Far Cry 4 und Bertolt Brecht: Die Mechanik der Massentötung
Wer das neue Far Cry 4 spielt, lebt die repetitive Ödnis seines Daseins lediglich vor anderer Kulisse aus. Ein Effekt, den bereits Bertolt Brecht kannte.
Shooter haben einen schlechten Ruf. Immer wieder wird beklagt, die Ballerspiele würden zu menschenverachtendem Zynismus verleiten und trügen so zur Verrohung der Jugend bei. Als wenn die noch Hilfe dazu bräuchte.
Die Spielereihe Far Cry, die nach zehn Jahren mit dem inzwischen vierten Teil erschienen ist, gilt gemeinhin als besonders aufwändig produziertes Beispiel des Genres. Eine beeindruckende Szenerie, eine Vielzahl an bereitgestellten Waffen und Fortbewegungsmitteln wird geboten. Dazu kommt eine Handhabung, bei der das stundenlange virtuelle Gemetzel keine gichtartigen Schmerzen in den Fingern verursacht.
Besonders stolz waren die Entwickler schon beim dritten Teil auf den komplexen Plot, eine Geschichte, die durchaus Spannung erzeugen konnte und überraschende Wendungen anbot. Leider lebte das Spiel auch von einer Menge unterschwelligem Rassismus und einer Frauenfeindlichkeit, die nur grotesk genannt werden kann – so viel zum verrohenden Charakter. Der genretypisch hohe Bodycount fiel denn auch gar nicht mehr so schwer ins Gewicht, als es daran ging, sich dem Spiel mit Moral und Kritik anzunähern.
Bei Far Cry 4 nun gingen die Entwickler etwas feinfühliger vor. Selbstverständlich nicht in Bezug auf die Spielpraxis, möglichst viele Gegner umzubringen. Eine starke Frauenrolle gibt es immerhin, die Kommandantin der Guerillagruppe „Goldener Pfad“ ist, im an Nepal angelehnten Fantasiestaat Kyrat. In malerischen Hochgebirgslandschaften kämpft sich dort die Ich-Figur Ajay an den Punkt, an dem er die Asche seiner kürzlich verstorbenen Mutter in spirituell angemessener Weise verstreuen kann.
Kleine Plotelement
Das ist schwerer, als man glauben mag, denn Kyrat wird beherrscht vom exzentrischen Tyrannen Pagan Min – und der hat ein besonderes Interesse an dem jungen Ajay, dessen Vater einst den „Goldenen Pfad“ gegründet hatte, und dessen Mutter … aber halt, zu viel soll nicht verraten werden. Vor allem, weil die Geschichte nicht wirklich an den Vorgänger heranreicht. Jeder Spoiler würde die Freude an der ohnehin schon dünnen Handlung kräftig schmälern.
Jedes noch so kleine Plotelement wird dankbar aufgenommen, zur Erbauung zwischen Mordbrennerei und der Besteigung von Aussichtstürmen zum Zwecke der schrittweisen Freischaltung der bespielbaren Landkarte. Letzteres ist ein Spielelement, das einem übrigens schon in Far Cry 3 den letzten Nerv rauben konnte.
„Als ich wiederkehrte / War mein Haar noch nicht grau / Da war ich froh. // Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.“
Dass die Ebenen aus diesem Epigramm Bertolt Brechts, das die Freude des überlebenden Heimkehrers nach Flucht und Krieg mit dem Blick auf den eher ermüdenden Charakter der kommenden Aufgaben verknüpft, in Far Cry 4 ausgerechnet im Himalaja liegen, ist ein müder Kalauer. Die repetitive Ödnis des Daseins schert sich eben nicht um die Kulisse. Große Siege sind selten, selbst große Kämpfe eher die Ausnahme.
Alltag reproduzieren
Insofern ist die Spielmechanik durchaus realistisch. Aufgaben sind zu erledigen, Ziele zu erreichen, und das alles letztendlich ohne erkennbaren tieferen Sinn. Die Asche der Mutter gerät in den zig Stunden Gameplay über all die Schießerei und das Rumgeklettere ohne weiteres in Vergessenheit. Die Belohnungen für die Kills sind derweil Erfahrungspunkte, die der Spielfigur neue Fähigkeiten verschaffen. Der Guerillakrieg wird so zum Lehrberuf, der virtuelle Mord zur Prüfungsleistung. Und um Geld muss man sich auch die ganze Zeit kümmern. Waffen und Munition wollen schließlich bezahlt werden.
Auch die Produkte der Kulturindustrie können anscheinend nur in extrem wenigen Fällen anders, als, wenn auch verzerrt, einen Alltag zu reproduzieren, und damit gar nicht anders, als Teil desselben zu werden. Das gilt für Filme, Bücher, das Fernsehen und auch für Computerspiele. Die bisweilen dort dargestellte Gewalt ist nicht Ausdruck der Verrohung, sondern einer unfassbaren, alles durchdringenden Langeweile.
Und so wie Brecht jeder Tag dem anderen gleichen mochte, nachdem der Dramatiker sein Theater am Schiffbauerdamm eben nur einmal mit großem Tamtam gründen konnte, dann aber ganz bürgerlich verwalten musste, so wird auch die Wiederholung des selben Spielprinzips in Far Cry zur Last. Geiseln befreien, Gegner töten, Kartenabschnitte freischalten. Geiseln befreien, Gegner töten, Kartenabschnitte freischalten. Das alles ist schon sehr authentisch und unmittelbar, nur eben anders als gedacht. Man könnte genauso gut versuchen, sich mit dem Befüllen einer Excel-Tabelle Ablenkung vom Alltagstrott zu verschaffen.
Die Herausforderung, am Leben zu bleiben
Die Mühen der Ebene: Das ist die Herausforderung, am Leben zu bleiben; zu ertragen, dass nicht jeden Tag ein Gipfel bestiegen werden kann. Dazu gehört natürlich auch, Ablenkung zu suchen. Nicht unbedingt als Ajay im Himalaja, aber wenn’s hilft.
Das Gemeine an diesem Versuch, der Langeweile zu entkommen, ist doch, dass die serielle Abbildung von Handlungen, die normalerweise den Alltag sprengen würden, wie zum Beispiel das massenhafte Töten von Menschen in Far Cry 4, kaum zum gewünschten Ergebnis führen kann. Die mechanische Ausführung überlagert das unerhörte der Handlung selbst, sie wird alltäglich. So funktioniert eher Pornografie, nicht aber Kunst.
Diese schwache Simulation eines Gebirges wird vom Spieler zwangsläufig durchschaut. So ist es eine Frage seiner sonstigen Konditionierung und Interessen, ob die Lösung der Prüfungsaufgaben als spannend genug empfunden wird, um dabei zu bleiben. Jeder Shooter hat letztlich mehr mit einem gewöhnlichen Puzzle gemein als mit einem Amoklauf.
Warum also soll man sich die Mühe machen, ein Gebirge, das keines ist, zu besteigen? Diese Frage haben sich die Entwickler offensichtlich auch gestellt und erstaunlich eindeutig beantwortet: Man muss überhaupt nicht. In einem bemerkenswerten Akt der Selbstironie bietet Far Cry 4 die Möglichkeit, gleich in den erste Minuten des Spiels, die am selben Ort wie sein Ende stattfinden, die gesamte Handlung zu überspringen.
Einfach sitzen bleiben
Statt getrieben von den dramatischen Ereignissen vom Tisch des Tyrannen aufzuspringen und mit den Kämpfern des „Golden Pfades“ in die Berge zu fliehen, kann Ajay auch einfach sitzen bleiben. Pagan Min muss noch kurz jemanden im Keller foltern, kommt dann aber erfrischt zurück, löst das Puzzle und führt den Gast an einen Ort, wo er die Asche der Mutter lassen kann: Happy End.
So einfach kann es manchmal sein: zehn Minuten Geduld, still sitzen, Klappe halten, abwarten. Und schon spart man sich das ganze „Drama, Baby!“. Keine Toten, keine Türme, kein Trara. Wenn das mal keine Lektion fürs Leben ist. Egal ob im Gebirge oder der Ebene.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen