Familien mit mehr als zwei Eltern: Alles andere als kompliziert
Statt lesbische Mütter gleichzustellen, wird ihnen eine Beratung aufgedrückt. Besser wäre es, endlich Mehrelternschaft anzuerkennen.
E s wäre ein familienpolitischer Rückschritt sondergleichen: Lesbischen Paaren soll ab 1. Oktober eine Zwangsberatung vorgeschrieben werden, wenn sie beide rechtlich die Mütter ihrer in der Ehe oder Lebenspartnerschaft geborenen Kinder sein wollen. So hat das der Bundestag Ende Mai im sogenannten Adoptionshilfegesetz beschlossen. Durchgedrückt hat diese Familienverhinderungspolitik die CDU/CSU, die sich gern als Familienpartei geriert.
Zwar hat der Bundesrat, in dem die Große Koalition anders als im Bundestag keine Mehrheit hat, die Reform Anfang Juli erst mal gestoppt. Doch vom Tisch ist der Unsinn noch lange nicht. Familienminsiterin Franziska Giffey (SPD) hat bereits einen neurn Anlauf angekündigt.
Dabei werden homosexuellen Paaren schon jetzt unnötige Hürden in den Weg gelegt. Zwar wurden sie 2017 durch die Ehe für alle mit Heterosexuellen gleichgestellt. Anders als diese werden sie dennoch nicht automatisch beide als Eltern registriert, wenn eine von ihnen ein Kind bekommt. Dafür ist immer noch eine langwierige Stiefkindadoption notwendig. Sie muss vor Gericht durchgefochten werden. Ohne Zustimmung des Jugendamts geht gar nichts.
Und jetzt soll auch noch die Zwangsberatung durch eine Adoptionsvermittlungstelle obendrauf kommen. Als ob hier noch irgendwer irgendwem vermittelt werden müsste.
Der Autor ist Leiter des taz-Ressorts Regie, das für die zentrale Themenplanung zuständig ist. Er hat drei Kinder, eins davon sozial, zwei auch biologisch. Zudem hat ein befreundetes lesbisches Paar dank seiner Hilfe zwei Kinder.
Familienministerin Giffey hatte im Bundesrat mit dem irren Argument um Zustimmung gebeten, dass die Adoption bei lesbischen Paaren künftig wegfallen soll. Dafür hatte tatsächlich schon vor über einem Jahr die damalige Justizministerin Katarina Barley (SPD) einen Gesetzentwurf zur Diskussion gestellt, laut dem künftig bei lesbischen Ehepaaren automatisch beide Mütter werden. Eine super Sache. Doch der Entwurf steckt nicht nur wegen der Widerstände aus der Union fest. Er zeigt auch, wie schwer sich selbst fortschrittlich Denkende tun, wenn es um die Akzeptanz von Regenbogenfamilien geht.
Das unantastbare Zwei-Eltern-Prinzip
Das Problem zeigt sich in einem zentralen Satz aus dem Justizministerium: Am sogenannten Zwei-Eltern-Prinzip, heißt es dort, solle festgehalten werden. Zwar wird zur Kenntnis genommen, dass durch Samen- oder Eizellenspende oder gar durch die in Deutschland verbotene Leihmutterschaft offensichtlich mindestens eine dritte Person an der Werdung des Kindes beteiligt war. Eine rechtliche Beteiligung von Dritten an der Elternschaft aber wird definitiv ausgeschlossen. Einzige Begründung dafür: Solche Konstellationen würden zu kompliziert.
Nur wem wird es hier eigentlich zu kompliziert? Den Beteiligten, die sich ja in der Regel deutlich bewusster für dieses komplexe Familiengebilde entscheiden müssen, als es bei Heteros je nötig ist? Oder doch nur den konservativen FamilienpolitikerInnen, denen der Vorstellungswille fehlt?
Das Festhalten am Zwei-Eltern-Prinzip führt zu unübersehbaren Widersprüchen. Während bei Lesben dank der Liberalisierung der biologische Vater ohne Weiteres aus der Verantwortung gekickt werden könnte, bliebe gleichberechtigte Vaterschaft bei Schwulen weiterhin ausgeschlossen. Denn die Gebärende soll ohne Wenn und Aber auch rechtlich Mutter bleiben. Für zwei gleichgestellte Väter bleibt somit gar kein Platz.
Verzichtbarer Vater, heilige Mutter
Es ist geradezu erschütternd, wie die konservativen Gesellschaftsbilder vom abwesenden, ja offenbar gar verzichtbaren Vater hier und der heiligen, unabdingbaren Mutter dort in modernem Familienrecht zementiert werden sollen.
Dabei gibt es längst unzählige Familien mit zwei, drei, vielen Eltern. Doch der Staat stellt sich ihnen mit seiner Regelungswut in den Weg, anstatt die gelebten Realitäten anzuerkennen – und Mehr-Eltern-Familien zuzulassen.
Aber würde andererseits eine solche Öffnung nicht die Rechte lesbischer Paare wieder schmälern, weil sie den Vater beteiligen müssten? Müsste der Staat sich nicht noch mehr einmischen, weil er in jedem Einzelfall über das Recht auf Mitelternschaft entscheiden müsste? Und überhaupt: Würde es nicht tatsächlich alles sehr kompliziert?
Nein, nein und nein. Im Gegenteil könnte alles sehr einfach sein – wenn man die Definition der jeweiligen Familie genau denen überließe, die daran beteiligt sind. Die wissen selbst am besten Bescheid, wie sie es gern hätten.
Bei heterosexuellen Paaren ist das längst gängige Praxis. Sie definieren sich entweder durch Heirat als Familie und damit auch als Eltern der später geborenen Kinder. Oder sie erklären sich selbst zu rechtlichen Eltern durch die Vaterschaftsanerkennung beim Jugendamt. In beiden Fällen reichen ein „Ja, ich will“ – und eine Unterschrift. Die biologische Verwandtschaft mit dem Kind hingegen spielt keine Rolle. Sie wird weder abgefragt noch nachgeprüft. Zum Glück.
Eine überfällige Gleichstellung
Übertragen auf homosexuelle Paare hieße das: Wenn zwei miteinander verheiratete Menschen ein Kind bekommen, sind beide rechtliche Eltern. Punkt. Und wenn noch ein Dritter – oder eine Vierte, wie es bei der Koelternschaft von lesbischen und schwulen Paaren nicht unüblich ist – hinzukommen will, dann erklärt man die erweiterte Elternschaft vor dem Jugendamt. Fertig. Das wäre die überfällige Gleichstellung sämtlicher Familienformen.
Was das in der Praxis bedeutet? Welche Rolle die rechtlichen Väter und Mütter für die Kinder genau spielen? Wer wann für wen da ist? Das müssen die Eltern selbst herausfinden. Ganz so, wie heterosexuelle Eltern auch. Staatlicher Regelungsbedarf darüber hinaus ist nur in einem Punkt vorstellbar: bei der Ermöglichung einer abgestuften oder stellvertretenden Elternschaft.
Von dem sogenannten „kleinen Sorgerecht“, wie es jüngst wieder die Grünen forderten, würden nicht nur Regenbogen-, sondern auch die Patchworkfamilien profitieren, etwa wenn Beteiligte die Möglichkeit bekämen, im Notfall als Elternteil nachzurücken. Weil es dann tatsächlich etwas zu entscheiden gäbe, könnte sogar ein Beratungsprogramm Sinn ergeben. Aber natürlich als Angebot und nicht als Zwang, wie es jetzt für lesbische Mütter geplant ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“