Fehlender Lernstoff wegen Corona: Sitzenbleiben leicht gemacht
Coronabedingt sollen Eltern in Berlin alleine entscheiden dürfen, ob ihr Kind ein Jahr wiederholt. Schulleiterverbände warnen vor überfüllten Klassen.
Wenn die Eltern selbstständig entscheiden können, ob ihr Kind eine Klasse wiederholen soll, sei Personalplanung für das kommende Schuljahr unmöglich. Ein „hohes Risiko übervoller Klassen“ und fehlender Räume sei damit absehbar.
Die Koalition will an diesem Donnerstag im Abgeordnetenhaus einige coronabedingte Änderungen am Schulgesetz beschließen. Dazu gehört die diesjährige Aussetzung der Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss, die Verlängerung des Probejahrs an Gymnasien sowie Erleichterungen für Abiturient*innen beziehungsweise Oberstufenschüler*innen.
Zu dieser Liste war kurzfristig auf Initiative von Linken und Grünen das „freiwillige Sitzenbleiben“ gekommen. Bisher müssen Eltern eine Wiederholung der Klasse bei der Schule ihres Kindes beantragen, die Entscheidung fällt die Schulkonferenz. Nun soll es zwar ein verpflichtendes Beratungsgespräch geben, die Entscheidung soll aber allein bei den Eltern liegen.
„Mit der Änderung geben wir Schüler*innen, die in besonderem Maße unter Corona gelitten haben, etwas an die Hand“, sagte die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Regina Kittler, am Dienstag der taz. Es gehe um Kinder und Jugendliche, die besonders viel Stoff verpasst haben, etwa weil sie mehrfach in Quarantäne waren oder ihre Lehrer ständig ausgefallen sind.
Kittlers Kollegin von der SPD, Maja Lasic, ergänzte, wenn Eltern große Sorgen hätten wegen des vielen Homeschoolings, sollten sie selbst entscheiden können, „was im Sinne ihrer Kinder ist“.
Sturm im Wasserglas?
Beide Bildungspolitikerinnen erklärten, sie könnten die Sorge der Schulleiter*innen vor massenhaften Wiederholer*innen nicht nachvollziehen. „Das ist ein Sturm im Wasserglas“, sagte Kittler. Eine solche Möglichkeit würden doch nur jene in Anspruch nehmen, die „über die Maßen beeinträchtigt sind“, zumal im Beratungsgespräch sicher viele Eltern von diesem Schritt wieder abgebracht werden könnten. Auch Lasic meinte: „Niemand in den Familien wird sich die Entscheidung leicht machen.“
Miriam Pech von der Vereinigung der Berliner ISS Schulleiterinnen und Schulleiter (BISS) und Leiterin der Heinz-Brandt-Schule in Weißensee, eine der Unterzeichner*innen, befürchtet dagegen sehr wohl, dass es überfüllte Klassen geben wird. Bislang entschieden die Schulkonferenzen bei Rückstellungsanträgen nach pädagogischem Ermessen, das heißt zumeist unter sozialen Aspekten eher für einen Verbleib in der Klasse.
Wenn diese Entscheidung jetzt den Eltern obliege, die nach einem Jahr Pandemie und Homeschooling durchaus berechtigt Angst um die erfolgreiche Schullaufbahn ihrer Kinder haben könnten, vor allem bei solchen an den Übergängen zur Sekundarstufe I und II, seien deutlich mehr Rückstellungen zu erwarten. „Und wohin sollen wir dann mit den Kindern? An unserer Schule platzen wir jetzt schon aus allen Nähten!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja