshop für Jugendliche machen“, erklärt Gerlach.
time to listen, Akademie der Künste, 18. August bis 3. September
Eine von ihnen ist die philippinisch-amerikanische Komponistin, Schlagzeugerin und Klangkünstlerin Susie Ibarra. Während ihres zweiwöchigen Aufenthaltes in Berlin wird sie mit den Moabiter Mädchengruppen Mädchen-Kultur-Treff Dünja und Beraberce e. V. Moabit die Klänge von städtischen Flüssen und Gewässern aufzeichnen und mit ihnen über den der Natur innewohnenden Rhythmus sprechen. Insbesondere aber sieht sie es als ihre Aufgabe, den Jugendlichen Raum für eigene Narrative zu bieten: „Ich will vor allem zuhören und hören, was die Mädchen zu erzählen haben und wie sie das Klima, in dem sie zu Hause sind, erleben.“
Auch ihre Komposition „stories of the desert in a changing climate“, ein Auftragswerk der Akademie der Künste, kreist um die Perspektive der nächsten Generation. Entstanden ist die Klanginstallation in der von Desertifikation bedrohten Oase M’Hamid El Ghizlane im Süden Marokkos in Zusammenarbeit mit 15 jungen Mädchen zwischen 9 und 15 Jahren. Die Erfahrungen der jungen Frauen, die bereits jetzt mit den Folgen der Klimakrise leben, waren für die Projektentwicklung richtunggebend: Gemeinsam machten sie Audioaufnahmen von ihrer Umgebung, fingen die Geräusche der Sandstürme, der wenigen verbliebenen Wasserquellen oder des Echos in ausgetrockneten Ziehbrunnen ein.
Kunstprojekte dieser Art nehmen einen politischen Paradigmenwechsel vorweg, der vereinzelt schon heute Realität ist: Ecuador nahm 2008 als erster Staat weltweit die Grundrechte der Natur mit in seine Verfassung auf, und 2017 erklärte das neuseeländische Parlament den Whanganui River gar zur juristischen Person. Seitdem hat der Fluss über seine Stellvertreter, sogenannte Guardians, auch vor Gericht eine Stimme. Er wird vom unterworfenen Objekt zum an der Gesellschaft teilnehmenden Subjekt.
David Monacchi, dessen Field Recordings, also Feldaufnahmen, unversehrter Regenwälder am 19. August in der Akademie der Künste zu hören sein werden, befürwortet solche gesetzlichen Initiativen: „Es ist höchste Zeit, dass wir lernen, den Stimmen der Natur wirklich zuzuhören.“ Bei diesem Transformationsprozess spielt Kunst seiner Meinung nach eine Schlüsselrolle: „Klang ist eine mächtige sinnliche Erfahrung, die uns zu einem tieferen Verständnis der Umwelt und einem neuen ökologischen Bewusstsein verhelfen kann.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!