Festgenommene Deutsche bei G7: Zehn Wochen Präventivhaft
Drei Nürnberger Linke wurden auf bloßen Verdacht hin verurteilt. Nun sind sie wieder frei – und ärgern sich auch über deutsche Behörden.
Zehn Wochen hatte Stoltner zuvor in Frankreich in Haft gesessen. Rein präventiv, wegen eines umstrittenen französischen Sicherheitsgesetzes. Am 21. August war der Nürnberger auf einer Autobahn mit zwei befreundeten Linken, 23 und 18 Jahre alt, festgenommen worden. Der Vorwurf: Das Trio sei auf dem Weg zum G7-Gipfel in Biarritz gewesen, habe dort Krawalle geplant.
Der Fall sorgte für Schlagzeilen, die linke Szene startete eine bundesweite Solidaritätskampagne. Auch weil das Trio bis zum Schluss seine Unschuld beteuerte: Sie seien nur auf dem Weg zu einem Campingurlaub gewesen. Es half nichts. Nur der 18-Jährige wurde Anfang Oktober freigelassen und nach mehreren Tagen in Abschiebehaft nach Deutschland ausgeflogen.
Stoltner und der 23-Jährige saßen bis zuletzt in Haft. Erst jetzt sind alle drei Männer wieder frei. „Natürlich bin ich erleichtert“, sagt Stoltner der taz. „Aber da bleibt auch eine ordentliche Portion Wut. Ein Erschrecken, wie schnell man in Europa seine Rechte loswerden kann.“
13.000 Polizisten im Einsatz
Es war ein Sicherheitsgroßaufgebot, das den G7-Gipfel in Biarritz damals umrahmte: 13.000 Polizisten sicherten das Treffen der Staatschefs, französische Behörden fürchteten Ausschreitungen von Gipfelgegnern. Kooperiert wurde daher im Vorfeld auch mit ausländischen Sicherheitsbehörden.
Und das deutsche Bundeskriminalamt arbeitete kräftig zu, wie nun die Antwort auf eine Linken-Anfrage belegt, die der taz vorliegt: Demnach wurde den Franzosen vor dem Gipfel eine Warnliste mit 121 Namen deutscher Linker geliefert.
Eine Liste, die offenbar auch Martin Stoltner und den anderen beiden Nürnbergern zum Verhängnis wurde.
Stoltner, Erzieher in der Ausbildung, heißt eigentlich anders. Auch schon vor der Haft in Frankreich trug er seinen Namen nicht in die Öffentlichkeit: Er ist Teil der linksradikalen Szene Nürnbergs, die ihre Identitäten für sich behält. Am 21. August sei er mit anderen auf dem Weg zu einem Zeltplatz im baskischen Lekeitio gewesen, erzählt Stoltner. An einer Mautstation nahe Biarritz habe die Polizei sein Auto mit den beiden anderen Nürnbergern plötzlich gestoppt. „Wir haben erst mal gar nicht gecheckt, was los ist“, erinnert sich Stoltner. Dann sei man verhaftet worden.
Verzweifelte Eltern, schnelle Urteile
Es sind die Eltern der drei, die sich in den Folgetagen an die Öffentlichkeit wenden, auch an die taz. „Mein Sohn ist seit letzten Mittwoch verschwunden“, schrieb Stoltners Mutter. Nur durch Medien habe sie von der Verhaftung erfahren. „Die Umstände und Gründe bleiben im Dunkeln.“ Es gebe keinen Kontakt, die Verhafteten hätten keine eigenen Anwälte. „Unsere Verzweiflung wächst.“
Tatsächlich waren Martin Stoltner und die anderen beiden da bereits verurteilt, in einem Schnellverfahren nach zwei Tagen: zu zwei und drei Monaten Haft. Grundlage ist ein französisches Sicherheitsgesetz, das es verbietet, sich zu „Gewalttaten gegen Personen oder Gegenständen“ zusammenschließen – die unterstellte Absicht reicht hier bereits. Und das französische Gericht verwies auf Gegenstände, die im Auto der Nürnberger gefunden worden seien: linke Literatur und Aufkleber, Sturmhauben, Pfefferspray, ein kleiner Hammer, Schutzkleidung. „Die perfekte Ausrüstung für den schwarzen Block.“
Stoltner weist das zurück. Alle Gegenstände seien legal, der Hammer „eine reine Erfindung“. Und die Schutzkleidung sei lediglich Box-Equipment gewesen, mit dem man im Urlaub trainieren wollte. Tatsächlich blieb auch vor Gericht die Lage unklar, weil die angeblichen Beweisstücke aus dem Auto nicht mehr auffindbar waren. Das Trio wurde schließlich vom Waffenbesitz freigesprochen – aber dennoch für die vermeintlich geplante Randale verurteilt. Für Stoltner ein Unding. Und: „Selbst wenn wir zum G7-Gipfel gewollt hätten, wäre das kein Grund gewesen, uns für nichts einzusperren. Das ist einfach nur politische Willkür.“
Und offenbar war es die Zuarbeit der deutschen Behörden, welche die Grundlage für die Verhaftung legte. Denn Martin Stoltner und der Älteste des Nürnberger Trios werden laut Bayrischen Rundfunk bei der Polizei als „Gewalttäter links“ geführt. So habe Stoltner bei Protesten gegen einen AfD-Parteitag einen Polizisten mit einer Fahnenstange geschlagen. Er selbst spricht von einem „Demo-Gerangel“.
Wer stand auf der BKA-Liste?
Das bayrische LKA und die Bundesregierung geben sich bedeckt, ob die drei Nürnberger zu den 121 Linken gehören, deren Daten an die Franzosen geschickt wurden. „Aus Gründen des Staatswohls“ könne man dazu nichts sagen, erklärt das Innenministerium. Dies ließe Rückschlüsse auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu. Martin Stoltner aber sagt, im Zuge der Prozesses in Frankreich sei klar geworden, dass sie auf einer Liste der Polizei standen. Einem der Mitbeschuldigten sei zudem offenbart worden, dass er ein Einreiseverbot nach Frankreich habe. Dieser, erzählt Stoltner, hätte allerdings selbst nichts davon gewusst.
Auf Anfrage der Linken im Bundestag räumt das Innenministerium zumindest ein, dass die 121 übermittelten Namen Personen betrafen, die als linksmotivierte Straftäter eingetragen seien und bei internationalen Großereignissen polizeilich in Erscheinung traten oder die „intensive Kontakte zu ausländischen Aktivisten“ mit Gewaltbezug unterhielten. Dazu habe auch die Bundespolizei 19 Personendaten mitgeteilt. Auch seien den Franzosen „Anreisen bzw. geplante Teilnahmen an Protestveranstaltungen gegen den G7-Gipfel in Biarritz übermittelt“ worden.
Für das Nürnberger Trio endete das in Haft. Auch eine Berufungsverhandlung vor einem Gericht im französischen Pau bestätigte Mitte Oktober die Verurteilung. In Deutschland mobilisierte die linke Szene derweil zu Solidaritätsaktionen für „die drei von der Autobahn“, hisste ein Großbanner an der Nürnberger Stadtmauer. Und Stoltner schrieb einen Brief aus der Haft zurück: „Dieser Scheiß ist eben auch ein Part von unserem revolutionären Weg.“ Die Solidarität aber sei „großartig“. Ein Bekenntnis. „Wir haben nie verneint, dass wir Linke sind“, sagt Stoltner. Und nur der öffentliche Druck habe die Chance ermöglicht, ein völlig überzogenes Urteil zu verhindern.
Beim G7-Gipfel in Biarritz blieben die erwarteten Ausschreitungen derweil weitgehend aus. Und Stoltner wurde schließlich am 30. Oktober abgeschoben, der Älteste der Nürnberger wenige Tage zuvor vor die Gefängnistür gesetzt. Als Stoltner schließlich in München landete, wurde er nach eigenen Angaben auch dort noch mehrere Stunden von Bundespolizisten befragt. Stoltner bleibt nun ein dreijähriges Einreiseverbot nach Frankreich.
Angriff auf Demonstrationsfreiheit
Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke nennt den Fall einen Skandal – an dem deutsche Behörden mitschuldig seien. Deren Datenübermittlung an die Franzosen sei ein „reiner Willkürakt“. „Die Denunziation von 121 Personen als vermeintliche Linksextremisten ist ein Angriff nicht nur auf deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch auf ihre Demonstrationsfreiheit.“ Im Fall der drei Nürnberger habe man gesehen, welche fatalen Folgen dies haben könne.
Martin Stoltner indes macht politisch weiter, wie jüngst auf der Rojava-Kundgebung. „Es gibt genug Gründe, gegen den Rechtsruck und die Schweinereien in Europa anzukämpfen“, sagt der Nürnberger. Der Knastaufenthalt in Frankreich habe ihn darin nur noch bestärkt.
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