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Fabian Hinrichs inszeniert in BerlinAndeutung einer Orgie

Fabian Hinrichs beschäftigt sich mit dem Dichter Lord Byron an der Berliner Volksbühne. Ein Schulorchester hilft dabei, ein Schauspieler kam abhanden.

„Sardanapal“ nach Lord Byron. Regisseur Fabian Hinrichs spielt mit Textbuch Lord Byron Foto: Apollonia T. Bitzan

Kurz vor der Premiere ist der Inszenierung ihr Hauptdarsteller abhandengekommen. Benny Claessens gehe es nicht gut, und er könne nicht mehr Teil der Produktion sein, so Dramaturgin Anna Heesen vor Beginn. Das Wording lässt Spielraum für die Fantasie, dass man im Streit auseinanderging. Die gute Nachricht: Regisseur Fabian Hinrichs selbst werde nun auch die Titelrolle übernehmen, den Sardanapal.

Der englische Romantiker, Dandy und Freiheitskämpfer Lord Byron verarbeitete in seinem Drama „Sardanapal“ die Geschichte eines legendären assyrischen Königs. Unwillig zu herrschen, gibt er sich selbst wie seinen Untertanten nur ein einziges Gesetz: Sie sollen essen, trinken und lieben. Das geht solange gut, bis sich seine Gefolgsleute gegen ihn verschwören. Als ihre Truppen sich dem Palast nähern, lässt er einen Scheiterhaufen errichten und verbrennt sich gemeinsam mit seiner Geliebten.

Hinrichs hatte bereits vor ein paar Jahren in einem Essay in der FAZ die Wiederentdeckung des weithin vergessenen Stücks gefordert. Er deutete darin Sardanapals Hedonismus explizit politisch. Der Rausch, die Leidenschaft, die Feier des Moments seien Strategien, den Zwängen zu begegnen, die eine jede Gesellschaft gewaltsam strukturiere. Eine weitere Strategie ist mit der Kunst gefunden, so darf man es verstehen, wenn Hinrichs am Beginn des Abends versunken zu Barry White tanzt, Franz Schubert anstimmt und auch vor dem Eurodance-Hit „Blue (Da Be Dee)“ nicht Halt macht. „Ach, ich liebe Musik!“, ruft er begeistert aus.

Die ist auch der Weg, über den er sich seinem Stoff annähert. Das Jugendsinfonieorchester Berlin aus dem Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium spielt Chopin, was Hinrichs an einen Traum erinnert, in dem er selbst Lord Byron gewesen sei.

Träume einer Kassiererin

Ein romantischer Geist weht durch die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Nicht nur Hinrichs, auch Lilith Stangenberg will jemand anders sein, oder zumindest momentweise aus den bedrängenden Umständen der Realität fliehen. Sie spielt zunächst eine Supermarktkassiererin, die sich während der Arbeit an einen Strand träumt, sich in Sand und Wellen stürzt.

Doch spätestens an dieser Stelle kommen Zweifel auf, wie ernst diese Beschwörung eines Fluchtversuchs gemeint ist. Ausgerechnet das Meer soll hier das Sehnsuchtsziel sein? Das wäre auch Til Schweiger als Erstes eingefallen. Und es braucht nun wirklich auch keinen singenden, tanzenden Fabian Hinrichs, um auf das eskapistische Potenzial von Musik hinzuweisen. Dasselbe wird in jeder Air-Pods-Werbung stimmiger rübergebracht. Dieser Inszenierung ist nicht zu trauen, was ihre vorgeblichen Ziele angeht.

Wenn im späteren Verlauf des zweistündigen Abends tatsächlich einige Szenen aus Lord Byrons Stück vorkommen, dann werden sie auch eher vor- denn aufgeführt. Die Tänzerinnen und Tänzer des Flying Steps Diploma Programms deuten zaghaft eine Orgie an; Stangenberg taucht in ein Badefass und erklärt in ihren nassen, durchschimmernden Kleidern, sie habe sich in Aphrodite verwandelt; einigen Zuschauern wird Weißwein in Pappbechern gereicht.

Szenen als Möglichkeit, Stoff zu erzählen

Ein paar eindrückliche Bilder gelingen zwar, etwa wenn ein gigantischer roter Vorhang vom Schnürboden fällt, eine Akrobatin ein paar Sätze aus dem englischen Original des Stücks spricht, während sie an einem Tuch meterhoch über dem Bühnenboden turnt oder die Tänzer mit Glitzerschwertern aufeinander zu stürmen. Doch letztlich stehen diese Szenen nur für eine Möglichkeit, diesen Stoff zu erzählen, als Geschichte, in der tatsächlich etwas auf dem Spiel steht.

Diese Möglichkeit aber nimmt Hinrichs selbst nicht wahr. Sein Spiel und seine Sprache sind ironisch grundiert, wahre Entschlossenheit nimmt man ihm schlicht nicht ab. Und das ist wirklich bedauerlich! Freilich gilt Hinrichs als Ausnahmeschauspieler, gerade weil er stets ein stückweit neben seinen Rollen steht, weil er nicht in diesen aufgeht, sondern sich, in den besten Momenten, melancholisch selbst betrachtet.

An diesem Abend aber entsteht keine Dringlichkeit aus dieser Ambivalenz, im Gegenteil: Es wirkt, als wäre er bereit, seine ganze Inszenierung zu opfern, damit er selbst als Künstler autonom bleiben kann, nicht verwechselt wird mit einer Figur, einer Botschaft. Nicht mal die Kunst ist als Ziel also genug, um sich ihr tatsächlich zu verschreiben. Wenn das Orchester am Ende “Dancing Queen“ spielt und Hinrichs in Jesus-Montur mit weißem Lendenschurz zum Applaus vortritt, muss man an Benny Claessens denken. Sollte er aus künstlerischen Motiven ausgestiegen sein, man könne es verstehen.

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