Femizid an 34-Jähriger Afghanin: Ehrenloser Mord
Zwei Brüder haben ihre Schwester offenbar getötet – die Staatsanwaltschaft spricht von Ehrenmord. Die mutmaßlichen Täter sind in Haft.
CDU-Landeschef Kai Wegner meldete sich ziemlich schnell zu Wort: „Wir brauchen eine offene Debatte über gescheiterte Integration aufgrund archaischer Wertvorstellungen, die aus den Herkunftsländern nach Deutschland mitgebracht werden“, sagte er. Elke Breitenbach, linke Senatorin für Integration erwiderte: „In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das ist kein Ehrenmord, das ist Femizid. Und ich habe leider keine Idee, wie man Männer besser integrieren kann.“ Es gehe nicht um die Herkunft der Täter, sondern um die Frage des Geschlechts.
Laut Polizei sind die mutmaßlichen Täter seit dem 4. August in Untersuchungshaft. Sie sollen ihre Schwester am 13. Juli umgebracht zu haben. Noch am selben Tag sollen sie ihre Leiche in einem Koffer mit der Bahn nach Bayern transportiert und dort in der Nähe des Wohnorts des 25-Jährigen Bruders bei Neuburg an der Donau vergraben haben. Eine Obduktion der Leiche am Freitag ergab, dass es sich bei der Getöteten um die 34-jährige Berlinerin handelt.
Laut Haftbefehl haben die Männer ihre Schwester mutmaßlich ermordet, „weil das Leben ihrer geschiedenen Schwester nicht ihren Moralvorstellungen entsprochen hatte“, wie es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft heißt. Alle drei Geschwister lebten seit einigen Jahren in Deutschland.
„Ermordet, weil sie ein eigenständiges Leben wollte“
Der grüne Innenpolitiker Benedikt Lux sagte: „Dieser Mord erschüttert zutiefst und hat nichts mit Ehre zu tun. Ich hoffe die Ermittlungen werden Erfolg haben, zu verurteilende Täter hart bestraft.“ Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch äußerte sich ähnlich. Der SPD-Bundestagskandidat für Neukölln, Hakan Demir, sagte: „Wir müssen das Patriarchat überwinden! In Gedanken bin ich beim Opfer. Sie wurde ermordet, weil sie eine Frau war und ein eigenständiges Leben wollte.“
Die Grüne Abgeordnetenhauskandidatin Bahar Haghanipour sagte der taz, dass es neben Beratungsangeboten für potentielle Opfer auch Täterarbeit brauche: „Viele haben nicht im Blick, dass auch aufgearbeitet werden muss, wie Männer eigentlich auf die Idee kommen, dass es ihnen zusteht, über eine Frau zu bestimmen“, sagt Haghanipour. Mittlerweile gebe auch Anlaufstellen für Täterarbeit, bei denen sich Männer melden können, die merken, dass sie Täter sind, sich nicht unter Kontrolle haben und etwas dagegen tun wollen. Dort gebe es dann eine nicht-stigmatisierende Beratung von Spezialist*innen.
Bei Morden, die von den Behörden als „Ehrenmorde“ eingestuft werden, schwingen schnell rassistische Diskurse mit. „Ehrenmorde in westlichen Großstädten, meist begangen von Personen mit Migrationshintergrund, erregen öffentliches Aufsehen. Die Wurzeln dieser Tat aber liegen in ländlichen Gegenden mit einer eher archaisch-patriarchalen Sozialstruktur“, schreibt dagegen etwa die Soziologin Ayfer Yazgan, die sich in ihrem Buch „Mord ohne Ehre“ ausführlich mit dem Phänomen beschäftigt hat.
Sie beschreibt sogenannte „Ehrenmorde“ als „Tötungsdelikt, die als Tatmotiv die Wiederherstellung der Familenehre haben, die infolge des als unehrenhaft beurteilten Verhaltens des Opfer verletzt wurde“. Feministische Organisationen setzen sich schon seit längerem dafür ein, im Zusammenhang mit patriarchaler Gewalt gegenüber Frauen von „Femiziden“ zu sprechen. Gleichwohl werden auch Männer Opfer von Morden zur Wiederherstellung einer vermeintlichen „Familienehre“.
12 Fälle pro Jahr
Das Bundeskriminalamt schätzt in einer Studie, dass es circa 12 Morde pro Jahr gibt, die ihrer Definition nach als „Ehrenmord“ einzuordnen seien. Angesichts der Zahl von 700 Menschen, die jährlich getötet würden, „ein quantitativ seltenes Ereignis“.
Medial sind Morde dieser Art hingegen überrepräsentiert: In der öffentlichen Debatte wird häufig ignoriert, dass auch Deutsche Männer häufig Frauen töten. Allerdings schlagen diese Fälle, medial häufig verharmlost als „Beziehungsdrama“, weitaus weniger Wellen, als wenn Täter*innen als nicht-deutsch gelesen werden.
Eine quantitative Untersuchung der Rechtswissenschaftlerin Julia Kasselt und des Soziologen Dietrich Oberwittler von 63 Fällen in Deutschland zwischen 1995 und 2005 kommt zu dem Schluss, dass diese Taten hauptsächlich von Migrant*innen aus der ersten Einwanderergeneration begangen wurden – bei Menschen, deren Familie seit mehreren Generationen in Deutschland leben, existiere das Phänomen kaum. Die deutsche Justiz bestraft laut der Studie als „Ehrenmord“ wahrgenommene Taten härter als andere Femizide.
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