Fabio de Masi über BSW-Ergebnis: „Wir sind mehr als nur Protest“
Als Spitzenkandidat der Wagenknecht-Partei zieht Fabio de Masi nun in das Europaparlament ein. Dort wolle man eine neue Fraktion bilden – ohne Rechte.
taz: Herr de Masi, BSW hat mehr als sechs Prozent bekommen. Überrascht?
Fabio de Masi: Nein, es gibt einen großen Veränderungswunsch. Das haben wir auf den Marktplätzen gespürt. Unser Ergebnis ist herausragend, zumal laut Umfragen unsere Wähler relativ geringes Interesse an Europa haben.
Das BSW hat mehr als 400.000 Stimmen von der Linkspartei, mehr als 500.000 von der SPD und nur 140.000 von der AfD gewonnen. Verwundert Sie das?
Nein. Im Wahlkampf hat die Friedensfrage die Leute am meisten bewegt. Viele waren enttäuscht von dem Kurs der SPD und der Linkspartei.
geboren 1980, war Europawahl-Spitzenkandidat für das neu gegründete Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW). Bis 2021 saß der Volkswirt für die Linken im Bundestag, war deren Fraktionsvize sowie finanzpolitischer Sprecher.
Und Migration?
Das war auch ein Thema. Wir arbeiten nicht mit Ressentiments und respektieren das Recht auf Asyl, wollen aber Ordnung in der Migrationspolitik, damit Integration gelingen kann.
Verstehen Sie das BSW als Protestpartei?
Natürlich. Es wäre bei der Anti-Ampel-Stimmung dumm, keine Protestpartei zu sein.
Reicht das aus?
Wir sind mehr als nur Protest. Wir haben klare Forderungen. Aber wir langweilen nicht und sprechen Missstände scharf an. Das habe ich schon immer getan und dies mit konkreten Vorschlägen verbunden. Zu sagen, dass Deutschland ein Problem mit Finanzkriminalität hat oder die Kürzungs-Politik der Ampel die Wirtschaft in den Keller treibt, ist nicht nur ein Protest. Das ist Realität.
Sie waren als Finanzexperte in der Linkspartei und dort auf dem linken Flügel. Das BSW steht viel weiter in der Mitte. Mussten Sie sich da anpassen?
Nein, gar nicht. Das BSW fordert eine Reform der Schuldenbremse und eine Vermögensbesteuerung, die nicht Oma mit ihrem kleinen Häuschen trifft, sondern die Multimillionäre und Milliardäre. Das habe ich schon immer vertreten. Bei diesen Themen sind die Unterschiede zur Linken nicht so groß.
Die gibt es bei anderen Themen: Das Verbot von Verbrennermotoren lehnen Sie ab.
Wir sehen die Ausrichtung nur auf E-Mobilität kritisch. Deutschland ist stark in der Verbrenner-Technologie. Wir sollten das nutzen und die Branche dazu bringen, kleinere, emissionsarme Autos zu bauen. Wo es auf dem Globus weiter Verbrenner gibt, müssen die CO2-arm sei. Wenn Besserverdiener sich in Deutschland jetzt ein E-SUV als Zweitwagen leisten, ist für das Klima noch gar nichts gewonnen.
Damit bedienen Sie das Hass-Bild von den reichen Ökos in den Städten, die den Normalverdienern auf dem Land sagen, wie die leben sollen …
Diese Leute müssen wir auch abholen. Es reicht nicht, in Berlin-Mitte in der Hafermilch-Blase recht zu haben.
Das ist jetzt echt ein Klischee …
Nein, ist es nicht. Der Klimawandel ist eine Tatsache, der Kampf dagegen dringlich. Aber das erreicht man nicht mit höheren CO2- Abgaben, die Leute mit schmalen Geldbeutel treffen, die auf dem Land kaum Alternativen zum PKW haben. Gleichzeitig hat man tausende Bahnkilometer abgebaut. Da können Preise nicht lenken. Und gerade Besserverdiener mit höherem ökologischem Bewusstsein haben einen höheren ökologischen Fußabdruck. Um Helmut Kohl zu zitieren: Entscheidend ist, was hinten herauskommt.
Aha, nach Ludwig Erhard ist jetzt auch Kohl ein Vorbild. Ist BSW ein Retroangebot für Veränderungsmüde?
Wir sprechen auch Veränderungsmüde an. Viele Leute empfinden Veränderung als Bedrohung. Deshalb müssen wir ihnen mehr Sicherheit geben. Wir hatten in den 70er und 80er Jahren ein auskömmlicheres Rentensystem. Auch damals gab es schon einen heftigen demografischen Wandel. Aber der Sozialstaat wurde verbessert. Wenn das retro ist, dann sind wir retro.
Früher war alles besser?
Nein, aber so schlimm waren die 80er Jahre nicht. Wir stehen auch für Wandel. Wir wollen mehr öffentliche Investitionen in Zukunftstechnologien und angemessene Erbschafts- und Vermögensteuern. Das wäre Veränderung und eine gute Voraussetzung für den Umbau der Wirtschaft.
Welcher Fraktion im Europa-Parlament schließt sich das BSW an?
Gar keiner. Wir machen eine neue auf.
Aha. Mit wem?
Das sage ich Ihnen nicht.
Warum?
Das ist wie im Fußball. Wenn ein Club sagt, wir haben Interesse an Toni Kroos, dann steigt der Preis für Toni Kroos. Das funktioniert bei den Fraktionsbildungen im EP so ähnlich. Deshalb schweigen wir.
Aber Rechte werden nicht in der Fraktion sein?
Nein, natürlich nicht. Das ist wie die rhetorische Frage, ob ich meinen Goldfisch quäle. Ich habe aber gar keinen Goldfisch. Fragen Sie doch Frau von der Leyen.
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