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Fernunterricht in der CoronapandemieBloß nicht zurück nach Hause

Gesundheitsminister Jens Spahn dämpft die Hoffnung auf offene Schulen nach den Ferien. Expert*in­nen und Opposition fordern aber genau das.

Unterricht in einer möglichen vierten Coronawelle: Wie geht es weiter? Foto: Noa_mar/plainpicture

Berlin taz | Bil­dungs­ex­per­t*in­nen von Linken, Grünen und FDP fordern, die Schulen im neuen Schuljahr offen zu halten. Die Bundesregierung müsse in den Sommerferien dafür sorgen, dass ein sicherer Unterricht für alle möglich ist, sagte die bildungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Birke Bull-Bischoff, der taz.

Einig ist sich die Linken-Fachfrau mit ihren ­Kolleginnen von FPD und Grünen. Katja Suding, stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, fordert eine vollständige Rückkehr zum Präsenzunterricht nach den Sommerferien und sieht Bund und Länder in der Pflicht.

Die Sprecherin für Bildungspolitik der Grünen, Margit Stumpp, mahnt ebenfalls an, dass jetzt Vorkehrungen für einen sicheren Präsenzunterricht getroffen werden müssten. „Dazu gehören mobile Luftreinigungsanlagen in den Klassenzimmern, mehr Tempo bei der Digitalisierung, Stufenpläne mit angepassten Hygienekonzepten, umfängliche Teststrategien sowie Impfkapazitäten für Schüler*innen“, so Stumpp. Die Möglichkeit des Distanz- und Wechselunterrichts bliebe dann immer noch eine Option, sagt die Grüne.

Auslöser für die Debatte war eine Aussage von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn vom Wochenende. Zunächst berichteten mehrere Medien, dass er während einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing gesagt habe, dass die Coronamaßnahmen in Schulen noch länger aufrechterhalten werden müssten. Auch im Herbst und Winter seien Maskenpflicht und Wechselunterricht voraussichtlich notwendig.

Schlechtes Zeugnis für Wechselunterricht

Am Montagnachmitttag veröffentlichte die Evangelische Akademie Tutzing dann den Videomitschnitt der Veranstaltung. Darin zeigt sich, dass Spahns Aussagen weniger eindeutig eindeutig sind, als zunächst berichtet. Wörtlich sagte er: „Wir werden eine Zeit lang, gerade im Herbst/Winter, in den Schulen noch Schutzmaßnahmen brauchen.“ Details wolle er noch nicht definieren. Die Sommerzeit solle aber diesmal zur Vorbereitung besser genutzt werden.

Dann sagte Spahn: „Wir werden nicht völlig ohne Schutzmaßnahmen – sei es Maske, Abstand, Wechselunterricht, Tests vor allem auch – wieder in den Schulbetrieb gehen können.“ Die Aussage, dass es im Herbst wohl Wechselunterricht und Maskenpflicht geben werde, hatte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch schon verbreitet – und Reaktionen hervorgerufen.

„Die Forderung von Jens Spahn, nach dem Sommerferien einfach mit Masken und Wechselunterricht weiterzumachen, vertuscht das unübersehbare Versagen der Bundesregierung und der Kultusminister*innen, Schulen sicher zu machen“, kritisiet Bull-Bischoff. Suding mahnte an, dass vor allem sozial benachteiligte Kinder in der Pandemie den Anschluss verloren hätten. „Bund und Länder müssen in den Sommerferien jetzt wirklich sicherstellen, dass pandemiefester Unterricht an den Schulen möglich ist.“

Eine am Montag veröffentlichte Studie der Goethe-Universität Frankfurt stellt dem Distanzunterricht in der Tat ein äußerst schlechtes Zeugnis aus. „Die durchschnittliche Kompetenzentwicklung während der Schulschließungen im Frühjahr 2020 ist als Stagnation mit Tendenz zu Kompetenzeinbußen zu bezeichnen“, erklärt Andreas Frey, Mitautor der Studie und Professor für Pädagogische Psychologie. Das Fazit: Der Distanzunterricht während des ersten Lockdowns sei vergleichbar mit dem Effekt von Sommerferien.

Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina spricht sich in einer am Montag veröffentlichten Stellungnahme für die Rückkehr zum Präsenzunterricht nach den Sommerferien aus. Dies sei die effektivste Art des Lernens, heißt im Papier der Wissenschaftler*innen. Vor dem Hintergrund der sich ausbreitenden Delta-Variante sollten die Öffnungen aber von „geeigneten Schutzmaßnahmen“ begleitet werden.

Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen sprechen sich dafür aus, dass in Innenräumen, wo der notwendige Abstand nicht eingehalten werden kann, weiterhin durchgehend eine medizinische Maske getragen werden sollte.

Die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) Britta Ernst, SPD, verwies bereits am Wochenende auf einen Beschluss aus dem Juni. Dem Tagesspiegel vom Montag sagte sie: „Die KMK hat für Präsenzunterricht plädiert und das sollte nicht vorzeitig in Frage gestellt werden.“

Aktualisiert am 21.06.2021 um 19:00 Uhr. Spahns Aussagen zu möglichem Wechselunterricht nächstes Schulajhr haben wir präzisiert. Zuvor war ein Videomitschnitt seines Auftritts öffentlich geworden. d. R.

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6 Kommentare

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  • Teil 2:

    Ich persönlich bin weder für noch komplett gegen eine Institution Schule. Was mir unverständlich bleibt ist die Art und weise wie die Schulen unter den staatlichen Reglements funktionieren.



    In einer Welt in der es ausreicht wenn Mensch nur eine Funktionalität darstellt und wie jedes teil einer Maschine austauschbar ist, ist es kein Wunder, wenn in den Schulen die persönlichen Bedürfnisse und interessen der kinder kaum bis keine Beachtung geschenkt wird(auch wenn die qualitaet einer schule vom kollegium abhaengig erscheint).Es ist wichtig, dafuer freiraum zu schaffen, das den Kindern ein freiwilliges und selbstverantwortliches und spielerisches lernen, Ein lernen nach ihren eigenen Interessen ermöglicht wird. Vor allem außerhalb von Klassenräumen.

  • Kommentar zur meldung" Fernunterricht wirkt wie Ferien":



    Gibt es Studien die die Kompetenzen von Kindern und jugendlichen beobachtet die in home- oder nonschoolfamilien aufwachsen?



    Da ich viele kenne möchte ich meine Erfahrung hier teilen.



    Ich finde solche Studien zu lern-und sozialkompetenzen von Kindern jugendlichen einseitig. Ich kenne viele Menschen zwischen 5 und 15 die keine reguläre Schule besuchen oder besucht haben und schon mit 12 Jahren 3 bis 5 sprachen sprechen und in ihren Interessen ihren Talenten und Fähigkeiten gefördert werden und oft ein breites wissen verfügen über das was sie interessiert und sich mit beschaeftigen; sei es Sprache, Gärtnern, Schmiedekunst, klettern, musische Talente, tatsächlich auch technisches zeichnen ( hier lego Bauanleitung für ihre eigenen basteleien), Breakdance,kochen, backen uvm. Jene lernen und entwickeln sich spielerisch miteinander und für sich selbst.ich muss dazu sagen das diese Kinder in einem Umfeld aufwachsen wo dies auch möglich ist. Die Eltern haben Zeit ihre Kinder ganztags zu begleiten und in die hauswirtschaftlichen Gegebenheiten einzubinden. Kontakte zu Menschen aus aller Welt ist gegeben und völlig normal, das vor allem englisch oft gesprochen wird. Auch zu Hause wird nicht nur deutsch miteinander geredet. Computerkram kommt hier an eher letzter stelle und es wird hier auf ein verantwortungsbewussten Umgang geachtet. Wenn Computerspiele doch mal Eingang finden, dann ist es oft nicht einfach sie nach draußen an die frische Luft zu animieren. Es kommt zu Zoff und Zank. Die Kinder sind nur noch in diesem virtuellen Spiel und kriegen von ihrer Umwelt nicht mehr viel mit. Aber auch das gehört wohl zu den Erfahrungen.ich gehe davon aus das diese "Kompetenzeinbußen" vor allem ein strukturelles Problem sind. Während es Familien gibt die sich "frei" gemacht haben und Zeit und Lust haben ihre Kinder zu begleiten, ist dies für die Mehrheit der "arbeitenden" Bevölkerung schlicht kaum bis gar nicht umsetzbar.

  • > Einig ist sich die Linken-Fachfrau mit ihren ­Kolleginnen von FPD und Grünen. Katja Suding, stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, fordert eine vollständige Rückkehr zum Präsenzunterricht nach den Sommerferien und sieht Bund und Länder in der Pflicht.

    Soll das auch mit täglichen Fallzahlen von 10000, 20000 oder 50000 passieren? Genau da kommen wir nämlich hin, wenn wir zum Eintreffen der Delta-Variante alles wieder öffnen.

    Mindestens sollte man allen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit eröffnen, sich selbständig und mit altersgerechter Information für eine Impfung zu entscheiden, und dafür sorgen dass dann auch für alle Impfstoff da ist, die das wollen.

    Das normale Zulassungsverfahren wird ja bis zum Herbst nicht durch sein, das kommt zu spät.

  • Ich mache mir große Sorgen um unsere Schulkinder. Gerade die ganz kleinen haben durch Wechselunterricht, kann ich mir vorstellen, werden Probleme haben die wichtigen Erfahrungen während des Schulanfangs zu sammeln. Natürlich möchte ich niemanden für die Pandemie verantwortlich machen, aber ich ärgere mich trotzdem darüber, dass man kaum etwas darüber hört, wie der Stand beim Thema Lüftungsanlagen in Klassenräumen ist. Da bekomme ich zumindest den Eindruck, dass sich da nichts tut. Natürlich habe ich vernommen, dass jetzt (mittlerweile im 2. Coronasommer angekommen) Mittel dafür bereitgestellt werden. Aber mehr weiß man nicht. Könnte man nicht eine Anfrage an die Bundesregierung stellen, wieviele Klassenräume mittlerweile mit Luftfiltergeräten ausgestattet wurden?

    • @Jojo S.:

      Hier eine Information zu Aerosolen / Luftfiltern:

      docs.google.com/do...1cUumn8m0pwzo/edit

      - wären sicherlich nicht nur in Schulen sondern z.B. auch in U-Bahn Stationen und ÖPNV Fahrzeugen sinnvoll, auch langfristig da sie ja auch gegen andere Keime wirken.

    • @Jojo S.:

      Luftfilter, das weiß man, sind gegen Aerosolübertragung sehr wirksam und in Klassenräumen zumal im Herbst und Winter absolut sinnvoll.

      Allein dass "Luftfilter" immer nur als inkonkretes Buzzword erscheint, ähnlich wie "Digitalisierung", ist deutliches Anzeichen genug dafür, dass da von Seiten der Politik bisher genau nichts passiert ist. Anscheinend muss da erst ein Neffe eines CDU-Politikers eine entsprechende Firma aufsetzen, damit sich da was tut.