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Fahrradfahren im AlltagWenn das Rad vor den eigenen Augen geklaut wird

Ist das Rad geklaut, ist der Ärger groß. Aber manchmal hilft es, schnell genug zu rennen – wie in diesem Fall unserer Autorin.

Das Schloss noch da, das Fahhrad weg – haltet den Dieb! Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

V or eineinhalb Jahren schrieb ich hier über Fahrraddiebstähle. Ich hatte nach einer Lesung vor dem leeren Fahrradbügel gestanden und mich wie ein verwirrter Teilnehmer bei „Vorsicht Kamera“ umgeschaut. Wenn mir ein Rad gestohlen wird – vorm Restaurant, vorm Haus oder aus dem Keller –, bin ich immer aufs Neue überrascht. Motto: Das ist mein Fahrrad, ich brauche das jeden Tag. Warum nimmt mir das jemand weg?

Nach dem letzten Diebstahl kaufte ich mir dasselbe Modell erneut. Und war damit letzten Samstag an der Spree auf einer Rasenfläche direkt am videoüberwachten Bauzaun des Bundeskanzleramts. Ich legte meine Decke neben das Rad und machte für zehn Minuten die Augen zu. Als ich sie wieder aufmachte, waren die Ausflugsschiffe noch da, die Spaziergänger an der Promenade, die Mittagssonne – nur mein Rad war weg. Hundert Meter entfernt sah ich es langsam davonfahren.

Ich griff nach meinen Sachen und spurtete los. Mein Rad stoppte, der Sitz wurde heruntergestellt. 80 Meter, 50, 20. Ich rannte. Das Rad fuhr weiter, bog Richtung Hauptstraße ab. „Das holst du nicht ein“, dachte ich keuchend. „Aber du bleibst dran.“ Ich wechselte von Rennen auf Joggen. Sah, wie mein Rad einen Halbkreis beschrieb, plötzlich in meine Richtung kam, einen weiteren Schlenker machte, und fünf Meter an mir vorbeikam.

Sollte ich spurten, springen und schubsen? Also einen Typ in Drogentrance angreifen? Ich schleuderte stattdessen mit Kraft meine Trinkflasche ins Hinterrad und brüllte „Das ist mein Fahrrad!“ Flaneure erschraken. Mein Rad zuckte kurz unter der Flasche. Der Dieb fuhr unberührt weiter.

„Halten Sie ihn an!“, brüllte ich noch einmal, diesmal in Richtung von drei Fußgängern, in deren Richtung mein Rad nun gesteuert wurde. „Der hat mein Rad geklaut!“ Alle drehten sich um. Einer verschwand sofort hinter einer Hausecke. Die anderen beiden blieben auf dem Weg stehen. Der Dieb steuerte auf sie zu. Bremste. Stieg ab. Legte das Rad auf den Boden. Und ging weiter. Ich lief zu Rad und jungem Paar, bedankte mich. Mein Rad hatte nicht einmal verbogene Speichen. Aufgeregt waren wir alle. „Wir wussten nicht, ob der uns einfach überfährt“, meinte die Frau. Ich sah dem Dieb nach. Sollte ich ihm folgen?

Ich erinnerte mich an meine letzte Anzeige: Zwei junge Männer waren mit einem E-Roller über Rot und in meinen radfahrenden Sohn gefahren. Ein Klassiker“, hatte der Polizist gesagt. „Das passiert an der Ecke oft.“ Obwohl ich ein Foto vom Fahrer hatte, wurde niemand ermittelt, die Kreuzung wurde sowieso nicht verändert. Solche Unfälle passieren da halt oft. Und für einen Drogenabhängigen, der mir das Rad aus Armeslänge stahl, würde sich in Berlin auch niemand interessieren. Immerhin hatte ich es zurück.

Toll fühlte sich dieses Erlebnis unter Bundeskanzler-Videobewachung trotzdem nicht an. Also versuche ich es jetzt mal mit einem Reframing: Menschen haben mir einfach so geholfen, mein Fahrrad zurück zu erkämpfen. Und zwar Fußgänger. Aus der Gen Z. Und das mitten in Berlin. Danke.

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Kerstin Finkelstein
Dr. phil, Expertin für Verkehrspolitik und Migration. Studium in Wien, Hamburg und Potsdam. Volontariat beim „Semanario Israelita“ in Buenos Aires. Lebt in Berlin. Fährt Fahrrad. Bücher u.a. „So geht Straße“ (Kinder-Sachbuch, 2024), „Moderne Muslimas. Kindheit – Karriere - Klischees“ (2023), „Black Heroes. Schwarz – Deutsch - Erfolgreich“ (2021), „Straßenkampf. Warum wir eine neue Fahrradpolitik brauchen“ (2020), „Fahr Rad!“ (2017).
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6 Kommentare

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  • Guten Tag,



    Da ich vor einigen Jahren beschlossen habe mich vom Auto zu trennen und auf Rad und öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen bin kann ich die Situation im Artikel sehr gut nachvollziehen vollziehen.



    Mich beschäftigt allerdings die Frage warum von der Polizei wie auch von Versicherungen der Diebstahl von Fahrrädern und Autos so unterschiedlich behandelt wird, ich meine wie wenig wird einem geklautem Rad Aufmerksamkeit geschenkt und was passiert bei einem Auto. Am Wert kann es mittlerweile nicht mehr liegen wenn ich mir die Rad Preise anschaue.



    Gruß



    Mathias Jensch

  • Die Autorin möchte den Dieb, der vermutlich unter Drogen steht, lieber nicht stellen und fordert lieber Passanten auf und erwartet das dann auch irgendwie....Verständnis dafür, den Dieb nicht konfrontieren zu wollen aber zum Rest kann sich ja jeder seinen Teil denken

  • Fahrraddiebe sind das Letzte.



    Seit mir als 14-jährigem das erste Mal ein Rad gestohlen wurde, weiß ich das.

  • Und nun? Mehr Polizei? Mehr Überwachung?

  • Manches ist nicht so einfach und eindeutig wie es scheint.

    Ich empfehle "Fahrraddiebe" (Originaltitel: Ladri di biciclette), ein italienischer Spielfilm von Vittorio De Sica (1948).

    Aber alle Wendungen bis zum Schuß.

  • Von einem Boomer hätte er auch noch eine Schelle bekommen (damit ist keine Fahrradklingel gemeint).