Falschberichte in Spanien: Fakes gegen Podemos
2016 verbreiteten spanische Medien Vorwürfe der illegalen Parteifinanzierung gegen Podemos. Jetzt zeigen Aufnahmen, dass sie konstruiert waren.
„Ich sagte ihm: ‚Eduardo, das ist eine ernste Sache, ich bring das, aber das ist sehr heikel und es ist zu plump‘“, ist Antonio García Ferreras, der Moderator der Sendung „Al Rojo Vivo“ („Glühend heiß“), zu hören. Der Chef des beliebten Nachrichtenmagazins beim TV-Sender La Sexta unterhält sich mit dem ehemaligen Kommissar José Manuel Villarejo, der wohl für den Mitschnitt verantwortlich ist.
Villarejo erklärt, dass die Nachricht, um die es geht, von der Polizei konstruiert wurde. Demnach unterhalte Pablo Iglesias ein Konto auf den Namen seiner Mutter im Steuerparadies Granadinas. Der Präsident Venezuelas, Nicolás Maduro, habe 272.000 Dollar einbezahlt.
Ferreras wiederum kam an diese vermeintliche Exlusivstory über einen anderen Kollegen, eben jenen Eduardo Inda, Herausgeber der Nachrichtenseite Okdiario und jeden Samstagabend Teilnehmer der wichtigsten Talkshow bei La Sexta. Ferreras brachte die Nachricht tatsächlich am 6. Mai 2016. Kaum veröffentlicht, sprangen so gut wie alle Sender und die meisten Zeitungen drauf. Tagelang gab es kein anderes Thema, auch dann nicht, als die Bank, auf der Iglesias angeblich das Konto unterhielt, die Nachricht dementierte.
Innenministerium und kleine Gruppe von Polizisten
Der Zeitpunkt der Falschnachricht kam nicht von ungefähr. Die 2014 gegründete Podemos erhielt mit ihrer Politik gegen Korruption und EU-Sparpolitik auf Anhieb fünf EU-Abgeordnete. Im Frühjahr 2016, nur zwei Monate vor den spanischen Parlamentswahlen, lagen sie bei verschiedenen Umfragen auf Platz zwei und eins. Die Schmutzkampagne begann.
Das Innenministerium der Regierung unter Mariano Rajoy von der konservativen Partido Popular (PP) konstruierte mit einer kleinen Gruppe von Polizisten, der sogenannten „patriotischen Polizei“, Vorwürfe gegen Podemos. Bereits zuvor wurde, ebenfalls über Indas Okdiario, eine Ermittlungsakte mit dem Titel PISA, zu deutsch „Pablo Iglesias Aktiengesellschaft“, veröffentlicht. Auch dort ging es um angebliche Zahlungen aus Venezuela und dem Iran. Ein Verfahren wurde später eingestellt.
Letztendlich landete Podemos auf Platz drei und die PP regierte weiter. „Was sie gegen uns gemacht haben, kennt keinen Namen“, beschwert sich Iglesias, der schließlich 2020 Vizeregierungschef in einer Koalition mit den Sozialisten wurde. „Wie kannst du eine Information verbreiten, wenn du denkst, das sie eine Lüge ist? Ist das Journalismus?“, fragt er. Moderator Ferreras sieht darin bis heute kein Problem. Er habe Iglesias die Möglichkeit gegeben, sich zu erklären. Iglesias erinnert sich: „Antonio, hältst du es wirklich für wahrscheinlich, das ich ein Konto auf den Namen meiner Mutter unterhalte und Maduro mir Geld überweist?“, habe er gefragt.
„Natürlich nicht, aber ich bringe das, und meine Arbeit als Journalist besteht darin, dich nach deiner Version zu fragen“, entgegnete Ferreras. Der ehemalige Kommissar Villarejo wiederum konstruierte nicht nur gegen Iglesias falsche Vorwürfe wie etwa vermeintliche Kontakte nach Kuba und zu der baskischen ETA, sondern auch gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien. Und er ließ Beweise über die illegale Finanzierung der PP verschwinden. Als Rentner bot er seine Dienste Unternehmern an. Dabei ging er wohl zu weit. Seit 2017 sitzt er in Haft. Verfahren unter anderem wegen Geldwäsche und Erpressung laufen. Seither tauchen immer mehr seiner Tonmitschnitte auf.
Bitterkeit auf der Linken, Hahnenkämpfe unter Journalisten
„Nachrichten zu veröffentlichen, wenn klar ist, dass sie falsch sind, beschädigt die Demokratie“, erklärt Àngels Barceló, Chefin des Morgenprogramms des meistgehörten spanischen Radiosenders Cadena Ser. Auch ihr Sender verbreitete die falschen Informationen. Auf der Internetseite ist bis heute die vollständige „Ermittlungsakte PISA“ zu finden, ohne Vermerk, dass es sich um einen Fake handelt.
Enric Juliana, stellvertretender Direktor der Tageszeitung La Vanguardia aus Barcelona, war einer der wenigen, die 2016 vor falschen Anschuldigungen gegen Podemos warnten. Er schreibt: „Der ‚Villarejo-Effekt‘ wird letztendlich für die PP von Vorteil sein: Bitterkeit auf der Linken, Hahnenkämpfe unter Journalisten, Beleidigungen in den Netzwerken.“ All das würde „bei Menschen, die sich nicht ständig für Politik interessieren“, einen größeren „Wunsch nach einer ‚Partei der Ordnung‘ entstehen“ lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste