Familiennachzug aus Afghanistan: Deutschpflicht bleibt
Beim Familiennachzug aus Afghanistan verzichtet die Bundesregierung nun auf Sprachzertifikate. Trotzdem sollen alle vorher Deutsch lernen.
Lernen kann jede oder jeder auf seine beziehungsweise ihre Weise, an einer Sprachschule, in Onlinekursen, mit Partner*in oder im Selbststudium. Bisher aber war es zwingend, dass das Sprachzertifikat an einem Goethe-Institut abgelegt werden muss, etwa in Indien, Pakistan oder Usbekistan – das Goethe-Institut in Afghanistan ist seit 2017 geschlossen.
Zusätzlich erschwert wird die Antragstellung, weil auch die Konsularabteilung an der Deutschen Botschaft in Kabul 2017 nach einem Bombenanschlag geschlossen wurde, nach der Machtergreifung der Taliban ist die ganze Botschaft zu. Visa-Antragsteller*innen mussten und müssen nach Neu Delhi oder Islamabad reisen, die Wartezeiten für einen Termin liegen in der Regel bei mindestens einem Jahr. Vielfach dauert es Jahre, bis ein Visum erteilt wird – wenn überhaupt. Und auch wenn Gatte oder Gattin Deutsche*r ist.
Deutschkenntnisse anders glaubhaft machen
In ihrer Antwort an Akbulut schreibt AA-Staatssekretärin Antje Leendertse jetzt, die Bundesregierung gehe „vorbehaltlich einer grundsätzlich erforderlichen Bewertung jedes Einzelfalls“ davon aus, dass für Menschen mit Wohnsitz oder dauerhaftem Aufenthaltsort in Afghanistan eine sogenannte A-1-Prüfung – gemeint ist damit ein Nachweis über einfache Sprachkenntnisse – „derzeit grundsätzlich weder möglich noch zumutbar ist“. Weiter heißt es: „Hinreichende Sprachkenntnisse können im Rahmen des Visaverfahrens daher alternativ glaubhaft gemacht werden.“ Wie genau das umgesetzt werden soll, geht aus der Regierungsantwort nicht hervor – eine Anfrage der taz dazu an das Auswärtige Amt blieb zunächst unbeantwortet.
Ende August war aus dem AA auf Anfrage betont worden, „dass für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug grundsätzlich auch der Nachweis von einfachen Deutschkenntnissen erforderlich ist“. Damals bestand die Behörde noch darauf, dass dieser „in der Regel“ durch Vorlage eines „Zertifikats eines anerkannten Sprachinstituts“ wie des Goethe-Instituts erfolgen müsse. Ermessensregelungen etwa im Aufenthaltsgesetz oder im Visumhandbuch des Auswärtigen Amts wurden in den deutschen Visa-Stellen nach Darstellung der Bundestagsabgeordneten Akbulut in aller Regel nur sehr restriktiv oder gar nicht genutzt.
Die Linken-Politikerin begrüßte es als „wichtige, wenn auch überfällige Klarstellung“, dass auf die Sprachzertifikate des Goethe-Instituts nun künftig verzichtet werden soll. Dass Deutsch aber nicht erst nach Ankunft in Deutschland gelernt werden kann, hält sie unter den Bedingungen der beginnenden Taliban-Herrschaft für unzumutbar und zynisch, wie sie der taz sagte: „Wie sollen insbesondere Frauen in Afghanistan, die vor Sorgen umkommen und kaum noch das Haus verlassen können, sich jetzt auf das Erlernen der deutschen Sprache konzentrieren? Das ist doch so, als ob man Ertrinkende nach ihren Deutschkenntnissen fragen würde, bevor man ihnen einen Rettungsring zuwirft.“ Akbulut fordert vom AA: „Beim Ehegattennachzug aus Afghanistan ist auf Deutsch-Nachweise zu verzichten. Punkt.“
Das Thema betrifft Tausende, mit steigender Tendenz. Im August standen auf den „Terminwartelisten“ für die Vorsprache zur Beantragung des Familiennachzugs 4173 Afghan*innen, 2760 in Islamabad und 1413 in Neu Delhi. Im Mai hatte die Zahl noch bei insgesamt 3017 gelegen. AA-Staatssekretärin Leendertse kündigte an, dass derzeit eine personelle Aufstockung der Visastellen in den Nachbarländern Afghanistans „vorbereitet“ werde. Das mag als gute Nachricht für die Betroffenen gelten. Allerdings hatte Deutschland das Personal in den Konsularabteilungen Islamabad und Neu Delhi in den vergangenen zwei Jahren erst deutlich reduziert und damit das, wie Akbulut es nennt, „Schneckentempo“ bei der Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung erzwungen.
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