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Tucholskystraße in Berlin-MitteUnklar, ob die Poller fallen

Der Beschluss des Verwaltungsgericht gegen die Sperre für den Autoverkehr in der Tucholskystraße könnte kurzlebig sein – dank der novellierten StVO.

Freie Fahrt für Autos: die Tucholskystraße vor ein paar Jahren Foto: IMAGO / Jürgen Ritter

Berlin taz | Zwar hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden, dass die Durchfahrtssperren für Autos in der Tucholskystraße in Mitte rechtswidrig angeordnet wurden und abzubauen seien – ob das Bezirksamt das auch tut, bleibt abzuwarten. Denn die Entscheidung, über die das Gericht am Dienstag die Öffentlichkeit informierte, fällt in einen außergewöhnlichen Zeitraum: Wenn in Kürze die novellierte Straßenverkehrsordnung (StVO) in Kraft tritt, könnte die Verkehrsmaßnahme auf einmal doch rechtmäßig sein.

Geklagt hatten AnwohnerInnen und Gewerbetreibende gegen die auf dem Abschnitt zwischen Oranienburger und Torstraße eingerichtete Fahrradstraße, die zusätzlich mit einem Modalfilter – einer diagonalen Pollerreihe – an der Kreuzung mit der Auguststraße ausgestattet wurde. Die Unterbrechung der Auguststraße zwinge sie und ihre KundInnen dazu, Umwege zu fahren, machten sie vor Gericht geltend – Gründe der Verkehrssicherheit gebe es für die Sperre nicht.

Das Bezirksamt, das die Fahrradstraße auf der Grundlage eines Kiezblock-Beschlusses der BVV angeordnet hatte, argumentierte dagegen, es gehe darum, mit der Unterbindung des Durchgangsverkehrs „Gefahrensituationen an Kreuzungspunkten“ zu entschärfen. Das überzeugte die VerwaltungsrichterInnen nicht: Die Verwaltung habe keine „qualifizierte Gefahrenlage“ nachgewiesen, etwa indem sie Verkehrs- oder Unfallzahlen vorgelegt hätte.

Mobilitätsgesetz hilft (noch) nicht

Die Erfüllung des Sicherheitskriteriums ist für die StVO in ihrer geltenden Form unabdingbar. Ausnahmen gibt es für die Anlage von Fahrradstraßen, nicht aber für das Aufstellen von Pollern, die die Durchfahrt verhindern. Auch auf das Berliner Mobilitätsgesetz, dem zufolge Fahrradstraßen und Nebenstraßen so gestaltet werden sollen, dass Durchgangsverkehr unterbleibt, könne sich der Bezirk nicht berufen, so das Gericht – es handele sich dabei um „stadtplanerische Erwägungen“ und Zielvorgaben, die Bundesrecht nicht „überlagern“ könnten.

Allerdings tritt dieser Tage die novellierte StVO in Kraft, die Anfang des Monats den Bundesrat passiert hat. Damit verändert sich das Panorama entscheidend, denn die Neufassung erlaubt die „Bereitstellung angemessener Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr“, was auch mit Zielen wie Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz oder der städtebaulichen Entwicklung begründet werden kann. Auf dieser Grundlage hätte das Gericht die Anordnung wohl nicht als rechtswidrig einstufen können.

Auf die StVO-Novelle und ihre neuen Spielräume verweist auch der grüne Verkehrsstadtrat von Mitte, Christopher Schriner. Den Beschluss des Verwaltungsgerichts respektiere man, schreibt er in einer Pressemitteilung, das Bezirksamt werde aber „in den nächsten zwei Wochen den Beschluss eingehend rechtlich prüfen“. Eine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht könnte folgen. Sollte es dazu kommen, wird sich das OVG mit einer geänderten Rechtslage auseinanderzusetzen haben.

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5 Kommentare

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  • erneut ein städtebauliches Desaster in Berlin - meist immer dann, wenn die "Verwaltung" denkt, fühlt, glaubt, sich vornimmt kreativ zu werden (zu sein) oder zu wiessen wie....

    ZUERST: der Ort (die Kreuzung Tucholsky/Auguststr.) hat Magie gesammelt, Leben, Stadtgefühl, Urbanität aus sich geschaffen - hier wird sich verabredet, getroffen, verabschiedet, geküsst, gegrüßt, umarmt, hier laden Berlinerinnen Leute/Freunde von "Auswärts" ein und hin, hier wird geflirtet, spielen teil sogar Kinder, ist ein HOT SPOT entstanden wo Mütter durchatmen, Freundinnen plaudern, Freunde durchatmen, Seniorinnen genießen, Kunstinteressierte ihre Rundgänge starten - kurz wo eine besondere städtische AURA entstanden ist.

    UND NUN - Poller

    Der Ort ist zerstört, kaputt und nervös (keiner weiß wo wie lang)

    jetzt erst die Kritik: STÄDTEBAU, STADTPLANUNG, STADTENTWICKLUNG muss endlich wieder VORRANG vor Verwaltung, Technokraten und fachfremden haben (!!!)

    und praktisch gern zwei Hinweise: Tempo 20 + Minderung von einigen Parplätzen in die beiden Straßen hinein (vielleicht 30 Meter) + eine schöne Mrkeirung der gesamten Kreuzungsfläche hätte Obiges verstärkt zu einer PIAZZA Tucholsky/August (!!!)

  • Rechtsetzung und Verwaltungsausrichtung haben auch hier starke Auswirkungen.



    Wer heute immer noch einen "Fluss", also Belohnung sogar, von Autoverkehr als Ziel hätte, kommt zu anderen Ergebnissen, als wer auf Menschen blickt.

    Es gibt viele Gründe udn Vorbilder, deutlich mehr auf Rad, Fuß, Bahn und Bus zu setzen als noch auf Wärme und Abgas ausstoßende Einzel-Blechkästen. Dass diese Erkenntnis auch Folgen hat, dafür braucht es Rechts-Reformen und Umdenken in den Verwaltungen.

  • zu dem oberen bild der Tucholskystraße hier ein bild wie es jetzt ausschaut: entwicklungsstadt....ist-abgeschlossen/



    vorbild war wohl der bingolett automat: www.goldserie.de/i...ien/4006-bingolett



    da mache ich echt lieber einen grossen bogen drum, egal mit welchen fahrzeug oder zu fuss.

    • @alterverwalter:

      Ja, sieht nicht sehr einladend aus, aber anders ist es leider nicht zu machen, weil sich ein nicht unerheblicher Teil der motorisierten Verkehrsteilnehmer ansonsten nicht an die Verkehrsregel halten würde. Hat man schön in der Körtestr. beobachten können: Verkehrsschilder wurden ignoriert und erst fest installierte Poller lösten das Problem.

  • Das Ganze erinnert an die Kausa Friedrichstraße. Dort fehlte gleich zwei mal der für eine dauerhafte Sperrung notwendige Gesamtplan.