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Fake News im BundestagswahlkampfIm Fadenkreuz

Eine Plattform hat den laufenden Bundestagswahlkampf auf Fake News untersucht. Häufigstes Ziel solcher Attacken: Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock.

Wird oft angefeindet: Annalena Baerbock Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | WahlkämpferInnen der Grünen wiesen schon vor Monaten auf Fake News in sozialen Netzwerken hin, die auf Annalena Baerbock zielten. So kursierten vermeintliche Nacktbilder Baerbocks im Netz, die in Wirklichkeit nicht sie zeigten, sondern ein russisches Model. Auch falsche Zitate machten die Runde. Im April verbreitete sich ein Screen­shot eines Fake-Zitats von Baerbock auf Facebook. Demnach habe sie ein Ende der privaten Tierhaltung gefordert, weil etwa Hunde viel CO2 verursachen würden. Völliger Unsinn, der aber vielfach geteilt wurde.

Wir stellen immer wieder fest, dass Frauen viel heftiger angegriffen werden als Männer

Michael Kellner, Die Grünen

Die Bewegungsplattform Avaaz hat am Montag einen Report zu Desinformation im aktuellen Bundestagswahlkampf vorgelegt. Er analysiert Fake News in sozialen Netzwerken, geht aber auch der Frage nach, wie sie von seriösen Medien aufgegriffen und verstärkt werden. Als Grundlage dienten 800 Faktenprüfungen, die vom 1. Januar bis zum 31. August von unabhängigen Factcheckern veröffentlicht wurden – nämlich von den Nachrichtenagenturen dpa und AFP und dem Recherchekollektiv Correctiv.

Ein großer Teil der Falschnachrichten beziehe sich auf das Coronavirus, heißt es in dem Avaaz-Report, der der taz vorliegt. Jenseits dessen habe man aber 85 Desinformations-Narrative zu unterschiedlichen Themen ausmachen können, die auf PolitikerInnen abzielten. Das wichtigste Ergebnis: Annalena Baerbock sei von allen deutschen PolitikerInnen das Hauptziel der Fake-News-Attacken. 25 Prozent der Desinformations-Narrative beträfen die Grünen-Kanzlerkandidatin. „Sie liegt damit mit großem Abstand auf Platz 1“, so der Report. Dahinter folge Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit 13 Prozent und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet mit 10 Prozent.

Betrachtet man die PolitikerInnen nach Parteizugehörigkeit, sind die Grünen mit 46 Prozent am meisten von Desinformation betroffen. Dann folgen PolitikerInnen von CDU/CSU (32 Prozent) und SPD (19 Prozent). Nur 2 Prozent der Desinformations-Narrative aus dem Datensatz beziehen sich auf PolitikerInnen der Linkspartei, nur ein einziges auf einen Politiker der AfD. Es sind also vor allem PolitikerInnen der Mitte von Fake News betroffen, VertreterInnen der politischen Ränder kaum.

Offenbar besonders verhasst

Bemerkenswert bei Annalena Baer­bocks Spitzenplatz ist, dass sie erst Mitte April als Kanzlerkandidatin nominiert wurde. Sie steht also – verglichen etwa mit Merkel – erst seit ein paar Monaten im Rampenlicht, hat aber in dieser kurzen Zeit alle anderen PolitikerInnen bei der Betroffenheit von Fake News überholt. Die Grünen sind mit ihrer proeuropäischen Klimaschutz­agenda und ihrer kritischen Haltung zu Putins Russland oder zu China offenbar besonders verhasst bei Leuten, die auf Desinformation setzen.

„Wir beobachten Fake News und Hasskampagnen seit langer Zeit im Netz“, sagte Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Montag der taz. „Dabei stellen wir immer wieder fest, dass Frauen viel heftiger und stärker angegriffen werden als Männer.“ Die Angriffe auf Baer­bock seien dabei nur die prominentesten Beispiele. Seit ihrer Nominierung hätten gefälschte Zitate und gefakte Bilder „nochmal einen wahnsinnigen Schub bekommen“, sagte Kellner.

Deutlicher Grünen-Fokus

Noch deutlicher wird der Grünen-Fokus, wenn man nur die Desinformations-Narrative betrachtet, die sich auf die drei KanzlerkandidatInnen beziehen. Hier liegt Annalena Baerbock laut Avaaz klar vorn mit 71 Prozent, dann kommt Armin Laschet mit 29 Prozent. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist interessanterweise von keinem einzigen der Narrative betroffen, die Avaaz untersucht hat. Vielleicht kam sein Höhenflug, der sich in den Umfragen erst Ende Juli bemerkbar machte, zu spät für Fake-News-Attacken.

Jene dürften durchaus Wirkung bei WählerInnen entfalten. 56 Prozent der Erwachsenen in Deutschland, also mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten, haben mindestens eine Falschnachricht über Baerbock gesehen. Das ergabe eine von Avaaz bei YouGov Deutschland in Auftrag gegebene, repräsentative Umfrage. Als wichtigste Kanäle, auf denen die Infos gesehen wurde, nannten die Befragten das Fernsehen und Mainstream-Medien wie Zeitungen. Auf Platz 3 folgte Facebook. Zwei Drittel der Befragten schätzten Desinformationskampagnen als Gefahr für die Bundestagswahl ein.

In seriöser Presse

Dabei schwappen Fake News oft auch in die seriöse Presse hinüber. Die Stuttgarter Nachrichten berichteten etwa am 22. April über das frei erfundene Zitat zum Haustierverbot. Überschrift über einem Foto von Baerbock: „Fordert die Kanzlerkandidatin wirklich ein Haustierverbot?“ Für die LeserInnen wurde nicht von Anfang an deutlich, dass es sich um eine Falschnachricht handelt – obwohl der Text später korrekt darauf hinwies. Die Website Der Westen veröffentlichte am 29. April einen Artikel mit der Überschrift: „Annalena Baerbock: Hasst sie wirklich Hunde? Zitat macht die Runde – das steckt wirklich dahinter“. Erneut wird im Titel nicht deutlich, dass es sich um ein erfundenes Zitat handelt.

„Desinformation hat auch in Deutschland das Mainstream-Publikum erreicht“, sagte Avaaz-Kampagnendirektor Christoph Schott der taz. „Die Bundesrepublik läuft Gefahr, in die Fußstapfen der USA zu treten, wo Trumps Tweets – ob wahr oder falsch – von den Mainstream-Medien weit verbreitet wurden.“ Die Antwort sei Qualitätsjournalismus, betonte Schott. „Nicht zu jeder kleinen Falschnachricht muss eine Titelstory geschrieben werden, und ob aus ‚Baerbocks Lebenslauf‘ das deutsche Pendant zu ‚Hillary’s E-Mails‘ wird, hängt am Ende auch von der Medienberichterstattung ab.“

Kein Zufallsprodukt

Hillary Clinton hatte als Außenministerin ein privates E-Mail-Konto für dienstliche E-Mails genutzt. Donald Trump schaffte es im US-Wahlkampf 2016, dies zu einem dominierenden Thema zu machen. Seine eigenen Verfehlungen und inhaltliche Themen gerieten in der Berichterstattung der Medien­ ins Hintertreffen. Die amerikanische Mainstream-Presse habe „einen Großteil der Drecksarbeit gemacht“, resümierte später die Washington Post.

Der Grüne Michael Kellner betonte, dass die Angriffe kein Zufallsprodukt seien. „Vielmehr sind sie häufig bewusst gesteuert, aus rechten Kreisen oder auch aus russischen Netzwerken.“ Die Ergebnisse der Avaaz-Untersuchung müssten alle DemokratInnen wachrütteln. Kellner machte deutlich, dass eine denkbare Quelle für Fake News Russland ist. „Die Bundesregierung muss eine klare Haltung gegenüber Russland einnehmen und klar machen, dass Wahlen in Deutschland entschieden werden und nicht über russische Trollarmeen.“ Avaaz ist nach eigenen Angaben eine globale Bürgerbewegung mit mehr als 66 Millionen Mitgliedern, die sich über kleine Spenden einzelner Mitglieder finanziert.

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16 Kommentare

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  • "Mainstream-Presse habe „einen Großteil der Drecksarbeit gemacht“..."

    Ist jetzt durchaus auch so. Ganz ohne Russen. Wer hat denn dafür gesorgt, dass wochenlang fast nur über Lebensläufe und (angebliche) Plagiate statt über Sachthemen berichtet wurde? Und wer redet jetzt gern im Sinne der "Roten Socken" Kampagne? Das waren hauptsächlich die etablierten Medien. Es ist zwar leicht auf die bösen Russen zu zeigen, aber man sollte ihren Einfluss nicht übertreiben.

    Die wirkungsvollste Einmischung in den deutschen Wahlkampf kam bis jetzt aus Österreich.

    Die russischen Aktivitäten gibt es zwar, aber man sollte die Wirkung nicht übertreiben. Putin ist kein Genie.

  • Das Ziel ist Destabilisierung und dieses Ziel haben Russland und die obrigkeitsgläubigen politisch Rechts Stehenden.



    Der Klimawandel kann Demokratien destabilisieren! Deshalb sind Klimaschützer und hier besonders Frauen (Fridays for Future), Ziele.



    Es war absehbar, dass es so kommen könnte, warum sind wir nicht vorbereitet?



    Ist das Teilergebnis, also das Niedermachen der Grünen und des Klimaschutzes, nicht etwa die Destabilidsierung, gerne genommen?

    • @Rainer Konietzka:

      "Deshalb sind Klimaschützer und hier besonders Frauen (Fridays for Future), Ziele."

      Gemäß AVAAZ ist das eine Desinformation.



      Klimaschützer wurden dort vielleicht nicht untersucht (Woher haben Sie die Info) aber die Desinformation bzgl. Politiker zielt auf die Oberste Ebene von CDU GRÜNEN und SPD ab. Insgesamt finden sich dort nicht vermehrt Frauen.

      www.nzz.ch/technol...rmation-ld.1643515

      • @Rudolf Fissner:

        Die Grünen sind Klimaschützer. Außerdem trifft es die Klimaschützer, da der Klimawandel ohne Gegensteuerung ebenfalls destabilisierend wirkt.



        Bei Frauen hatte ich nicht nur an Frau Baerbock gedacht, sondern auch an die Aktivistinnen von FFF, daher der Klammerzusatz.



        Bleiben Sie fokusiert und bei einer erweiterten Sicht!

        • @Rainer Konietzka:

          Ich habe Sie genauso verstanden. Ihre Behauptung deckt sich nur nicht mit den Fakten von AVAAZ und wirkt auch sonst nur einfach mal so als faktenfreie in den Raum gestellte Behauptung.

          Fokussieren Sie sich auf Belege und weniger auf Behauptungen.

  • 85 von 800 beziehen sich _nicht_ auf Corona.

    Da fragt man sich, wie aussagekräftig so eine Untersuchung ist. Da hat man sich evtl einen falschen Zeitpunkt ausgesucht.

    • @Wonneproppen:

      Was glauben Sie hätten sich die übrigen 715 als Thema gesucht, wenn es Corona nicht gäbe?

      • @Rainer Konietzka:

        Kann man viel spekulieren. Aber bleibt Spekulation.

  • > "Die Grünen sind mit ihrer proeuropäischen Klimaschutz­agenda und ihrer kritischen Haltung zu Putins Russland oder zu China offenbar besonders verhasst bei Leuten, die auf Desinformation setzen."

    Solche Desinformationskampagnen haben auch in der Brexit-Diskussion in UK eine sehr grosse Rolle gespielt. Und das ist gar nicht mal soo verwunderlich, da Brexit ja sowohl die UK innenpolitisch und wirtschaftlich, als auch die Europäische Union schwächt.

    Mit dabei benutzt wurden von Firmen wie Cambridge Analytica Personen- und Wählerprofile, die ganz gezielt eingesetzt wurden. Carole Cadwalladr beim Guardian hat einige sehr lesenswerte und ziemlich haarsträubende Berichte dazu geschrieben (z.B. The Great British Brexit Robbery). Andere "Citizen Journalists" wie James Patrick (bylinetimes.com) sprechen von regelrechter "Information Warfare".

    Die Wirkungen ginge so weit, dass altgediente und durchaus sehr konservative Tory-Politiker wie Haseltine, Clarke oder Gauke z.T. auf lokalen Parteiversammlungen buchstäblich als Verräter beschimpft wurden.

    Offensichtlich ist auch, dass solche Taktiken sich mit Propagandamethoden rechtspopulistischer (oder vielleicht auch wirklich rechter) Politiker, die immer wieder gezielt polarisieren und bei komplexen Problemen auf vermeintlich Schuldige weisen, bestens kombinieren. Zur Meisterschaft gebracht hat es ja Trump, aber da gäbe es noch mehr, die man nennen könnte.

    Aber nanu, warum muss ich gerade jetzt an die "Querdenker" denken? Ist die Frage legitim, ob es da gezielte Desinformation gibt? Und wenn ja, welchen Zwecken sollte sie dienen?

  • Gute Wahlentscheidungshilfe!



    Eine Person, über die soviel Negatives erlogen werden muss, kann nicht allzu (auf jeden Fall aus Sicht des Gegners nicht genug) viel falsch gemacht haben.

    • @Hamlett:

      Dann wählen Sie jetzt CDU und die Grünen?



      Die Linke und die SPD sitzt bei Ihnen im Abseits?

  • Nicht neu zwar, aber immer noch entzückend: die Rechten als fünfte Kolonne Moskaus :-D

    • @tomás zerolo:

      Faszinierend an den Querdenkern auch, wie gut sie den Habitus und den Style der Alternativbewegung imitieren.

      Oder die Querdenker-nahe Partei "Die Basis": Die benutzen in ihrer Werbung Farbgebung, Style und sogar auch Vokabular der politisch fast diametral entgegengesetzten Piratenpartei. Erzähle mir keiner, das seien keine Profis, die so was konzipieren.

      • @jox:

        Naja, auch diverse antifaschistische Organisationen imitieren rechte Schrift und Sprache. Und seis nur satirisch. Front deutscher Äpfel z.B. oder die Punkpartei Appd (Schrift).

  • Beruht der Höhenflug der SPD also darauf, dass über die keine Falschinformationen im Netz zu finden sind? Gewinnt man Wahlen indem man sich möglichst wenig Feinde macht, also am besten gar nicht auffällt?

    • @efkah:

      Natürlich alle in ein Boot holen, jedem alles versprechen. Klappte schon immer bei der CDU. Blöd nur wenn dann zuviele das durchschauen und merken das sie nur angelogen werden. Kommt bei der SPd auch die sowohl antifaschistisch, wirtschaftshörig, soziale Marktwirtschaftliebend, grün etc. sein wollen. Mal schauen wer am ende gewinnt bei der SPD, ich wette auf das Kapital....und die anderen werden wieder heulen warum wurde x,y nicht umgesetzt.